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Selbstbestimmungsgesetz tritt in KraftTag X für die Selbstbestimmung

Queere Personen können nun leichter ihren Geschlechtseintrag ändern. Doch viele Betroffene finden, das Gesetz gehe noch nicht weit genug.

Nephtys L. (links) feiert den Tag der Selbstbestimmung im Regierungsviertel Foto: Stella Lüneberg

Berlin taz | Vor dem Bundestag hat Nephtys L. gemeinsam mit anderen vom Bündnis „Selbstbestimmung Selbst Gemacht“ einen Tisch aufgebaut und sich einen Aperol eingeschenkt. Es gibt Grund zum feiern: Bald kann die trans Frau unkompliziert ihren Geschlechtseintrag ändern lassen: dank des am Freitag in Kraft getretenen neuen Selbstbestimmungsgesetzes.

Ihr genauer Termin aber stehe noch in den Sternen, sagt L. „Wenn ich heute keine Mail bekomme, soll ich nochmal anrufen“ – so habe das Standesamt auf ihre Nachfrage reagiert. „Alles ist sehr chaotisch“, sagt L. Obwohl die Voranmeldungen schon seit August laufen, seien viele Standesämter überfordert mit der neuen Aufgabe.

Was sich ab dem 1. November ändert, haben viele Betroffene schon lange erwartet: Trans, inter und nonbinäre Personen (kurz TIN*) können ihren Vornamen und ihren Geschlechtseintrag mit einer einfachen Erklärung beim Standesamt ändern. Neben der binären Aufteilung in männlich und weiblich kann auch „divers“ eingetragen oder der Geschlechtseintrag ganz gestrichen werden.

Passé ist damit das verfassungswidrige Relikt aus den achtziger Jahren, das Transsexuellengesetz (TSG). Dieses bedeutete für Betroffene erniedrigende Befragungen, Gutachten und kostspielige Gerichtsverfahren.

Ein lang ersehnter Stichtag

Ganz ohne Bürokratie kommt auch das Selbstbestimmungsgesetz nicht aus. Interessierte müssen sich drei Monate vorab beim Standesamt anmelden, Spontanbesuche sind ausgeschlossen. Nach einer Änderung gilt eine Sperrfrist von einem Jahr, bevor der Eintrag erneut geändert werden kann. Minderjährige ab 14 Jahren brauchen die Zustimmung der Eltern oder Sorgeberechtigten.

„Der erste November ist ein wichtiger Tag für die Grund- und Menschenrechte von trans- und intergeschlechtlichen sowie nicht-binären Menschen“, sagt Sven Lehmann, Queerbeauftrager der Bundesregierung. Menschen würden vom Staat so anerkannt, wie sie sind, so Lehmann in einer Pressemitteilung. Deutschland reihe sich damit in die Gruppe der Länder ein, die Menschen eine Korrektur ihres Geschlechtseintrags und Vornamens ermöglichen, ohne sie zu pathologisieren.

Viele hätten sehnsüchtig auf den ersten November gewartet und das spiegele sich auch in den Terminzahlen, so Lehmann. So ging das Magazin Spiegel nach eigenen Hochrechnungen schon im August von bundesweit 15.000 Anmeldungen aus. In Berlin haben sich laut dpa 1.200 Menschen angemeldet, in Leipzig laut MDR 676, in Hannover dem NDR zufolge 226.

Chaos bei den Vornamen

Und tatsächlich sorgte das neue Gesetz schon vor seinem Inkrafttreten für reichlich Verwirrung. So war länger unklar, wie sich TIN* Personen nennen dürfen. Das BMFSJ musste in mehreren Rundschreiben an die Standesämter klarstellen, was gilt: Fünf Vornamen sind das Maximum. Wer keinen oder einen diversen Geschlechtseintrag wählt, hat auch freie Namenswahl. Ein weiblicher oder männlicher Eintrag hingegen erfordert geschlechtsbezogene oder neutrale Vornamen.

So darf ein trans Mann etwa nicht den Namen Ida wählen, und eine trans Frau sich nicht Erkan nennen. Alle Betroffenen können hingegen Unisexnamen wie Robin oder Mika tragen. Außerdem kann der Vorname nicht isoliert vom Geschlechtseintrag geändert werden.

Kritik kommt von vielen Seiten

Mit der geänderten Geburtsurkunde müssen alle Ausweise neu ausgestellt werden. Die Kosten dafür tragen TIN* Personen selbst. Dazu kommen gegebenenfalls die hohen Kosten für geschlechtsangleichende Operationen, die das Gesetz ausdrücklich nicht regelt. „Es war eben wichtig für die FDP, dass das SBGG nichts kostet“, kritisiert Nephtys L. In anderen Ländern, etwa in Argentinien, habe man die Chance genutzt und auch die Finanzierung der OPs durch die geregelt.

Und es gibt weitere Kritikpunkte derer, die das Gesetz an sich begrüßen. So kann der neue Geschlechtseintrag im Spannungs- oder Verteidigungsfall zwei Monate rückwirkend suspendiert werden. Männer sollen weiterhin Wehrdienst leisten – basierend auf ihrem bei Geburt zugewiesenen männlichen Geschlecht. „Das Militärgeschlecht ist eine absurde unsinnige Lösung“, sagt Nephtys L. „Wir reagieren darauf mit einer Militärparade, die genauso unsinnig aussieht.“

In bunten Kostümen läuft die queere Community durch das Brandenburger Tor. Das Bündnis „Selbstbestimmung Selbst Gemacht“ will dabei auch andere Sonderregelungen des neuen Gesetzes thematisieren. Etwa, dass der Zugang zu Orten wie Saunen weiterhin dem Hausrecht unterliege, oder dass Menschen ohne Aufenthaltstitel ausgeschlossen sind. „Das Gesetz liest sich am Ende ungefähr so als hätte Marco Buschmann sich von den TERFs [„Trans-Exclusionary Radical Feminist“, Anm. d. Red.] eine Liste von Klischees besorgt: Aber das Militär, aber die Sauna, aber die Ausländer…“, kritisiert Aktivistin Nephtys L.

Kein Dialog zwischen den Fronten

Bislang sitzen sie und ihre Mit­strei­te­r:in­nen alleine am Tisch vor dem Bundestag. Auf der anderen Seite des Spreebogenparks aber haben sich Menschen vor einem Zelt versammelt – um gegen das neue Gesetz zu demonstrieren. Aufgerufen hat die Initiative „Lasst Frauen sprechen“ unter dem Motto „Für Wissenschaft, Demokratie, Frauen und Kinder: Weg mit dem Selbstbestimmungsgesetz“.

Viele von denen sind alte Feministinnen. Wir wollen hier eigentlich ein Gespräch anbieten und zeigen, dass wir mehr gemeinsam haben, als sie denken.

Das Gesetz sei eine „Gefahr für die Demokratie“, erklärt Marina Priesterst, Sprecherin der Demonstration. Auf Nachfrage sagt sie, dass niemand im falschen Körper geboren sei. Frauengefängnisse und Saunen seien nun durch Sexualstraftäter stärker gefährdet. „Das TSG hat wenigstens dafür gesorgt, dass diese Fälle überprüft werden“ sagt Priesterst. Eine trans Frau im Rollstuhl filmt die Demonstration und wird daraufhin von den Ord­ne­r:in­nen der Demo bedrängt und geschubst. Die Polizei nimmt die Anzeige auf.

Aus einigen Metern Entfernung betrachtet Nephtys L. die Menge von circa fünfzig Personen. „Viele von denen sind alte Feministinnen. Wir wollen hier eigentlich ein Gespräch anbieten und zeigen, dass wir mehr gemeinsam haben, als sie denken“ sagt sie. Für alle Fälle hätten sie eine Musikbox dabei, um nicht alle Beleidigungen zu hören, die der Wind zu ihnen hinüber wehe.

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