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Schulen und Kitas schließen wegen CoronaEltern haben ein Problem

Ab nächster Woche könnten Millionen Arbeitnehmer ausfallen, weil sie zuhause ihre Kinder betreuen. Um ihr Gehalt müssen sie zittern.

Kitas und Schulen sollen in der kommenden Woche in allen Bundesländern schliessen Foto: Jens Büttner/dpa

Alle Bundesländer haben am Freitag wegen der Corona­gefahr beschlossen, Schulen und Kitas ab nächster Woche zu schließen. Damit werden demnächst wohl Millionen Beschäftigte ausfallen. Die Eltern müssten in vielen Fällen die Kinderbetreuung übernehmen – ob die bisherigen Regelungen zu Lohnfortzahlungen dann greifen, kann bisher niemand genau sagen. „Wir haben eine besondere Situation, die es so vorher noch nicht gab. Inwieweit die bisherige Rechtsprechung darauf anwendbar ist, das ist die Frage“, sagt die Arbeitsrechtsanwältin Kaja Keller von der Kanzlei Gansel in Berlin der taz.

Relativ klar ist die Rechtslage, wenn das Kind tatsächlich erkrankt ist und nicht nur wegen einer Kitaschließung zu Hause bleiben muss. Laut Sozialgesetzbuch V, Paragraf 45 stehen jedem Elternteil pro Kind 10 bezahlte Krankheitstage im Jahr zu, bei Alleinerziehenden sind es 20 Tage. Der Anspruch besteht nicht, wenn das kranke Kind zwölf Jahre oder älter ist.

Schwieriger ist die Situation, wenn Vater oder Mutter das Kind betreuen müssen, weil die Schule oder Kita wochenlang geschlossen hat, der Nachwuchs aber nicht erkrankt ist.

Im Falle von Kita- und Schulschließungen können sich Eltern nur auf den Paragrafen 616 im BGB berufen. Dieser sieht eine Entgeltfortzahlung vor, wenn der Arbeitnehmer „ohne sein Verschulden“ nicht zur Arbeit kommen kann. Aber diese Lohnfortzahlung gilt nur für kurze Zeit. Nach allgemeiner Auffassung seien unter dem ­Begriff der „verhältnismäßig“ kurzen Zeit „maximal 5 Arbeitstage zu verstehen“, informiert die IHK München-Oberbayern auf ihrer Website. Der Paragraf 616 im BGB sieht zwar keine ­Altersgrenze bei dem Kind vor, die Arbeitgeber könnten aber die Rechtsprechung zum Krankengeld für kranke Kinder heranziehen – die erwähnten zwölf Jahre also.

10 Millionen Kinder betroffen

Würden aufgrund der Corona­bedrohung alle Schulen und Kitas in Deutschland geschlossen, beträfe dies rund 10 Millionen Kinder unter zwölf Jahren in Deutschland. Zehntausende Familien müssen sich schon jetzt um die private Kinderbetreuung kümmern. Da alte Menschen bei einer Ansteckung zur gefährdeten Gruppe gehören, fallen die Großeltern als klassische Ersatzbetreuung diesmal aus, betonen Gesundheitsexperten.

Bleiben Kitas und Schulen wegen Corona tatsächlich mehrere Wochen geschlossen, ist das Entgelt nach Paragraf 616, wenn es nur fünf Tage gewährt wird, nur ein schmaler Trost. Die weitere Freistellung wäre dann unbezahlt. Die Erfahrung aus einem mehrwöchigen Kita-Streik in Westberlin vor rund 30 Jahren zeigte, dass viele Eltern damals ihren Jahresurlaub für den Kita-Streik drangaben.

In vielen Branchen ist Homeoffice gar nicht möglich

Kaja Keller, Anwältin für Arbeitsrecht

Die Schließungen von Schulen und Kitas sind Teil einer Kettenreaktion: Immer mehr ­Arbeitgeber ordnen Home­office an, also bezahlte Arbeit von zu Hause. Theoretisch können Eltern also am PC ackern und gleichzeitig den Nachwuchs bespaßen. Eine nervliche Herausforderung für alle Beteiligten. Und eine Situation, die für viele nicht machbar ist.

„In vielen Branchen ist Homeoffice gar nicht möglich“, sagt Kaja Keller. Wer im Handwerk tätig ist, in sozialen Berufen, im Handel, in der menschennahen Dienstleistung, der fällt aus, wenn sie oder er zu Hause bleiben muss.

Im Gesundheitswesen arbeiten überdies viele Frauen. Wenn die ausfallen, weil sie ihre Kinder betreuen müssen, gibt es ein großes Problem in Zeiten einer Pandemie. Dies müsse man bei Schulschließungen und deren Dauer beachten, sagte der Präsident des Robert-Koch-Instituts, Lothar Wieler. Aber vielleicht kümmern sich dann ja die Männer zu Hause ein bisschen mehr.

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2 Kommentare

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  • „...den Nachwuchs bespaßen...“ Wenn ich das schon lesen muss...Kinder müssen nicht ständig „bespaßt“ werden, schon garnicht in ernsten Situationen wie diesen. Redet altersangemessen und aufrichtig mit ihnen, macht dabei klar dass Panik jetzt falsch wäre...naja, eine gewisse Erziehung zur Selbstständigkeit wäre vorher auch nicht verkehrt gewesen...dann ist Homeoffice schon drin während sich Kinder ab dem späten Kiga-/frühen Grundschulalter durchaus auch mal ein paar Stunden alleine mit Lego & Co. beschäftigen können! Traut Eurem Nachwuchs einfach mal was zu!

  • Liebe TAZ, der Absatz zu den "bezahlten Krankheitstagen" ist so nicht ganz korrekt. Nach § 45 SGB V gibt es zwar Anspruch auf Kinderkrankengeld - das Krankengeld entspricht jedoch nicht dem regulären Arbeitsentgelt (zur Höhe vgl. § 47 SGB V). Zudem richtet sich der Anspruch gegen die gesetzliche Krankenversicherung (soweit eine solche besteht, also sowohl der Arbeitnehmer als auch das erkrankte Kind gesetzlich krankenversichert sind). Gegen den Arbeitgeber hat man allerdings währenddessen einen Anspruch auf unbezahlte Freistellung (§ 45 Abs. 3 SGB V). Für Privatversicherte gibt es in der Regel keinen Anspruch auf Kinderkrankengeld! Dies nur der Vollständigkeit und Klarheit halber in Ergänzung Ihres Artikels.