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Selenski auf EuropavisiteEine Antwort schuldig

Kommentar von Barbara Oertel

Solidarität mit der Ukraine? Ist im Westen längst zur Floskel verkommen. Umso nötiger ist eine klare Ansage, was das konkret heißt – und was nicht.

Seit' an Seit': EU-Kommissionchefin von der Leyen und der ukrainische Präsident Selenski in Brüssel Foto: Yves Herman/reuters

W ir haben sie noch im Ohr, die Warnung von Kanzler Olaf Scholz vor einem Überbietungswettbewerb. Damit gemeint waren, das ist noch nicht allzu lange her, Waffenlieferungen an die Ukraine.

Doch dieser Wettbewerb ist schon längst in vollem Gange. Das zeigte sich erneut beim Auftritt des ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski anlässlich des EU-Gipfels in Brüssel – nach London und Paris die dritte Station der spontanen Europavisite. Standing Ovations im Parlament nebst der Begrüßung „Slawa Ukraini!“ (Ruhm der Ukraine) durch Parlamentspräsidentin Roberta Metsola – eine auch in ukrainisch nationalistisch grundierten Kreisen gängige Standardformel. Sie klingt, von westlichen Po­li­ti­ke­r*in­nen in den Mund genommen, absolut deplatziert.

Bei einem solchen Präsenztreffen geht es auch immer wieder um die viel beschworene Solidarität mit der Ukraine, die „zur europäischen Familie gehört“. Floskeln, wie die, man stehe fest an der Seite Kyjiws, sind so ritualisiert wie inhaltsleer. Sie stehen vielen Interpretationen offen. Folglich überrascht es nicht, dass Scholz’ Mantra, Russland dürfe diesen Krieg nicht gewinnen, genauso nebulös bleibt wie die Ankündigung des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, die Ukraine bis zum „Sieg“ unterstützen zu wollen.

Diese Rhetorik muss Selenski geradezu dazu ermutigen, seinen Forderungskatalog immer weiter zu verlängern – inklusive eines beschleunigten Beitritts der Ukraine zur EU. Denn anders als Macron und Scholz redet die ukrainische Führung Klartext: Sieg, das heißt Abzug aller russischen Truppen aus der Ukraine – nicht nur aus den seit dem 24. Februar 2022 besetzten Gebieten, sondern auch aus dem Donbass und von der Krim.

Zur Erreichung dieses Ziels sollen die westlichen Staaten Kampfflugzeuge liefern – für Scholz eine rote Linie, doch derer gab es schon einige. Solidarität, ja bitte. Aber hat sie auch Grenzen? Nicht zuletzt diese Frage muss der Westen eindeutig beantworten. Das ist er vor allem den Ukrai­ne­r*in­nen schuldig.

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Ressortleiterin Ausland
Geboren 1964, ist seit 1995 Osteuropa-Redakteurin der taz und seit 2011 eine der beiden Chefs der Auslandsredaktion. Sie hat Slawistik und Politikwissenschaft in Hamburg, Paris und St. Petersburg sowie Medien und interkulturelle Kommunikation in Frankfurt/Oder und Sofia studiert. Sie schreibt hin und wieder für das Journal von amnesty international. Bislang meidet sie Facebook und Twitter und weiß auch warum.
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21 Kommentare

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  • @LEKIKERIKIT

    Ja. Menschen auf der Flucht. Werde ich beherzigen.

  • Igor jetzt selbst Totenschädel. Der berüchtigte Igor Mangushev, der im Sommer 2022 in einer Bar den Schädel eines Azov- Kämpfers aus Mariopol ( angeblich) präsentierte, starb am 8.2.23 an den Folgen eines Gewehrschusses im Alter von 36 Jahren. Igor machte sich als Gründer von quasi kriminelle Milizen ( ENOT , Swetlaya rus ) einen Namen. Die genannten Milizen zogen Kinder im Alter von 12 bis 18 Jahren aus Serbien, Montenegro, Belarus usw. ein und missbrauchen sie. Quelle Wikipedia, english.

  • Wie meinte Roberta Metsola, maltesische EU - Parlamentspräsidentin, heute vor dem Parlament..."es sei nun Zeit für die Lieferung von Kampfflugzeugen und Langstreckenwaffen an die Ukraine"!



    Vorhin im Heute - Journal vernommen.



    Bravo, meine Zustimmung hat sie. Deutschland sollte sich ein Beispiel an Polen und den baltischen Staaten nehmen...die zeigen sich ja aufgeschlossen!



    Wer den Krieg beenden will, muss diese Waffen liefern und darf sich nicht verweigern. Sonst nimmt das Sterben kein Ende.

  • upps ...

    das obige foto erscheint wie 'we fell in love'.

    doch, ob das 'eheversprechen' am ende so durchgeht, bleibt offen.

    auch die ukraine ist aufgerufen, als mitgift nicht nur ihre forderungen einzubringen, sondern auch lösungswege für ein baldiges ende von leid, tod und zerstörung einzubringen.

    das kann und wird auch mit diplomatischen verzichtslösungen verbunden sein müssen.

    • @adagiobarber:

      Nein, genau das sollte nicht geschehen. Einem Despoten wie Putin mit Diplomatie zu kommen, zeigt ihm nur, dass er es mit uns machen kann.

  • Wenn man das Bild sieht wie Selenski und von der Leyen sich mitten im Krieg so fröhlich mit Bützchen begegnen, wo ist da der Ernst? Wäre für den Umgang mit Selenski am Ende doch Armin Laschet die richtige Wahl gewesen - ein bißchen Spaß muss sein. Muss? Den entsprechend dem Ernst der Lage stets politisch korrekt ebenso ernst dreinblickenden Bundespräsidenten Steinmeier, können wir uns den überhaupt noch leisten, wenn der Trend zu fröhlichem Ringelreihen geht in jedweder noch so gewichtigen politischen Frage? O tempora, o mores.

  • Ja, dem Thema müssen wir uns stellen.

    Ich fand es auch immer ein wenig seltsam, wie sich so manche Politiker*innen mit schrillem Gebrüll auf diesen Krieg gestürzt haben. Meist umgekehrt proportional zu ihrem Standing inland (Boris Johnson, Liz Truss, aber auch hierzulande so ein paar).

    Ja, die Ukraine (genauer: die Ukrainer*innen [1]) haben so viel Unterstützung verdient, wie sie von uns bekommen können. Aber den Konflikt sollten wir auch nicht für fremde Zwecke missbrauchen.

    [1] Sozialtourismus, anyone? Ausgerechnet der, der mit medialen Getöse früh die Ukraine besuchte? Wie heisst das dann? Kriegstourismus?

    • @tomás zerolo:

      Wie so oft bin ich Ihrer Meinung, verzichte meistens (fast immer :) ) auf ein "Demkannichmichanschließen".



      Sozialtourismus, das Fieseste, was man sich so einfallen lassen kann. Im speziellen Fall bezogen auf die, die aus der Ukraine auf der Flucht sind und bei uns Hilfe suchen.



      Was ich in diesem Zusammenhang in den taz-Foren vermisse, ist ein Aufschrei gegen den erneuten Angriff auf unsere Solidarität mit Menschen auf der Flucht. Ich weiß nicht, ob mich meine subjektive Wahrnehmung so täuscht, als dass ich nicht zu dem Gedanken kommen könnte, dass es vielen hier, unter dem Vorwand unverbrüchlicher Treue, nur darum geht, sich den ganzen Krieg vom Halse zu halten, koste es was es wolle.



      Ja, und ich wollte auch kein Mensch mit Farbe in der Haut sein, der sich grad in Sicherheit zu bringen versucht.



      Dann läuten sofort die Merz'schen Alarmglocken.



      PS:



      Was mir sehr am Herzen liegt:



      "Menschen auf der Flucht" anstelle von Flüchtlinge.



      "Asylbewerber" anstellen von Asylanten.



      Und was es sonst noch so an niederträchtigen Bezeichnungen gibt ...

  • Nicht anzunehmen, dass Selensky einer Ermutigung durch nebulöse Solidaritätsbekundungen braucht, um seinen Forderungskatalog immer weiter zu verlängern. Dessen Inhalt wird nämlich schlicht durch die Notwendigkeiten des Krieges geschrieben. Und: Wäre es nicht geradezu dämlich, wenn die EU die Grenzen der Solidarität lauhals und öffentlich verkünden würde? Der Feind hört nun mal mit! Ob der Westen den Weg einer Rückeroberung der Krim und des Donbass durch die Ukraine mitgeht, das wird sich vernünftigerweise dann entscheiden, wenn die Möglichkeit für diesen besteht und wenn klar ist, welche Konsequenzen ein Mitgehen haben wird.



    Dass die Ukraine jedes Recht auf seiner Seite hat, die Krim zurückzuerlangen, das sollte eigentlich nicht umstritten sein.

    • @mlevi:

      Nur eine Frage. Und meine ich wirklich im Sinne der Demokratie ernst.



      Die Krim wurde - ohne die Bevölkerung zu fragen - von einem Diktator innerhalb eines Staatsverbundes verschenkt.



      Die Krimbewohner haben mehrfach gezeigt, dass sie lieber nicht in der Ukraine sein wollen (de.wikipedia.org/w...inischen_SSR_1991)



      Gut nachvollziehbar, sind doch 60% ethnische Russen, heute eher noch mehr.



      Warum sollte man nicht ein Referendum unter UN-Aufsicht machen, um die Krim-Frage zu lösen????

      • @Kartöfellchen:

        Ja, also: Da hätte ich prinzipiell auch nix dagegen. Ich erinnere mich, dass Selenski zu Beginn des Krieges den Vorschlag machte, die russische Armee sole sich auf die Grenzen vor dem 24. Februar zurückziehen und dass man die "Krimfrage" ersteinmal ausklammern könne. Das er heute nach einem Jahr Kieg andere Ziele öffentlich formuliert, finde ich nachvollziehbar. Ich schrieb ja auch: Ob der Westen den Weg einer Rückeroberung der Krim und des Donbass durch die Ukraine mitgeht, das wird sich vernünftigerweise dann entscheiden, wenn die Möglichkeit für diesen besteht und wenn klar ist, welche Konsequenzen ein Mitgehen haben wird"...

      • @Kartöfellchen:

        "Die Krim wurde - ohne die Bevölkerung zu fragen - von einem Diktator innerhalb eines Staatsverbundes verschenkt. "

        Mein Kalenderspruch des Tages für Sie:



        "Wer die Zukunft gestalten will, muss die Vergangenheit verstehen."

        • @Barbara Falk:

          Das ist keine Antwort auf die Frage, nach einem Referendum. Ich finde die Idee gut, sind es doch die Menschen, die das Sagen haben sollten und nicht die Sofakrieger und -besserwisser.

  • Warum sollte Herr Selenski auch nur einen Augenblick am vollständigen Sieg der Ukrainischen Armee zweifeln?



    Er muss ja den Eindruck gewinnen, die gesamte westliche Welt hätte die gleichen Interessen wie, die unter dem furchtbaren von Russland begonnenen Krieg leidenden Ukrainer*innen.



    Fast könnte man glauben, ein Teil der westlichen Politiker*innen und Journalist*innen befinden sich seit dem Russischen Überfall in einem rauschhaften Zustand, so kritiklos wird der "Ukrainische Held" Selenski gefeiert.







    Das das Ziel der Kämpfe von den gleichen Politiker*innen dabei ausgeblendet oder nur verschwurbelt benannt wird, lässt darauf schließen, dass es für die Ukrainer irgendwann ein böses Erwachen geben könnte.

    • @Bürger L.:

      Es gibt den öffentlichen Selenski, und den internen.

      Der öffentliche Selenski kann es sich nicht leisten am Sieg zu zweifeln, denn alles andere würde die Moral seiner Armee beschädigen.

      Was der interne Selenski denkt, das wissen wir nicht.

    • @Bürger L.:

      "Warum sollte Herr Selenski auch nur einen Augenblick am vollständigen Sieg der Ukrainischen Armee zweifeln?"



      Er darf nicht zweifeln.



      Er, und wir, müssen durchhalten. Bis zur PräSi-Wahl.



      Ich vermute mal, dass inzwischen die Rückzugs-Trassen planiert werden.

      • @LeKikerikrit:

        "Ich vermute mal, dass inzwischen die Rückzugs-Trassen planiert werden."

        Wenn das dazu führt, dass das Morden aufhört, soll es mir Recht sein. Ich hätte auch grundsätzlich nichts gegen eine kleine Dolchstosslegende, so a la: "Wenn die Panzer und die Flieger und die Raketen und Captain Kirk eine Woche früher auf dem Kriegsschauplatz gewesen wären, dann hätten wir die Krim und den ganzen Donbass auch noch zurückgekriegt. Die Deutschen sind schuld."

        Soll mir Alles recht sein und wenn es noch so sehr Blödsinn wäre. Wenn's nur dazu führen würde, dass die Ukraine nicht bis zum Untergang vom totalen Siege träumt.

  • Artikel-Foddo übertrifft dieses: www.tagesschau.de/...selenskyj-101.html



    Ansonsten nix Neues. Im übrigen glaube ich so langsam, in Herrn Selensky ein tragische Figur zu sehen. Immer weitergehende Forderungen, immer weitergehende Versprechungen, Siegeshoffnungen, "Wir sind bald Mitglied der EU" usw.



    Bis alles in einer großen Implosion endet.



    Aber jetzt liefern wir erstmal 14 Panzer. Daß die Ukrainer weiter tapfer kämpfen, was sie ohne Zweifel tun, um die Werte der EU zu verteidigen, zu der sie nicht gehören. Was den Ukrainern aber niemend sagt.

    • @LeKikerikrit:

      Wenn ich mal was dazu sagen darf: ich glaueb den ukrainern sind die Werte der EU erstmal herzlich egal, mir wären sie auf jeden Fall egal, wenn ich einer von ihnen wäre....die Ukrainer Kämpfen für sich und ums nackte Überleben, es ist schon sehr eingebildet zu meinen die würden für UNS und UNSERE Werte kämpfen

      • @PartyChampignons:

        Ich weiss nicht, ob es eingebildet ist, aber es ist auf jeden Fall Einbildung. Von Anfang an. Es gab mal eine Zeit, da hätte die Ukraine einen Modus Vivendi mit Russland finden können, ohne Krieg, aber diese Zeit ist seit mindestens 2010 vorbei. Meines Erachtens ging die Initiative zu dieser Entwicklung nicht wirklich von der Ukraine aus, sondern dort bestenfalls von ein paar Gruppen, die es sonst nicht zu einer wirkungsmächtigen Position in Kiew gebracht hätten. Sie ging von westlicher Seite aus, von Polen, Baltikum, Teilen Skandinaviens und von den USA. Der Gedanke, die Ukraine vollständig von Russland zu lösen und in die NATO zu ziehen, war geopolitisch, militärstrategisch und aussenwirtschaftlich zu verführerisch, als dass wir's hätten lassen können. Dass Russland auf unsere diesbezügliche Einmischung in interne Machtkämpfe in der Ukraine aggressiv reagieren würde, nahmen wir sehenden Auges hin. Eine Zeit lang hoffte ich, dass ausgedehnte europ. Handelsbeziehungen mit Russland dieses ausreichend entschädigen würden, um ruhig zu bleiben (was mich u.a. zum Fan von NS2 machte), aber über den Energierohstoffhandel ist die EU samt Deutschland ja nie wirklich hinaus gegangen. Eine Komplettanbindung der Eurasischen Freihandelszone passte zu vielen westlichen Staaten nie ins Kalkül. Also spitzte sich der Konflikt zwischen Moskau und Kiew immer weiter zu die Ukraine war und ist von westlichen Versprechungen bis zur Besoffenheit geblendet. Moskau glitt in eine "letzte Chance vor dem Absturz" Sicht - erinnert wohl nicht nur mich Alles an 1914. Jetzt (und ohne es zu wissen schon seit fast 20 Jahren) kämpft die Ukraine um's nackte Überleben. Nicht um Freiheit, Werte oder sonstwas. Um ihre Existenz, weil sie sich von uns hat besoffen quatschen lassen. Und je höher Herr Zelensky seine Anforderungen an einen "Sieg" schraubt, desto blutiger und grausamer wird's werden. Ich wüsste nicht, was man dagegen noch tun könnte.

    • @LeKikerikrit:

      In erster Linie kämpfen die Ukrainer um ihre Souveränität und ihre ganz persönliche Freiheit, gegen Folterkeller, Vergewaltigung und Massaker an Zivilisten. Zufällig sind das auch Werte, die in der EU was bedeuten.