Sanktionen gegen Irans Revolutionsgarden: Streit um EU-Terrorliste
Die EU-Staaten streiten über weitere Iran-Sanktionen. Es soll die Revolutionsgarden treffen – für die iranische Wirtschaft wäre das ein harter Schlag.
Um die Einstufung der Revolutionsgarden als Terrororganisation wird seit Monaten verhandelt und gestritten. Am Mittwoch hatte das Europäische Parlament seine Haltung zu den Revolutionsgarden verdeutlicht: „Angesichts ihrer terroristischen Aktivitäten, der Unterdrückung von Demonstranten und der Lieferung von Drohnen an Russland“ solle die EU die iranischen Revolutionsgarden samt Hilfstruppen auf die EU-Terrorliste setzen, forderte eine Mehrheit der Europaabgeordneten.
Das iranische Außenministerium warnte die EU vor diesem Schritt. Dies hätte „negative Folgen“, die EU würde sich selbst schaden. Die Stellungnahme der EU-Parlamentarier sei „unangemessen“.
Die EU-Staaten wollen am Montag neue Sanktionen gegen den Iran beschließen. Es wäre das vierte Sanktionspaket der EU gegen den Iran nach Beginn des aktuellen Aufstands gegen das islamistische Regime im September. Einer Vorab-Einigung zufolge werden sie rund drei Dutzend Personen und Organisationen treffen, die an der brutalen Unterdrückung von landesweiten Protesten nach dem Tod der 22-jährigen Jina Mahsa Amini beteiligt sind. Wer genau sanktioniert wird, ist noch geheim. Die Revolutionsgarden werden aber am Montag zunächst nicht auf die EU-Terrorliste gesetzt.
Linke kritisiert unklare Kommunikation
Die Linkspartei indes vermisst in Deutschland erneut eine eindeutige Haltung des Außenministeriums bezüglich der Terror-Einstufung der Revolutionsgarden. Auf eine Frage der Linken-Abgeordneten Martina Renner im Bundestag hatte Europa-Staatsministerin Anna Lührmann am Mittwoch in einer schriftlichen Antwort erklärt: Mit Blick auf den Rat für Auswärtige Angelegenheiten am kommenden Montag werde „bereits an weiteren Listungen gearbeitet, darunter auch Individuallistungen von iranischen Revolutionsgarden.“ Unerwähnt blieb allerdings das Vorhaben, die Garden auch als komplette Organisation auf die Terrorliste der EU aufzunehmen.
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hatte mehrfach bekräftigt, sich seit Monaten dafür einzusetzen. Erst vor zehn Tagen aber hatte der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen den Willen des Außenministeriums diesbezüglich in Frage gestellt. Außenministerin Baerbock gab danach ein klares Statement ab: „Die Revolutionsgarde als Terrororganisation zu listen ist politisch wichtig und sinnvoll“, erklärte Baerbock auf Twitter. Vor einer Listung müssten aber rechtliche Hürden genommen werden.
Linken-Politikerin Renner kritisiert nun eine erneut indifferente Haltung und Kommunikation: „Dass die Außenministerin öffentlich von einer Gesamtlistung spricht, das Auswärtige Amt nun lediglich von Individuallistungen, zeigt, dass das weitere Vorgehen diesbezüglich offen gelassen wird“, sagte Renner der taz.
„Angesichts fünf durchgeführter Todesurteile drängt die Zeit, Maßnahmen gegenüber dem iranischen Regime auszuweiten und alle Möglichkeiten auszuschöpfen“, sagte Renner weiter. In ihrer Frage im Bundestag hatte sie auch darauf hingewiesen, dass Deutschland für den Iran trotz Hinrichtungen und Menschenrechtsverletzungen nach wie vor der wichtigste Handelspartner in der EU ist. „Die Revolutionsgarden sind im Iran ein starker Wirtschaftsakteur. Die lange überfällige Listung als Terrororganisation, und damit mögliche Sanktionen und Vermögenseinziehungen, würden sie hart treffen.“ Zudem forderte Renner, Botschaftsangehörige auszuweisen, die offensichtlich für den iranischen Geheimdienst agierten.
Außenministerium beteuert klaren Kurs
Auf Nachfrage der taz verwies das Außenministerium auf das klare Statement von Außenministern Baerbock, die Revolutionsgarden als Terrororganisation auf EU-Ebene listen zu wollen. „Wir haben die EU gebeten, die rechtlichen Voraussetzungen dafür zu prüfen. Parallel dazu arbeitet die Bundesregierung weiterhin daran, die Verantwortlichen für die gewaltsame Niederschlagung der Proteste und die Repressionen in Iran zur Rechenschaft zu ziehen“, erklärte ein Sprecher des Auswärtigen Amts.
Bereits in den letzten Monaten seien Dutzende Anführer sowie regionale Verbände der Revolutionsgarden individuell nach dem Menschenrechts-Sanktionsregime gegen Iran gelistet. Zudem verwies der Sprecher auf die neuen Sanktionsvorhaben des EU-Außenrats am Montag. Staatsministerin Führmann hatte auch daran erinnert, dass die Bundesrepublik in November die Sondersitzung des Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen initiiert hatte, bei der eine Aufarbeitung der Menschenrechtsverletzungen im Iran mandatiert wurde.
Dazu, warum die klare Haltung zur Terrorlistung sich nicht auch in der Antwort der Staatsministerin im Bundestag niederschlug, gab das Auswärtige Amt keine Erklärung ab.
Neben dem regelmäßigen Verweis auf rechtliche Hürden gibt es politische Vorbehalte einzelner EU-Staaten. So wird teilweise an die Fortführung des Atomabkommens geglaubt, eine Terror-Listung der Revolutionsgarden stünde dem im Weg. Ebenso scheint manchen die Wirtschaftsmacht der Revolutionsgarden zu groß, um Verbindungen komplett kappen zu wollen.
Aufnahme auf Terrorliste hätte weitreichende Folgen
Laut Experten hätte die Einstufung der Revolutionsgarden als Terrororganisation, über individuelle Sanktion hinaus, jedenfalls eine weitreichende Bedeutung. Julia Grauvogel, Expertin für Sanktionen und Forscherin am Leibniz-Institut für Globale und Regionale Studien in Hamburg, erklärte der taz: „Die Revolutionsgarden sind an zahlreichen Unternehmen beteiligt. Diese Firmen wären dann von den entsprechenden Sanktionen für Terrororganisationen, also dem Einfrieren von Geldern und sonstigen Vermögenswerten, betroffen, sodass wirtschaftliche Beziehungen nicht mehr möglich wären.“
Für Grauvogel hätte die Einstufung insofern eine wichtige symbolische Bedeutung, aber auch wirtschaftlich massive Auswirkungen. „Das ist auch der Grund, warum das iranische Regime auf die Ankündigung so sensibel reagiert.“
Der Politikwissenschaftler Ali Fathollah-Nejad verweist diesbezüglich auf Schätzungen, wonach die Revolutionsgarden mit jedem zweiten Unternehmen im Iran verbunden seien. Wichtige Industriebereiche wie Bau, Verkehr, Telekommunikation und Energie würden von ihnen dominiert. Der Islamwissenschaftler Wilfried Buchta schätzte 2020, dass die Revolutionsgarden weit über 1.200 Firmen und Unternehmen in Iran und im Ausland besäßen und damit mindestens 40 Prozent der gesamten iranischen Wirtschaft kontrollierten.
Die Revolutionsgarden sind direkt dem Revolutionsführer Ali Chamenei unterstellt und wurden nach der islamistischen Revolution 1979 als Gegengewicht zur regulären Armee gegründet. Die EU und das deutsche Außenministerium werfen den Revolutionsgarden schwere Menschenrechtsverletzungen vor.
Die sogenannte EU-Terrorliste wurde als Reaktion auf die Anschläge des 11. September 2001 eingeführt und umfasst laut Europäischem Rat aktuell 21 Organisationen und 13 Einzelpersonen, die mit terroristischen Handlungen in Verbindung gebracht werden. Die Liste wird mindestens zweimal im Jahr überprüft, es ist möglich, dagegen zu klagen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos