Schraubenzieher-Attacke in Regionalzug: Rassistisch, lebensbedrohlich – aber kein Mordversuch
Ein Fan der SS wurde wegen Körperverletzung gegen einen Senegalesen verurteilt. Von seiner Tötungsabsicht sei er zurückgetreten, meint das Gericht.
Kasim S., ein in Osnabrück lebender schwedischer Staatsbürger kosovoalbanischer Herkunft, zeigt mehrfach den Hitlergruß, ritzt Hakenkreuze und SS-Runen in Rückenlehnen. Er provoziert Moussa L. massiv, sagt, Deutschland sei sein Land, er könne hier machen was er wolle. L. versucht zu deeskalieren, physischen Abstand zu herzustellen. Da sticht S. mit einem Schraubenzieher auf ihn ein, immer wieder.
Kasim S. zielt auf Kopf, Hals und Herzgegend, auf den Oberschenkel, die Schulter. Er beißt. Moussa L. hilft seine Körpergröße, seine Kraft, seine Erfahrung in Selbstverteidigung. Er wehrt die Angriffe ab, wird dabei mehrfach verletzt, bringt S. schließlich zu Boden. Zeugen helfen ihm.
Die Anklage lautet auf versuchten Mord, Sachbeschädigung, Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Und auf Diebstahl, denn S. hat an diesem Abend auch das Handy eines Zeugen entwendet.
Kasim S. muss für mehr als vier Jahre in Haft
Am Mittwoch, sieben Monate später, hat die 6. Große Strafkammer des Landgerichts Osnabrück das Urteil gesprochen: Kasim S., voll schuldfähig, muss für vier Jahre und drei Monate ins Gefängnis, wegen gefährlicher Körperverletzung. Hinzu kommen drei kleinere Geldstrafen.
Kasim S. wird in Hand- und Fußfesseln in Sitzungssaal 272 geführt. Den Vorsitzenden Richter, der ihn oft persönlich anspricht, ignoriert er demonstrativ. Bohrend fixiert er dagegen Moussa L., der ihm als Nebenkläger gegenübersitzt, zuweilen auch das Publikum. Seine Körpersprache signalisiert Anspannung, Ablehnung, Abwehr.
Dass der Richter sagt, er habe mit „bedingtem Tötungsvorsatz“ gehandelt, seine Verletzungsabsicht sei „potenziell lebensbedrohlich“ gewesen und geprägt von „rassistischer Gesinnung“, er habe eine „fremdenfeindliche Anschauung“, scheint ihn nicht zu berühren.
Kasim S. sieht sich als Nachfahren eines Generals der 21. Gebirgsjäger-Division „Skanderbeg“ der Waffen-SS, obwohl nur die unteren Dienstränge des Großverbands aus muslimischen Albanern bestanden. Das Hintergrundbild seines Mobiltelefons zeigt das Truppenkennzeichen der Division, flankiert von SS-Doppelrunen. Die Division war an Terror gegen die Zivilbevölkerung beteiligt, an Deportationen in Konzentrationslager.
Der rassistische Hintergrund der Tat sei ein „niederer Beweggrund“, und das sei ein Mordmerkmal, sagt Rechtsanwalt Jan Sürig der taz, der Moussa L. vertritt. Doch die 6. Große Strafkammer lässt den Vorwurf des versuchten Mordes fallen. S. habe von L. abgelassen, „hinreichend freiwillig“, so das Gericht, obwohl er ihn weiter habe attackieren können. S. sei in Deutschland nicht einschlägig vorbestraft. Zudem sei L. nur oberflächlich verletzt worden, seine Wunden seien schnell und folgenlos verheilt. Die rassistische Motivation der Tat betont das Gericht allerdings stark. Es berücksichtigt ihn deutlich als strafverschärfend.
An Moussa L., den er vorher im Großraumabteil von mehreren Sitzplätzen aus beobachtet und auch heimlich fotografiert hatte, hat Kasim S. sich abreagiert, weil L. Schwarz ist. S. ist nicht in der organisierten Nazi-Szene vernetzt, er hat keinen Szene-Anwalt, im Publikum sitzen keine Nazis. Aber er habe die rechte Ideologie verinnerlicht, sagt der Richter, habe L. als „unwert“ gesehen. Auch auf dem Handy von Kasim S.: Ein halb ausgefüllter AfD-Mitgliedsantrag.
Der Angeklagte zeigte keine Reue
Während des Prozesses hat S. weit gehend geschwiegen. Geständig war er nicht. Mehr noch: „Er hat nicht zu erkennen gegeben, dass er die Tat in irgendeiner Art bereut“, sagt Sürig.
Kasim S. hat nun das das Recht auf Revision. In Haft bleibt er jedoch, wegen Fluchtgefahr. In der Justizvollzugsanstalt Lingen hatte er einen Ausbruchsversuch unternommen. Auch dort ist er mit Nazi-Schmierereien aufgefallen.
„Wir sind enttäuscht über die Verurteilung des Täters zu gefährlicher Körperverletzung“, schreibt eine Vertreterin des Osnabrücker Regionalbüros Nordwest der Betroffenenberatung Niedersachsen der taz. In Anbetracht der Brutalität des Angriffs und der Tatsache, dass der Täter die einzige für ihn wahrnehmbare schwarze Person im Abteil gezielt ausgewählt habe, in Anbetracht seiner „geschlossenen rassistischen, rechten Einstellung“, falle das Urteil gering aus. „Rechte Gewalt sendet eine Botschaft an alle Menschen, die potentiell von ihr betroffen sein können“, betont die Betroffenenberatung. „In diesem Zusammenhang sendet das Urteil falsche Signale an Betroffene rechter Gewalt.“
*Name geändert
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