piwik no script img

Schuldenpaket für die nächste GenerationHoffen auf das Wachstum von morgen

Die junge Generation wird nicht unter den Billionen Euro neuer Schulden, die die Regierung aufnehmen will, leiden, sagt die Organisation FiscalFuture.

An diesem Donnerstag findet die erste Lesung des Gesetzes über die teilweise Aufhebung der Schuldenbremse im Bundestag statt Foto: Stefan Boness/Ipon

Berlin taz | Carl Mühlbach ist 28 Jahre alt. Vermutlich wird er noch 40 Jahre arbeiten und in dieser langen Zeit für die Schulden mitverantwortlich sein, die die älteren Herrschaften der neuen Regierung gerade beschließen. Denn die heute jungen Leute müssen künftig die Steuern aufbringen, mit denen die Zinsen für die neuen Kredite bezahlt werden.

Trotzdem ist Mühlbach entspannt. Das Finanzprogramm von Friedrich Merz (CDU) und Lars Klingbeil (SPD) hält er für „eine großartige Nachricht für junge Menschen“. Ja, räumt der Wirtschaftswissenschaftler ein, „Staatsverschuldung verursacht auch Kosten“. Unter dem Strich sei es für seine Generation aber teurer, „wenn die kommende Regierung keine zusätzlichen Schulden aufnähme und nicht investierte“. Schlechte Straßen und Bahnlinien, glaubt er, würden ihn dann in 20 Jahren viel Zeit kosten.

„Steuern sind ein fairer Preis für eine gute öffentliche Infrastruktur.“ Höhere Verteidungsausgaben hält Mühlbach für ebenfalls geboten. Mühlbach selbst ist SPD-Mitglied, wenngleich nicht in der Partei aktiv. Früher arbeitete er zeitweise im Büro eines SPD-Bundestagsabgeordneten und im Bundesfinanzministerium, als der Hausherr dort Olaf Scholz hieß.

Gesteigerte Produktivität soll Schulden bezahlen

Die Verschuldung des deutschen Staates wird den Beschlüssen von Union und SPD zufolge in der Größenordnung von 60 Prozent steigen. Momentan liegt sie bei etwa 2,5 Billionen Euro (2.500 Milliarden). In zehn Jahren könnten es rund 4 Billionen Euro sein. Genau weiß man das noch nicht. Aber der Plan läuft darauf hinaus, zusätzliche Kredite von 500 Milliarden Euro für zivile Investitionen aufzunehmen und vielleicht 1.000 Milliarden für Militär. An diesem Donnerstag findet die erste Lesung des Gesetzes über die teilweise Aufhebung der Schuldenbremse im Bundestag statt.

„Muss das irgendwann jemand bezahlen, wir vielleicht?“, fragen sich 20- und 30-Jährige. Das ist eine der Fragen, mit denen sich auch die Organisation FiscalFuture (finanzielle Zukunft) beschäftigt, die Carl Mühlbach 2021 mit einigen Mit­strei­te­r:in­nen gegründet hat. Sie bezeichnet sich als „überparteilich“ und will Finanzpolitik gezielt aus der Perspektive junger Menschen bearbeiten. Wenn Mühlbach neue Schulden gegen „gute Infrastruktur“ abwägt, geht es ihm um einen zentralen Begriff: Produktivität.

Die Effektivität von staatlicher Verwaltung, öffentlichen Netzen und privaten Unternehmen sei der wesentliche Quell von Wohlstand. Nur wenn möglichst viele Produkte und Dienstleistungen reibungslos, rationell und mit moderner Technik hergestellt werden, bleibe künftig genug Geld übrig, um Schulen, Theater, Krankenhäuser, Bürgergeld und Militär zu finanzieren, so glaubt seine Organisation.

Tatsächlich lautet der fast einhellige Befund heute: In den vergangenen 20 Jahren investierte Deutschland viel zu wenig, um dieses Ziel zu erreichen. Aber hat der junge Ökonom nicht Angst, dass ihm und seiner Generation die Schulden über den Kopf wachsen? „Da mache ich mir keine Sorgen“, sagt Mühlbach, „denn Investitionen führen zu mehr Wachstum.“ Dann nehme das Bruttoinlandsprodukt (BIP) stärker zu als ohne die geplanten Ausgaben. Langfristig könne man deshalb davon ausgehen, „dass der Schuldenstand im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung wieder sinkt“, erklärt er. „Meine Generation macht dann ein gutes Geschäft.“

Wachstum ist nicht nur positiv

Doch spricht nicht die mögliche Inflation dafür, mit neuen Krediten vorsichtig umzugehen? Der Mechanismus könnte so aussehen: Die große staatliche Finanzspritze erhöht die Nachfrage nach Produkten und Dienstleistungen so, dass sie das Angebot übersteigt. Ergebnis: Die Unternehmen können die Preise erhöhen. Mühlbach aber glaubt: „Die deutsche Wirtschaft ist nicht ausgelastet und kann eine zusätzliche Nachfrage gut absorbieren.“

Ob der Finanzexperte richtig gelegen haben wird, weiß man vielleicht in zehn Jahren. Die Mehrheit der Ökonom:innen, die sich zurzeit politisch äußern, unterstützen seine Position. Aber es gibt auch Gegenstimmen wie die des Freiburger Wirtschaftsprofessors und FDP-Beraters Lars Feld, der vor hohen Zinskosten und Inflation warnt. Auch ein grundsätzlicher Einwand bleibt. Die Schulden von heute erzwingen das Wachstum von morgen. Ohne das Prinzip des „Immer mehr“ funktioniert die Kalkulation nicht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

10 Kommentare

 / 
  • "...räumt der Wirtschaftswissenschaftler ein, „Staatsverschuldung verursacht auch Kosten“. Unter dem Strich sei es für seine Generation aber teurer, „wenn die kommende Regierung keine zusätzlichen Schulden aufnähme und nicht investierte“. Schlechte Straßen und Bahnlinien, glaubt er, würden ihn dann in 20 Jahren viel Zeit kosten."



    Die Argumentation ist interessant, wo doch die taz-Community auch die Beiträge von Ulrike Herrmann bestens kennt.



    Dennoch sehe ich den Versuch der Quadratur des Kreises wegen der demografischen Entwicklung und des Fachkräftemangels, ein Spannungsfeld mit Disruptionsgefahren.



    "Wird nicht investiert, erben unsere Kinder eine Schrotthalde



    Schulden zerstören den Bundeshaushalt und belasten die nächsten Generationen? Ein Faktencheck zeigt: Das stimmt so nicht."



    taz.de/Faktencheck...enbremse/!6067508/

    Bei diw.de



    "Implizite Staatsschulden, wie die zukünftigen Kosten für die Sozialsysteme und die Klimakrise, dürfen nicht weiter steigen, sondern müssen proportional mit dem Rückgang des Erwerbstätigenpotenzials abnehmen."



    (...)



    "Nicht jede Investition in Infrastruktur muss – vor allem bei einer schrumpfenden Gesellschaft – sinnvoll sein."



    Lesenswert

  • Merkwürdig wie derzeit von vielen so getan wird, als seien zusätzliche Schulden für zukünftige Generationen gar kein Problem. Da verschwinden auf wundersame Weise Aspekte der Inflation, der Kreditwürdigkeit des Landes, es wird so getan, als ließen sich die jetzigen Schulden in der Zukunft durch immer neue Schulden kompensieren..der wie in diesem Artikel durch unendliches Wachstum.







    (aber wie heißt es so schön: "wer glaubt auf einem endlichen Planeten unendliches Wachstum generieren zu können, ist entweder verrückt oder Wirtschaftswissenschaftler").







    Nochmal: neue Schulden werden auf die eine oder andere Weise von zukünftigen Generationen zu tragen sein. Deshalb muss hier der eherne Grundsatz gelten, daß:

    -> NEUE SCHULDEN VOR ALLEM DEN ZUKÜNFTIGEN GENERATIONEN ZU GUTE KOMMEN WERDEN.!!!







    Die bisherigen Pläne der Koalitionäre bilden das aber nicht ab.

    Den Wehretat kurzfristig aufzustocken ist o.k.

    Eine echte Reform der Schuldenbremse gehört aber ins neue Parlament und muss grundlegend, auch in der Gesellschaft durchdacht und diskutiert werden. Und warum auch nicht. Wenn die Linke daran beteiligt ist, darf man ja sogar auf mehr soziale Gerechtigkeit und Klimaschutz hoffen.

  • Ich möchte hier noch einmal daran erinnern, dass wir die Schulden unserer Eltern - oder noch schlimmer: die unserer Großeltern und Urgroßeltern - auch nicht getilgt haben. Ein bisschen Inflation tilgt die Schulden irgendwann fast von alleine und bei der Bonität Deutschlands zahlen wir sehr niedrige Zinsen. Alles keine wirklichen Gründe, sich Sorgen zu machen.

    • @Aurego:

      Sorgen bereitet mir eher, dass man der Bevölkerung weismachen möchte, neue Schulden würden irgendwelche Probleme lösen. Wer bitte glaubt denn wirklich daran, dass unser Bildungssystem, Gesundheitswesen, Strassen oder ÖV durch diese Schulden besser wird?

      Natürlich kann man jetzt hunderte Milliarden auf Pump in die Infrastruktur investieren. Nur ist man bisher schon nicht in der Lage, diese Infrastruktur zu unterhalten. Neue Schulden werden daran auch nichts ändern. Wir werden in 5 - 10 Jahren wieder gleich weit sein, nur um einen riesigen Schuldenberg "reicher". Schon jetzt zahlen wir 30 und mehr Milliarden nur an Schuldzinsen, Jahr für Jahr. Ja, die Zinsen sind momentan niederig. Und in 10 Jahren? Was sagt da Ihre Glaskugel? Ist es schlau, trotz absehbarer demografischen Problemen und Unsicherheiten noch mehr Schulden anzuhäufen?

      • @Micha.Khn:

        Jeder private Investor (und jeder Häuslebauer) weiß, dass es wesentlich besser ist, JETZT zu investieren und die Investition über Schulden zu finanzieren, als die benötigten Finanzmittel jahrelang mühsam anzusparen und die jetzt benötigten Investition erst in vielen Jahren tätigen zu können.

        • @Aurego:

          Es vertraut halt niemand mehr Regierung und Staat, das Geld für die versprochenen Dinge auszugeben.

  • Eine wirtschaftliches Wachstum morgen zum Ausgleich der Schulden von heute zerstört die Lebensgrundlagen der nächsten Generationen entgültig. Kann wieder das Buch von Ulrike Hermann " das Ende des Kapitalismus" empfehlen. Der Planet wird durch immer mehr für Menschen unbewohnbar. Trotzdem sollten jetzt die Weichen in Richtung nachhaltiges Wachstum mit Schuldenmachen gestellt werden. In einer lebenswerten Zukunft wird auf einer globalisierten Welt eine andere Form des Wirtschaften notwendig. Ansonsten schabbes für den Homo sabiens.

    • @Heinz Kurtenbach:

      Der Zusammenhang zwischen Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch ist nicht zwagsläufig 1:1. Eine wachsende Wirtschaftsleistung ist eine ideelle Größe, meist monetär bemessen. Der Ressourcenverbrauch ist absolut und in qm, kg etc zu messen.



      Wirtschaft kann auch durch Recycling von Ressourcen wachsen, auch durch Dienstleistungen. Dieses Wachstum ist nicht zwangsläufig mit einem Mehr an Ressourcen verknüpft, es hängt alles von der Ausgestaltung ab.



      Sicher ist aber, eine Wirtschaft, die in ihrer Wirtschaftsleistung nicht wächst, kann nur davonleben anderen etwas wegzunehmen, anders könnte niemand mehr Lohn bekommen, könnte eine Firma expandieren etc. alles was jemand an Mehr bekommt, muß jemand anderem weggenommen werden. (So haben wir , als D das die letzten Jahrzehnte getan, unser Wachstum, war vom Ausland finanziert, nur so konnte die dt Wirtschaft wachsen und gleichzeitig alle sparen, das Ausland hatte entsprechend weniger. Dass das nicht auf Dauer funktionieren kann, ist schnell zu verstehen)

      • @nutzer:

        Ihre erste Aussage zur Korrelation von Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch ist völlig richtig.



        "Sicher ist aber, eine Wirtschaft, die in ihrer Wirtschaftsleistung nicht wächst, kann nur davonleben anderen etwas wegzunehmen ... unser Wachstum, war vom Ausland finanziert, "



        Hier liegt allerdings eine Fehleinschätzung vor. Denn wenn dem so wäre, würden hierzulande keine Schulden entstehen. Die 2,5 Billionen Euro Staatsschulden beruhen allerdings genau darauf, dass unser Wohlstand gewachsen ist.



        Was Sie wahrscheinlich meinen ist der preisliche Vorteil im Handel. Firmen kaufen günstig Waren aus dem Ausland, weil durch Marktmacht und andere Mechanismen nicht der real notwendige Preis gezahlt wird. Diese Art der unternehmerischen Ausbeutung hat aber wenig zu tun mit staatlichen Investitionen in Infrastruktur, Bildung, Gesundheitssysteme, etc.

  • Das funktioniert halt nur wenn Schulden wirklich ausschließlich für langfristige Investitionen aufgenommen werden. Staatsschulden sind nicht automatisch zweckgebunden; wenn die Regierung z.B. die Rentenreform verschleppt weil sie dank neuer Schulden keinen Druck spürt, dann genießt die ältere Generation mehr Freizeit und Konsum auf Kosten der jüngeren.