Schweden will Atomenergie ausbauen: AKW-Chaos in Schweden

Die Umweltministerin hat stolz „mindestens“ zehn neue Atomkraftwerke angekündigt. Allerdings wusste die Regierungskoalition nichts davon.

Umweltministerin Romina Pourmokhtari vor einer schwedischen Flagge.

Die schwedische Klima- und Umweltministerin Romina Pourmokhtari Foto: Claudio Bresciani/TT/imago

STOCKHOLM taz | Romina Pourmokhtari ist mit 27 Jahren die jüngste Ressortchefin, die Schweden je hatte. Derzeit sorgt Schwedens Klima- und Umweltministerin für jede Menge Schlagzeilen. „Mindestens zehn“ neue konventionelle Atomreaktoren sollten in Schweden gebaut und zwischen 2030 und 2040 in Betrieb genommen werden, kündigte sie unlängst per Pressekonferenz an. Damit ließe sich die Atomstromproduktion des Landes verdreifachen und die gesamte Stromproduktion etwa verdoppeln. Was den mutmaßlichen Bedarf für 2045 decken würde.

Nachfragen von JournalistInnen zu Standorten, Sicherheit, Atommüll, Finanzierung, technischen und politischen Details beantwortete Pourmokhtari vage. Sie wolle nicht spekulieren, erklärte die Ministerin. Jedenfalls gehe sie davon aus, dass es genügend Unternehmen geben werde, die in neue Reaktoren investieren wollen – selbst wenn der Staat Neubauten nicht subventioniere und auch keinen festen Preis für den Strom zusichern werde. Immerhin gebe es Kreditgarantien für Atomenergie.

Die Ankündigung hatte jedoch einen Haken: Der Rest der schwedischen Regierung wusste nichts davon. Dass Pourmokhtari offenbar einen Alleingang hingelegt hatte, fiel zuerst der Tageszeitung Aftonbladet auf. Als einer ihrer Redakteure in der vergangenen Woche nach der Presseerklärung zu diesen zehn neuen Reaktoren suchte, war diese von der Website des Ministeriums spurlos verschwunden – und stillschweigend durch eine Neufassung ersetzt worden. Darin war keine Rede mehr von 16 statt bislang 6 Atomreaktoren oder von Pourmokhtaris Ankündigung von dreimal soviel Atomkraft binnen 20 Jahren.

Daniel Liljeberg, Staatssekretär im Wirtschafts- und Energieministerium, dem Schwedens Klima- und Umweltministerium organisatorisch untersteht, erklärte die verschwundene Presserklärung damit, dass es für Pourmokhtaris Ankündigungen keine Grundlage gebe: „Die Regierung hat keine Ziele oder Bewertungen in dieser Detailtiefe festgelegt.“ Ministerin Pourmokhtari gehört zur liberalen Partei, ihre „Chefin“, Wirtschaftsministerin Ebba Busch, ist Vorsitzende der Christdemokraten.

Ministerpräsident Ulf Kristersson schweigt

Auf Antrag der oppositionellen grünen Miljöpartei wird sich nun ein Parlamentsausschuss mit dem Vorgang beschäftigen. „Über Regierungskanäle wird irgendetwas präsentiert, was überhaupt nicht durch Fakten gestützt wird. Das ist sehr schädlich für das Vertrauen in die Politik“, sagt Linus Lakso, Energieexperte der Grünen: „Man muss darauf vertrauen können, dass das, was ein Minister auf einer Pressekonferenz vorträgt, eine Grundlage in der Realität hat.“

Die Sozialdemokraten forderten, Ministerpräsident Ulf Kristersson müsse erklären, was eigentlich Sache sei. Doch der Chef der Rechtskoalition schweigt. MinisterInnen, die „einfach mal so aus der Hüfte schießen“: Das illustriere die konzeptionslose Klima- und Energiepolitik der Regierung sehr gut, kommentierte Aftonbladet.

Es bleibt tatsächlich das Geheimnis der schwedischen Regierung, wie sich neue Atomstromproduktion eigentlich rechnen soll. Sogar die längst abgeschriebenen Altreaktoren des Landes könnten mit Kosten von 2,1 bis 3,3 Eurocent pro Kilowattstunde zeitweise nur mit Verlust produzieren, rechnete Svenska Dagbladet vor. Eine Studie aus dem Jahre 2021 habe für schwedische AKW-Neubauten Produktionskosten von 4,2 bis 5,5 Eurocent pro Kilowattstunde errechnet, bei Neubauprojekten in Frankreich und Großbritannien werde sogar von über 10 Eurocent ausgegangen. Im Juli lag der durchschnittliche Strompreis in Schweden bei 3,2 Eurocent pro Kilowattstunde.

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