Salvini versus Seenotrettung: Der Scharfmacher und sein Volk
Italiens rechter Innenminister Matteo Salvini weiß sich in seiner harten Linie gegen Seenotretter wie Carola Rackete im Einklang mit der Mehrheit.
Dann geht der Griff zum Smartphone, sofort ist Umberto auf Salvinis Facebookseite, geht auf einen Videopost, auf dem der Minister gegen Carola Rackete, die „deutsche Kriminelle“, wettert und gegen die Migranten, die in Italien nichts verloren haben.
Wochenlang beschäftigte das Kräftemessen zwischen der deutschen NGO SeaWatch und Salvini Italien. Erst bekamen die Retter vom Innenminister ihr Fett weg, dann, nach der Aufhebung des Haftbefehls gegen die Kapitänin, auch die Justiz. Die müsse dringend „reformiert“ werden, damit solche „Schandurteile“ nicht fallen, und die zuständige Richterin solle doch gefälligst aus dem Justizdienst ausscheiden und „für die Linke kandidieren“, zürnt der Lega-Chef.
Und schon kündigt sich die nächste Runde in seiner Auseinandersetzung mit den Rettern an. Am Donnerstag nahm das Segelschiff Alex der italienischen NGO Mediterranea 54 Menschen an Bord, steuerte dann Richtung Lampedusa.
Diesmal kann Salvini nicht wie im Fall der unter niederländischen Flagge fahrenden und von einer deutschen Organisation betriebenen SeaWatch verlangen, die Flüchtlinge sollten doch in die Niederlande oder nach Hamburg geschafft werden. Doch auch jetzt kennt er ein alternatives Reiseziel, Italiens Grenzen seien „heilig“, Lampedusa stehe „nicht zur Verfügung“, die Alex könne doch Kurs auf Tunesien nehmen.
„Wo sollen die je Arbeit finden?“
Stattdessen ist „Alex“ inzwischen Richtung Malta unterwegs. Das Segelschiff sei jedoch nicht in der Lage, die Geretteten an Land zu bringen, erklärt die Hilfsorganisation und bittet daher darum, diese mit Motorbooten der italienischen oder maltesischen Küstenwache nach Malta fahren zu können.
Unter den Flüchtlingen sind den Angaben zufolge 22 Frauen, darunter zwei Schwangere. Die meisten stammen demnach aus der Elfenbeinküste, aus Guinea und Kamerun.
Nachdem die Hilfsorganisation dazu aufgefordert hatte, die Geretteten mit Motorbooten der Küstenwache nach Malta zu bringen, erklärte Salvini im italienischen Fernsehen, es handele sich offenbar um einen „Akt der Piraterie“. Die Seenotretter bezeichnete er als „Hausbesetzer“.
Völlig richtig, findet Sara, auch sie nennt ihren Nachnamen nicht. Die junge Frau verdient als Verkäuferin ihr Geld, und sie glaubt, schon jetzt seien zu viele Migranten im Land, „wo sollen die je Arbeit finden?“ Mittlerweile treffe man doch an jeder Straßenecke bettelnde Afrikaner, und früher oder später müssten die doch in die Kriminalität abrutschen.
Linke im Abseits, wenn sie offene Grenzen propagiert
Der ältere Mann neben ihr am Tresen der Espressobar nickt, „arme Schweine“ seien das, er selbst würde auch zu kriminellen Methoden greifen, wenn er in ihrer Haut stecken würde – also gebe es keine andere Lösung, als sie draußen zu halten.
Die Kapitänin der deutschen Hilfsorganisation „Sea-Watch“ will den italienischen Innenminister Matteo Salvini wegen Verleumdung verklagen. „Wir haben bereits eine Klage (gegen Minister Salvini) vorbereitet“, sagte Racketes Anwalt Alessandro Gamberini dem Radio Cusano Campus am Freitag. Es sei nicht einfach, alle Beleidigungen, die Salvini in diesen Wochen gemacht habe, zu sammeln. Salvini habe nicht nur Beleidigungen ausgesprochen, sondern auch zu strafbaren Handlungen angestiftet. Das sei noch schwerwiegender, wenn es ein Innenminister tue, sagte Gamberini.
„Er ist es, der die Wellen des Hasses bewegt“, sagte Gamberini mit Blick auf Salvini. Es sei zwar schwer, mit einer Verleumdungsklage diesem Hass entgegenzutreten. Es gehe aber darum, ein Zeichen zu setzen. Erst am Freitag bezeichnete Salvini die 31-Jährige auf Facebook als „reiche und verwöhnte deutsche Kommunistin“.
Nur wenige Stimmen erheben sich gegen diesen Chor. Am Freitag veröffentlichte die Tageszeitung La Repubblica einen Artikel Matteo Renzis, bis Ende 2016 Ministerpräsident, bis März 2018 Vorsitzender der gemäßigt linken Partito Democratico.
Rom selbst, so Renzi, sei doch dem Mythos nach von einem Migranten – von Romulus – gegründet worden, und während Salvini es „ekelhaft“ findet, dass Carola Rackete auf freien Fuß gesetzt wurde, greift Renzi mit ganz anderer Stoßrichtung zum selben Adjektiv: „Aus Wahlkalkülen Menschen im Meer zu lassen, ist ekelhaft“, befindet er.
Daniela verzieht die Mundwinkel, als sie den Namen Salvini hört. Nie würde sie den wählen, doch auch sie – Römerin jenseits der 60 – hat ihre Zweifel, glaubt, dass die Linke definitiv im Abseits landet, wenn sie „offene Grenzen“ propagiert. Italien allein sei überfordert, meint sie, das Problem bedürfe einer europäischen Lösung, und Salvini wirft sie vor allem vor, dass er seit seinem Amtsantritt vor gut einem Jahr sich nur ein einziges Mal bei einem der Gipfel der EU-Innenminister habe blicken lassen.
Doch Salvini muss sich über solche Einwürfe keine Sorgen machen. 60 Prozent der Italiener gaben ihm in einer vor wenigen Tagen durchgeführten Meinungsumfrage in der Auseinandersetzung mit SeaWatch recht, nur 29 Prozent meinen, die deutsche NGO habe richtig gehandelt.
Und die Lega ist so populär wie nie: Während sie bei den Europawahlen am 26. Mai 34 Prozent holte, liegt sie jetzt bei 38 Prozent, und die noch rabiatere Rechtspartei Fratelli d’Italia („NGO-Schiffe versenken!“) kommt auf 6,4 Prozent.
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