Schwarz-rote Koalition: Scheitern ist gestattet
Diese Bundesregierung muss Bestand haben, sonst regiert bald die AfD. Dieses Narrativ ist falsch und so etwas wie eine selbsterfüllende Prophezeiung.

D iese Bundesregierung darf nicht scheitern. Das hat Friedrich Merz seiner Wahlperiode als Kanzler vorangestellt. Auch der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann sieht das so. Der Hintergrund hierfür ist die Annahme: Wenn sie scheitert, dann gewinnt die AfD die nächste Bundestagswahl, führt dann wohl auch die nächste Bundesregierung an und baut die liberale Demokratie ab. Oder man kratzt für eine Mehrheit noch mal alles zusammen – von CSU bis Linkspartei – und ist dann aber so disparat, uneins, schwach, dass das AfD-Szenario bei der übernächsten Wahl passiert.
Es gibt nur einen Weg, das zu verhindern: Diese Bundesregierung muss scheitern dürfen. So wie jede Regierung in einer liberalen Demokratie scheitern dürfen muss – und dann eine neue liberaldemokratische Regierung gewählt wird, in der Hoffnung, dass sie nicht alles anders, aber einiges besser macht.
Zunächst mal: Darf-nicht-Ultimaten sind Metaphysik, spekulative Predigten und gern auch negative self fulfilling prophecies. Bestes Beispiel: Trump darf nicht Präsident werden, so lautete die Wahlbeschwörung der Demokraten. Das war der Grundstein für Trumps erneute Präsidentschaft. Ein Darf-nicht-Ultimatum ist der Versuch, mit einer hochmoralischen Verneinung durchzukommen, wenn man selbst kein attraktives Angebot zu machen hat. Darf-nicht ist keine Grundlage für Politik und politisches Gespräch, denn was soll man mit der Vorgabe noch inhaltlich diskutieren?
Ein besserer Ansatz scheint daher erst einmal, zu klären, worin das „Scheitern“ bestehen würde. Wenn sich das allein darauf bezieht, dass die AfD nicht weiter wachsen darf, könnte die Regierung zum Beispiel eine gescheiterte Klimapolitik als Voraussetzung dafür behaupten. Oder einen Rückbau der emanzipatorischen Moderne. Nach dem Motto: Leider keine postfossile und konkurrenzfähige Wirtschaft, sonst wächst die AfD. Leider keine offene Gesellschaft mehr, sonst wächst die AfD. Und so weiter. In diesem Denken wäre dann nicht Kanzler Merz gescheitert, aber die liberale Ordnung des Westens. Das Aufgeben von Zukunft und Politik wäre alternativlos, denn Zukunftspolitik hieße, dass die AfD wächst.
Über Pro & Contra eines Verbots der AfD diskutieren aus linker Perspektive Ricarda Lang, Angela Furmaniak, Thorsten Mense und Lukas Wallraff – am Mittwoch, 28.05.2025, 19:30 Uhr, in der taz-Kantine.
Der Eintritt ist frei, aber eine Platzreservierung erforderlich. Bitte nutzen Sie dafür das Reservierungstool von Pretix hier.
Die Veranstaltung wird auch live gestreamt auf dem Youtube-Kanal der taz.
🐾 Ricarda Lang ist Bundestagsabgeordnete des Bündnis 90/Die Grünen und ehemalige Parteivorsitzende.
🐾 Angela Furmaniak ist Rechtsanwältin und als Strafverteidigerin tätig. Sie ist im Vorstand des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins (RAV), der die Initiative „AfD-Verbot Jetzt!“ mitträgt.
🐾 Thorsten Mense ist Soziologe, Autor und als Journalist unter anderem für Jungle World und konkret tätig. Er findet Antifa sinnvoller als Verbote.
🐾 Lukas Wallraff ist seit 1999 bei der taz – zunächst im Inland und im Parlamentsbüro, jetzt als Titelseiten-Redakteur bei tazeins. Er steht einem AfD-Verbot skeptisch gegenüber.
🐾 Lotte Laloire moderiert diesen taz Talk. Sie ist taz-Redakteurin und Herausgeberin eines Buchs über die extreme Rechte.
Der Politiklieferdienst soll Normalität bringen
Genau dieses Prinzip, Politik beziehungsweise deren Vermeidung zu sehr an der Stimmungsgesellschaft und der AfD auszurichten, hat die AfD groß gemacht. Man muss hier nicht nostalgisch mit dem früheren SPD-Kanzler Willy Brandt und seiner Ostpolitik gegen eine aufgeheizte Stimmungsgesellschaft kommen. Aber die These wäre schon, dass der weitgehend macht- und zu wenig inhaltsorientierte Opportunismus von Union und SPD (und zuletzt auch in geringerem Maße von den Grünen) die liberale Demokratie geschwächt hat.
Die Verärgerung von Leuten ist im System angelegt, solange man wie ein Mantra behauptet, dass man als Politiklieferdienst die veränderte Realität wieder auf „normal“ stellen werde. Das war eine Lüge angesichts der Realität militärischer Kriege, Wirtschaftskriege, des Kampfs um Rohstoffe, der bröckelnden Sozialsysteme und Infrastrukturen. Da hilft auch der riesige Kredit auf die Zukunft vermutlich nur bedingt. Die Wahrscheinlichkeit in dieser Lage ist hoch, dass das Regieren von Union und SPD die Ränder stärken wird. Den einen wird es so oder so „zu links“ sein, einem kleineren Teil nicht links genug.
Fehler der Regierung zahlen auf die AfD ein
Der Trick der Union in den vergangenen Jahren bestand darin, die veränderte Realität den Grünen in die Schuhe zu schieben. Der Trick der AfD besteht darin, die veränderte Realität der liberalen Demokratie in die Schuhe zu schieben, zunächst den Grünen, inzwischen volle Pulle ihrem Hauptfeind, der Union.
Das macht die Lage für die letzte verbliebene Mittepartei in der Opposition extrem schwierig, wenn die Fehler der Regierung eben nicht auf die Grünen einzahlen, sondern auf die AfD – und vielleicht noch auf die Linkspartei. Noch schwieriger: Zum einen ist es essenziell, einen Umgang mit der unionsgeführten Regierung zu finden, die deren Arbeit aus Sicht des bedingt aufbruchsbereiten Teils der gesellschaftlichen Mitte in der Sache kritisiert. Zum anderen aber eine künftige Zusammenarbeit nicht ausschließt, schon gar nicht mit dem tödlichen Gift der Hochmoral. Denn eine liberaldemokratische Mehrheit ohne Union ist mathematisch schwer vorstellbar. Und würde eine Aufgabe der Mitte bedeuten und damit feindliche Polarisierung.
Selbstverständlich werden die üblichen Verdächtigen nichtsdestotrotz eine „linke Mehrheit“ beschwören, okay, das ist ihr Job. Aber bitte, wo sollten die dafür notwendigen Linken plötzlich herkommen? Sie müssten schon einwandern (aber woher?). Oder von der Union konvertieren (statt zur AfD zu gehen). Die entscheidende Frage ist: Wie handelt eine linke Mehrheit realpolitisch mit Blick auf das Projekt der liberalen Moderne, der emissionsfreien Marktwirtschaft, des komplizierten Handlings der geopolitischen Krisen des 21. Jahrhunderts? „Antikapitalismus“ und „Antifaschismus“ sind keine sachpolitischen Zukunftsprojekte, sondern allenfalls Vaterunser.
Die erste Frage ist: Wozu?
Die Lage ist verzwickt: Die Regierung aus Union und SPD muss scheitern dürfen, ohne dass deshalb die liberale Demokratie gescheitert wäre. Dafür braucht es ein Bewusstsein dafür, dass Angst vor und Orientierung an der AfD der sicherste Weg sind, sie immer größer zu machen. Die Frage ist, wer 2029 noch eine Mehrheit gegen die AfD bilden kann. Davor steht aber die Frage: Wozu? Die AfD ist ein Problem, keine Frage, aber sie wird auch benutzt, um von der eigenen Politik- und Zukunftslosigkeit abzulenken. Wenn diese Regierung tatsächlich unsere „letzte Chance“ wäre, dann gnade uns Gott.

Die taz ist eine unabhängige, linke und meinungsstarke Tageszeitung. In unseren Kommentaren, Essays und Debattentexten streiten wir seit der Gründung der taz im Jahr 1979. Oft können und wollen wir uns nicht auf eine Meinung einigen. Deshalb finden sich hier teils komplett gegenläufige Positionen – allesamt Teil des sehr breiten, linken Meinungsspektrums.
Es braucht jetzt ein öffentliches und politisches Gespräch über die zentralen Probleme, die prioritär gelöst werden müssen. Und was gemäßigt Konservative wie bedingt Aufbruchsbereite bereit sind, dafür gemeinsam zu tun und was hintanzustellen. Daran und nur daran muss man diese Bundesregierung messen. Und dann entweder bestätigen oder abwählen.
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