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SPD vor Ampel-GesprächenSchönmalen nutzt nichts

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

Die SPD redet sich die mögliche Ampel-Koalition schön. Es wäre Nüchternheit angesagt: Mit der FDP zu verhandeln, wird für die Genossen strapaziös.

Großer Jubel am Wahlabend in der SPD-Zentrale Foto: Wolfgang Rattay/reuters

O berflächlich gesehen existiert das alte Volksparteiensystem noch. Merkel geht, Scholz kommt, wahrscheinlich. Die Union ist zu kaputt, um weiterzuregieren. Ein Wechsel von Volkspartei zu Volkspartei. Wie im Bilderbuch.

Das ist ein Irrtum. Das Bild ist neu: Die Großen sind darin kleiner, die Kleinen größer. Das alte System ist nicht implodiert wie in Italien. Die bundesdeutsche Version der Post-Volkspartei-Ära sieht vertraut aus – und ist doch etwas Neues.

Die SPD klingt derzeit allerdings manchmal, als sei sie nach einem Albtraum wieder in der heilen, alten Volksparteienwelt aufgewacht. Das Treffen von Grünen und FDP verkleinerte sie zur Vergangenheitsbewältigung. Dabei war das gelb-grüne Gruppenfoto eine Ansage für die Zukunft: FDP und Grüne haben zusammen mehr gewählt als die SPD. Wenn die SPD trotzdem glaubt, sie verkörpere wieder das große Ganze und FDP und Grüne seien zweitrangige Milieuparteien, dann hat sie die Wahl missverstanden. Dann wird auch die Ampel nur kurz flackern. Die Zeit der Koch-und-­Kellner-Metapher ist vorbei.

Man kann die Euphorie der SPD, die schon auf dem Weg ins Nichts schien, verstehen. Aber nach dem Rausch sollte sie ausnüchtern und erkennen: Sie ist eine von vier mittelgroßen Parteien. Ihren Sieg verdankt sie Olaf Scholz und ihrer Selbstversöhnung mit der Agenda-Politik – aber auch der taumelnden CDU und verkrampften Grünen.

Sinnstiftende Erzählung gesucht

Neben Selbstüberhöhung droht der SPD noch eine Gefahr: der rosarote Blick auf die Ampel. Schon bevor man sich getroffen hat, verklären die Genossen die Ampel zum historischen Ereignis. Sogar der kühle Scholz erinnert an Willy Brandts sozialliberale Koalition. Die setzte nach 1969 überfällige Reformen um und verband erstmals seit 1949 kleinbürgerliche Arbeiterbewegung und liberales Bürgertum. Die Ampel wird aber nichts Vergleichbares. Sie ist kein Ausdruck gesellschaftlichen Reformdrucks, sondern machtpolitischer Zwänge. Deshalb wirken auch die Versuche, nun rasch eine sinnstiftende Erzählung für sie zu erfinden, akademisch.

Die Ampel wird für die SPD strapaziös. Die SPD ist wiederauferstanden, weil sie glaubhaft soziale Gerechtigkeit verkörpert. Wie das mit einer absehbar starrsinnigen FDP zusammengehen soll, ist offen. Die Abschaffung des Solis für Reiche ist ein 10-Milliarden-Euro-Geschenk genau für die, die die SPD doch zur Kasse bitten will.

Mag sein, dass an der Ampel kein Weg vorbeiführt. Aber sie jetzt schönzumalen, wird die Enttäuschung noch bitterer schmecken lassen. Bleibt auf dem Boden, GenossInnen! Dann wird der Fall nicht so schlimm.

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Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.
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25 Kommentare

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  • Spätestens Ende nächster Woche wird die Ampel gar keine Option mehr sein. Ich kenn doch meine Pappenheimer.

  • Das komischste an alldem ist, dass die große Koalition fortgesetzt wird. Entweder mit der Union, oder mit der FDP an der Regierung, denn ohne sie geht es nicht. Man muß immer wahrhaben, dass Schrumpfen von der Union mit Wachstum von der FDP völlig ausgeglichen wird.

    • @Valery Pokrowski:

      Also wenn man sich die Stimmenverschiebung anschaut stimmt das einfach nicht. Die Union hat wesentlich mehr verloren als die FDP gewonnen hat.

  • Dabei war das gelb-grüne Gruppenfoto eine Ansage für die Zukunft: ??

    Zukunft von den Balkon-Parteien die uns die GroKo beschert haben, jetzt ran müssen und schon mal auf dem Selfie-Hipster-Balkon posieren.

    • @jeggert:

      Gemäß Wahlergebnisse ist das eine Ansage für die nächsten 4 Jahre. Also Ja.

  • Das Grundproblem der SPD könnte sein, daß bei „Jamaika“ alle drei Partner im Grunde das gleiche Klientel bedienen, nämlich die besser-verdienende bürgerliche Schicht.



    Die Eltern der Grünen und Gelben haben oft Schwarz gewählt und am Ende fällt der Apfel eben doch nicht so weit vom Stamm.



    Man sieht es in vielen Bundesländern, schwarz-grün funktioniert ziemlich geräuschlos.



    Für eine funktionierende Ampel müsste sich die SPD ähnlich bürgerlich geben, das wird nicht leicht.

  • Von HartzIV wollten sich die SPD doch sowieso nicht verabschieden. Insofern würde es mindestens die SPD-Rechte toll finden, dass sie mit FDP und Grüne zwei Sündenböcke hätte, auf die sie schlechte Sozialpolitik abschieben könnte. Die Belohnung von Betrieben, die Angestellte so schlecht bezahlen, dass sie "aufstocken" müssen soll nach Vorstellungen von Grüne und FDP ja noch ausgebaut werden. Der an den roten Socken mitstrickende Agenda2010-Scholz würde das sicher auch freuen. Der moderne Slogan vom Aufstiegstraum ginge dann wohl wie folgt: von aufstockende*r Tellerwäscher*in zu cum-ex(ender) Millionär*in ;-/

    • @Uranus:

      Hartz IV wird sowieso keine Partei auf absehbare Zeit abschaffen, weil sie nicht wissen, wie sie es dann finanzieren sollen.

      • @rero:

        Die Linke geht ja schon in die Richtung. Mit bspw. Steuererhebungen auf Finanztransaktionen, Vermögen und Erbschaften ließe sich da einiges finanzieren. Und von Quandt, Klatten, Albrecht, Schwarz usw. ließe sich einiges (zurück) holen. Siehe auch:



        de.wikipedia.org/w...eichsten_Deutschen

    • @Uranus:

      Hätt jätt...

      • @Willi Müller alias Jupp Schmitz:

        Oh, da brauche ich wohl eine Übersetzung.

        • @Uranus:

          Gerne - Hat was, has something, a quelque chose;



          nur in den mir geläufigen Idiomen...



          Hätt jätt - eben !

          • @Willi Müller alias Jupp Schmitz:

            Sänx! ;-)

          • @Willi Müller alias Jupp Schmitz:

            Noch ne Übersetzung:



            ...the english army had just won the war...

  • Künert denkt, es sei nicht nur eine Person gewählt worden, sondern eine Partei. Das ist aber nur formal richtig. Scholz wurde nicht wegen der SPD, sondern trotz ihr gewählt.

  • Herr Reinecke, ich bin bei Ihnen.



    Danke für die Analyse.



    Nichtsdestotrotz dürfen wir nicht vergessen, dass der allseits unvermeidliche O.S. auch steht für



    G20



    Wirecard



    Cumex



    Reihenfolge egal



    ...



    von FDP und anderen Granden gar nicht zu reden.......

  • Liggers. Schlage als Mediator - le petit cheflereporter🧹 - Peter Unfried vor. Gellewelle.



    Unser aller Superhyperpiper - dem rinkslechts SM-like wumpe ist! - 🤔 -



    Wird “den alten Blödmann“(sei Perle;) Krischan us Wermelskirchen auf den Topf setzen - Oil of Olaf I. links liegen lassen & alles mit AnnKobold&Herbie in seiner geliebten Schwatz-Immergriins-Tiefgarage - an der Oche Frittezang zu Arnim&Lasset einparken!

    Na Mahlzeit & Alles fein - Gekehrwocht - 🧹- 🥳 -

    kurz - Möge Peterles 🌑fahrt - wie immer - wieder sattest falsch liegen - wa.



    Dank im Voraus - 🤪 - keine eine eine Frage! Gelle.

  • 9G
    95820 (Profil gelöscht)

    Eine rot/schwarze Koalaition ist zu wünschen, da die Granden der Kleinparteien offensichtlich das Maß verlieren.



    Ich wünsche mir ein Kabinett Scholz/Brinkhaus. Mit Carsten Linnemann als Wirtschaftsminister. Ohne Scheuer, ohne Spahn, ohne Klöckner, ohne Altmaier. Das bisschen Klimapolitik, dass die FDP zulassen wird, kriegt rot/schwarz auch auf die Reihe. Sofortmaßnahme Tempolimit. Dazu Bürgerversicherung und Mindestlohn kann die SPD besser mit der Union durchsetzen als gegen die FDP.



    (Ob das Ironie ist, weiß ich selber nicht.)

    • 4G
      4813 (Profil gelöscht)
      @95820 (Profil gelöscht):

      Man muss aufpassen, was man sich wünscht. Sonst kommt die "nur einen Wunsch" Fee und Paul Ziemiak ist Minister für Familie und Gedöns.

      • 9G
        95820 (Profil gelöscht)
        @4813 (Profil gelöscht):

        RINGELNATZ1 hat die Horrorliste ja schon ergänzt. Paul Ziemiak hat er mitgenannt. Aber es muss doch auch bei der Union ministrables Personal geben. Aber wo? Im „Zukunftsteam“ des Armin? Jung, Breher, Prien, Merz? Kinnert fehlt da noch. Als Ministerin für Soziales Nettworking und als schwarze Fee.

    • @95820 (Profil gelöscht):

      ..Ob das Ironie ist, weiß ich selber nicht..



      Muß ick grinsen.



      Bei diesem ganzen Schwachsinn über ein Bild, was gerade läuft habe ich mich auch ertappt.



      Wenn ich die Dame von der FDP laufend sehe, nein, nein!



      Ich ergänze noch- ohne -Paul Zimiak, Philip Amthor,Doro das Lichtschwert Baer,..wenn ich weitermache wird das auch nichts(wieder)



      Falls



      Das Wutgeheul kann ich mir vorstellen.



      Also, ihre nicht, wissende Ironie kann ich nachvollziehen!

      • @Ringelnatz1:

        Oh, what kind of a "Wutgeheul"



        Ich glaube, ich habe das Wutgeheul ein bisschen verstanden..

  • Das grün-liberale Flirt-Selfie mit Baerbock, Lindner, Habeck und Wissner, welches in den



    Medien so richtig viral ging, durchkreuzt die sozialdemokratische Machtstrategie in der Tat einschneidender, als es den Genoss*innen lieb sein kann … aus meiner Sicht transportiert es in erster Linie jedoch eine Symbolik, die mehr Fragen aufwirft als Antworten liefert.



    Geht es in den Sondierungen eher um eine Machtoption, die das neoliberale Projekt - diesmal mit ökologischem Feigenblatt - für die nächsten vier Jahre wieder einmal über die Runden retten soll? Oder geht es um eine nachhaltige Pe für die nächsten zwanzig, dreißig Jahre, die den sozial-ökologischen Umbau der Gesellschaft fest in den Blick nimmt? Und wer soll da eigentlich über wessen Stöckchen springen? Der Habeckschen Salbaderei über einen neuen Politikstil traue ich dabei keinen Meter über den Weg, schon deshalb bleibe ich skeptisch.



    Und die sozialdemokratische Euphorie über einen letzten Endes gar nicht so großartigen Wahlsieg täuscht nur darüber hinweg, dass die SPD schon in der Stunde ihres Triumphes direkt ausgebootet wurde … mittels des Lindnerschen Coups, zunächst FDP und Grüne sondieren zu lassen, um somit beide Optionen - Ampel und Jamaika - im Spiel zu halten.



    Jetzt bleibt der ach so erstarkten SPD nichts anderes übrig, als sich hinten anzustellen und ohnmächtig zuzusehen, ob am Ende nicht doch die Union den Zuschlag bekommt. Scholz kann dann noch den Oppositionsführer spielen, während Laschets jetzt am seidenen Faden hängende politische Karriere durch Gnaden der Grüngelben noch einmal gerettet wird.