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Schwarz-rot in BerlinDas linke Berlin – ein Luftschloss

Lukas Wallraff
Kommentar von Lukas Wallraff

Berlin, konservativ. Wie kann das sein, fragen sich viele. Dabei war Berlin nie so links und grün wie sein Ruf.

Unspektakuläres Ende des umstrittenen Grünen-Pilotprojekts „Autofreie Friedrichstraße“ Foto: Carsten Koall/dpa

D er größte Verlierer der Berlin-Wahl ist Markus Söder. Die abdankende Bürgermeisterin Franziska Giffey hat mit ihrem Move zur CDU nicht die Linken und die Grünen im Stich gelassen, die auch keinen Bock auf R2G mehr hatten, sondern den armen bayerischen Poltergeist. Was soll der jetzt nur tun? Wenn Schwarz-Rot zustande kommt, ist es vorbei mit Söders geliebtem Berlin-Bashing.

Nie mehr Spotten über die rot-grün-roten Spin­ne­r, die sich „mehr ums Gendern als um Gauner“ kümmern. Das schöne Feindbild, weg. Stattdessen nun ein CDU-Mann, von dem bisher nur die Vornamen bekannt sind, die er von Silvesterrandalierern wissen wollte, um sie des Migrantentums zu überführen. So einem Unionsfreund mit niederen Instinkten kann Söder nichts vorwerfen. Berlin – plötzlich Partnerstadt der CSU. Eine Katastrophe, nicht nur für Söder, weil jetzt Stillstand bis Rückschritt droht.

Wie konnte das passieren? Das fragen sich augenreibend und seit drei Wochen händeringend auch viele Innenstadtberliner, die immer davon ausgingen, dass die Mehrheit tickt wie sie. Also links und öko, wie sie sich selber fühlen, ohne unbedingt auch so zu leben. Im Gegensatz zu Söder, der seine albernen Klischees absichtlich pflegt, um den rechten Kulturkrampf anzuheizen, glaubten viele Linke wirklich an das alternative Berlin, das so ganz anders sei als die Provinz. CDU? Wahlsieger? Kann doch nicht sein! Selbst bei zehn Prozent Vorsprung eher ein Rechenfehler als ein Regierungsauftrag.

Doch das linke Berlin ist ein Luftschloss. Die SPD ist nicht wirklich links, auch unter Grünen-Wählern gibt es längst mehr Hausbesitzer als -besetzer und die einzig dezidiert Linke ist von Wahl zu Wahl geschrumpft. Zwei Drittel von Berlin waren immer strukturkonservativ, die CDU mit Diepgen hatte 40 Prozent. Und diese Leute sind ja nicht alle tot, sie fühlten sich aber zuletzt oft so behandelt. Vor allem von den Grünen. Das Problem war dabei nicht eine angeblich radikale grüne Politik, die es nie gab, sondern die abgehobene Attitüde.

Eine autofreie Friedrichstraße ohne Plan für die Gestaltung schien den Grünen wichtiger als der öffentliche Nahverkehr, Moralpredigten bequemer als Taten für Wohnungen, Schulen oder gar Verwaltung. Auch Giffey arbeitete sich lieber rhetorisch an ihren eigenen Partnern ab, ohne damit neue Wähler zu erreichen. Klaus Wowereit war der Letzte, der die ganze Stadt ansprach.

Für die Grünen ist die Opposition jetzt eine Chance, so eine Sprache selbst zu finden. Wenn sie endlich ein realistisches Berlin-Bild und ein mehrheitsfähiges Konzept entwickeln, das über symbolische Selbstbeglückung hinausgeht. Erst dann wird ein modernes Berlin möglich, über das auch ein Söder nicht mehr lästern kann.

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Lukas Wallraff
taz.eins- und Seite-1-Redakteur
seit 1999 bei der taz, zunächst im Inland und im Parlamentsbüro, jetzt in der Zentrale. Besondere Interessen: Politik, Fußball und andere tragikomische Aspekte des Weltgeschehens
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22 Kommentare

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  • 9G
    95820 (Profil gelöscht)

    Liest sich wie Satire. Ist es die „Wahrheit „?

  • Im Grunde war die BRD als Ganzes nie links, das heißt: sozial und den menschlichen Bedürfnissen (anstatt den herrschenden Institutionen) verpflichtet.

    In den letzten Jahrzehnten gibt es außerdem wieder mal einen deutlichen Rechtsruck der westlichen Staaten generell.

    Militär und Polizei sind in, Soziales und Ökologie kommen unter die Räder.

    Da macht auch Berlin keine Ausnahme.

  • Sehr richtig.

    Kein einziger der "echten", gebürtigen Berliner, die ich kenne, würde z.B. den Spruch "Berlin bleibt dreckig" unterschreiben.

    Matratzen "zu verschenken" auf dem Gehweg, zertrampelte, verwüstete Parks, Glasscherben und insbesondere die allgegenwärtigen Graffitis finden die zum Kotzen und nicht "berlintypisch".

    Allerdings: keiner von denen ist konservativ. Die sind alle links. Aber die Romantisierung von Müll und Vandalismus durch linke Politiker_innen finden sie halt zum Kotzen und deswegen hat zumindest einer von denen jetzt wohl CDU gewählt, und die anderen (auch Grüne) finden es immerhin okay, dass CDU und SPD "Sicherheit und Sauberkeit zusammendenken" wollen.

    • @Suryo:

      Okay hallo.



      Gebürtiger Berliner unterschreibt Satz Berlin bleibt dreckig. Ich lebe lieber in einem verranzten Berlin, als ein München 2.0.



      Graffiti ist eine Kunstform. Wer Graffitis aus Berlin haben, will versteht Berlins subversive Kunstszene nicht. International anerkannt mit Gruppen wie 1UP (über die inzwischen sogar ne Doku gedreht wurde) oder ehemals Berlin Kidz.

      Ferner wer Polizei als Sicherheit versteht, hat auch noch nie über den weißen Tellerrand gesehen.

      • @Durrutilover:

        99 Prozent der Tags werden von den meisten Menschen nicht als Kunst, sondern als visueller Dreck empfunden.

        Wenn Dreck gleich coolness und Sauberkeit gleich Langeweile wäre, wäre Kalkutta eine der coolsten Städte der Welt und nahezu jede europäische Weltstadt außer Berlin gälte als gähnend langweilig. Verwahrlosung und Umweltverschmutzung war vielleicht noch in den 90ern cool, als man noch zu illegalen Raves in Abbruchhäusern in Mitte gehen konnte. Inzwischen fragt man sich nur noch, was das soll.

    • @Suryo:

      Wenn Sie "Sauberkeit" in Berlin als Problem ausgemacht haben, dann kann man darüber nur den Kopf schütteln. Mehr schwäbische/spandauer Bräsigkeit geht nicht.



      Die Mietpreise sind in den letzten Jahren um 106% gestiegen. Normal verdienende Berliner können sich in ihrem oder in umliegenden Kiezen keine Mietwohnung mehr leisten.



      Der ÖPNV und Fahrradwege müssen ausgebaut werden mit einem flächendeckenden schlüssigen Konzept und eine Debatte um Stadträume angestoßen und geführt werden. Der Ausbau von öffentlichen Ladesäulen muss vorangebracht werden, um mehr Elektromobilität aus die Straße zu bringen.



      Schulen müssen saniert, Sozialarbeit in prekären Bezirken ausgebaut werden, damit auch Migranten der 4. und 5. Generation mehr Chancengleichheit haben sich in diese Gesellschaft einzubringen.



      Das sind Vorschläge von erfahrenen Kriminalisten, wie man der Jugendgewalt, welche in Teilen auch mugrantischen Jügendlichen ausgeht, begegnen kann.



      Sie sprechen von "Vermüllung", die nur punktuell an einigen Stellen kurzzeitig vorzufinden ist.



      Gerade Sozialprojekte, welche mehr Bindungen zum eigenen Kiez fördern, können Vandalismus vorbeugen. Dafür muss man in die Menschen investieren und ihnen Perspektiven geben. Das hat nichts mit angeblicher Sozialromantik zu tun, sondern mit aktiver linker Politik.



      Mit einem Müllwagen kann jeder sehr einfach die sichtbaren Spuren beseitigen.



      Berliner Politik nach vorne denken kann nicht jeder. Insbesondere traue ich persönlich das den anstehenden Koalitionären nicht zu.

      • @Hatespeech_is_not_an_opinion:

        Im übrigen schließt Sauberkeit doch nichts anderes aus. Und gerade in Verbindung mit den hohen Mieten ist es doch auch nachzuvollziehen, warum man zB nicht ständig die Entfernung von Graffiti an der Haustür bezahlen muss. Wenn Berlin schon immer teurer wird, dann kann man es doch wenigstens halbwegs schön haben. Es ist auch kein Naturgesetz, dass zB der Mauerpark das ganze Jahr eher einem Festivalgelände nach vier Tagen tickender Zehntausender gleicht.

      • @Hatespeech_is_not_an_opinion:

        Ach herrje, die Schwabenkeule. Nochmal: ich rede hier gerade nicht von Zugezogenen, sondern von Urberlinern.

      • @Hatespeech_is_not_an_opinion:

        Suryo hat ihnen gesagt was seine Berliner Originale sich für ihre Stadt wünschen und was nicht.

        Sie antworten mit einem Pamphlet was die zu finden haben sollten.

        Die haben aber ihren eigenen Kopf und sie das Thema partiell verfehlt. Und ich kann in Bezug auf Leipzig Suryos Aussagen bestätigen. Was an den sozialen wilden Rändern der Stadt geschieht ist für viele Bewohner nicht ergötzlich, unverständlich und es zu feiern ist bestenfalls empowernde Selbstdarstellerattitüde. Und es ist überdies fraglich, ob das Milieu links ist, sofern man etwas anderes als Nonkonformismus ~ der hier den Dreck feiert ~ darunter versteht. Zu allem Überfluss wirkt dieses nonkonformistische Milieu überaus normalisierend auf seine Mitglieder.

  • Es gibt zwar weniger, aber schon noch recht viele Linke. Nur wo sind sie? Egal. Das eigentliche Problem ist jedenfalls, dass es darauf gar nicht mehr ankommt. Was soll denn eine linke Poltik sein und was soll sie leisten? Auf welchem Politikfeld? Für eine moderne Verkehrspolitik zum Beispiel braucht man nicht unbedingt Linke, sondern nur Mutige und Phantasievolle. Da gibt es in Berlin keine Mehrheit. Für eine linke Wohnraumpolitik hingegen schon. Auch bei Wählern von SPD und CDU, wenn das Wohnen dann denn bezahlbarer würde. In der jetzt drohenden Koalition gibt es aber trotzdem keine Mehrheit für so etwas. Für eine radikale Verwaltungsmodernisierung ist Schwarz- Rot vielleicht aber sogar wirklich brauchbar. Alles das hat aber ganz wenig mit links zu tun, die Illusion des "linken Berlin" besteht nicht darin, dass es das nicht gibt, sondern darin, dass es die andere Illusion tarnt, nämlich die, dass sich eine linke Koalition einig sein könnte und mit ihr etwas bewegt werden könnte. Das ist aber nicht der Fall, jedenfalls nicht mit einer rechten Giffey- SPD. Die Grünen muss man zwar auch nicht für besonders links halten, sie brauchen auch nicht unbedingt linke Partner, aber eben fortschrittsorientierte. Die autofreie Friedrichstraße war keine symbolische Selbstbeglückung, sondern eine verkehrspolitische Kleinigkeit, ein Test, der bewiesen hat, dass man mit der SPD nichts verändern kann.

  • Jede Partei ist in Berlin zum scheiern verurteilt, da die Dysfunktionalität der Verwaltung durch die Stellung der Bezirke und die unklaren Kompetenzen vorgegeben ist.

    Der für eine Änderung notwendige Wille und die hierfür notwendigen politischen Mehrheiten snd nicht ersichtlich - schließlich beschert das derzeitige System den Parteien 48 gut bezahlte (jedoch vollkommen nutzlose) Positionen.

    Herr Söder kann sich also ganz gelassen zurück lehnen.

  • CDU: Wahlsieger? Regierungsauftrag?



    Hmm...



    Also, 28% der Stimmen ergeben bei 60% Wahlbeteiligung satte 16,8% der Wahlberechtigten - also ca 1/6 ...

    Regierungsauftrag geht anders!

    • @WBD-399:

      Dann haben sie anderen Parteien ja Mühe, die 5%-Hürde zu schaffen.

    • @WBD-399:

      So läuft es halt in einer Demokratie, wenn man seinen Hintern nicht in die Wahlkabine bewegt. Im Vorfeld haben so viele linke Organisationen aufgefordert zur Wahl zu gehen. Hat anscheinend leider nicht besonders viel gebracht. Der Regierungsauftrag ergibt sich eben aus dem Ergebnis, das nach der Wahl besteht (leider). Nicht zu wählen heißt, dass Ergebnis - wie auch immer es ausfällt - mitzutragen. Sich hinterher ist eben maximal dumm.

      Abgesehen davon ist deine Rechnung spekulativer Mumpitz.

  • "Modernes Berlin"? An den Grünen ist nichts modern. Das ist eine stockkonservative Partei, die nur die Automarken getauscht und nen Manufactum-Katalog statt der Wirtschaftswoche auf dem Wohnzimmertisch liegen haben. Die Grünen sind wie Kinder, die sich demonstrativ anders verhalten, um sich von ihren CDU-Eltern abzuheben, während die Eltern schein-kämpfend wohlwollend feststellen, dass jene ihnen nachfolgen.

    • @nanymouso:

      Eben. Man gucke sich die Wahlergebniskarten an.

      Eine Klientel, bei der es zum guten Ton gehört, die Nase über die "Schlossattrappe" zu rümpfen, wohnt fast samt und sonders in wilhelminischen Altbauten.

      Und WEHE, es kommt jemand auf die Idee, doch vielleicht mal die eine oder andere Baulücke zu schließen....

  • Außerdem gibt es viele BerlinerInnen ohne Wahlrecht, die extrem konservative Ansichten haben.

  • Über Kai Wegner ist noch mehr bekannt. Zum Beispiel, dass er fünf Jahre lang aktiver Admin einer prominent besetzten rechtsextremen Facebookgruppe namens "Politik und Polizei" war, in der kräftig antisemitisch geschwurbelt wurde.

    Wegner ist fischt nicht nur rechts, er ist im Kern rechts.

    • @Hans Adam:

      Dass man diese Behauptung mit Vorsicht behandeln muss, sagt ein ganz aktueller Taz-Artikel.

      Daraus lässt sich Ihr Schluss wohl nicht ziehen.

    • 9G
      90946 (Profil gelöscht)
      @Hans Adam:

      Wenn das tatsächlich so ist, dann ist "strukturkonservativ" als Zuschreibung eher beschönigend-schmeichelhaft. Seltsam, dass das nicht vor der Wahl bekannt wurde...

    • 6G
      663803 (Profil gelöscht)
      @Hans Adam:

      na dann wird es aber spannend wer das Innenressort bekommt. Mit der SPD Frau wäre es kein gutes weiter so, auch wenn Geisel es nicht für ein bevorzugtes Ressort sieht, wäre er wohl der pragmatische Kompromiss.

      • @663803 (Profil gelöscht):

        Geisel gehört in die Wüste geschickt.

        Geisel war der Innensenator, in dessen Verantwortung die Katastrophenwahl des Jahres 2021 fiel. Er wurde dann in Richtung Bau verschoben. Jetzt wäre es an der Zeit für einen Abschied aus der Politik.