Kleiner Parteitag der Grünen: Grünes Licht für die Ampel
Mehrheitlich stimmen die Grünen für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit SPD und FDP. Mit nur zwei Neinstimmen und einer Enthaltung.
Berlin taz | Gegen halb zwei trat Robert Habeck, blaues Hemd, auf die Bühne und sprach davon, „grüne Geschichte“ schreiben zu wollen. Im WECC, einer schick gemachten alten Lagerhalle am Berliner Westhafen, trafen sich die Grünen am Sonntag zum kleinen Parteitag. Nach dem Sondierungspapier, das am Freitag veröffentlicht wurde, ging es um die Frage: Soll die Partei tatsächlich in rot-grün-gelbe Koalitionsgespräche eintreten?
„Wir haben Verluste zu verzeichnen“, sagte Habeck und verwies darauf, dass die Grünen kein Tempolimit durchsetzen konnten und auch keine Erhöhung des Spitzensteuersatzes. Dennoch wirbt er darum, den Weg frei zu machen für Ampel-Koalitionsverhandlungen.
Es sei ja dennoch ein „gutes Sondierungspapier“, sagte der Grünen-Vorsitzende und nannte die Errungenschaften: eine Kindergrundsicherung etwa, die Erhöhung des Mindestlohns, ein modernes Einwanderungsrecht bis hin zum Ausbau der erneuerbaren Energien und den früheren Ausstieg aus der Kohle. „Wir muten uns etwas zu, den anderen aber auch“, so Habeck. Die Grünen seien eine „reife Partei“, die nun die Chance habe, Regierungsverantwortung zu tragen und künftig „nicht nur Papier für Parteitage zu schreiben“.
Er griff auch die Kritik auf, dass das Sondierungspapier zu wenig über die Finanzierung nötiger Maßnahmen enthalte. Habeck versicherte, dass alle notwendigen Investitionen gestemmt werden, auch innerhalb der bestehenden Schuldenbremse. Es sei in den Sondierungsgesprächen mehr besprochen worden, als sich im Papier finde. „Die Korridore sind gesetzt, buchstabieren wir es also aus“, sagte er.
Insgesamt war die Stimmung harmonisch bis euphorisch auf dem kleinen Parteitag, auch wenn durchaus ein paar Nachbesserungen gefordert wurden. Susan Sziborra-Seidlitz, Landesvorsitzende der Grünen in Sachsen-Anhalt und selbst Krankenpflegerin, mahnte in Verhandlungen etwa, „die Pflegekrise im Blick zu behalten“. Der Sozialpolitiker Sven Lehmann forderte, dass die Regelsätze steigen müssen und künftig niemand Angst vor Sanktionen haben sollte. Etwas mäkeln konnten alle, aber irgendwie schienen auch alle fröhlich.
Zweimal nein, eine Enthaltung
Scharfe Kritik gab es erst, als Cansin Köktürk aus dem Kreisverband Bochum auf die Bühne trat. Sie habe bei dem Sondierungspapier das Gefühl, „dass die FDP die Bundestagswahl gewonnen“ habe. „Wo“, fragte sie „steht darin die wahrhaftige Bekämpfung von Armut?“. Sie kritisierte, dass keine Bürgerversicherung geplant sei, keine gerechte Steuerpolitik, keine richtige Pflegereform – das klang nach einer echten Absage.
Ganz zum Schluss hielt Annalena Baerbock ihre Rede und warb dennoch gut gelaunt für einen „Aufbruch, der wirklich was verändert“. „Ich glaube, wir spüren eine gemeinsame Lust, das jetzt anzupacken“, sagte sie. In den Koalitionsverhandlungen müsse noch vieles konkretisiert werden: „Das wird noch ein dickes, hartes Brett.“ Aber die Vereinbarungen zum Klimaschutz im Sondierungspapier für eine Ampelkoalition nannte sie einen „echten Erfolg“ der Grünen. Zum Schluss ihrer Rede: Standing Ovations. Keine Gegenrede.
Dann folgte die Abstimmung: Mit großer Mehrheit stimmte der Länderrat der Grünen am Sonntag dafür, gemeinsame Koalitionsgespräche mit SPD und FDP aufzunehmen. Nur eine Enthaltung und zwei Neinstimmen gab es. Aber Revolutionen waren ohnehin nicht zu erwarten. Sehr brav, sehr geschlossen und diszipliniert traten die Grünen bereits im Wahlkampf auf. Und in neuer Harmonie zeigte sich das grüne Spitzenduo Annalena Baerbock und Robert Habeck zuletzt mit dem einstigen politischen Feind namens FDP.
Fridays-for-future-Aktivist Jakob Blasel bezeichnete das Sondierungspapier gegenüber der taz in vielen Punkten als „tragbar“. Er wies aber auf die Finanzierbarkeit von Klimaschutz hin. „Ich sehe einen großen Widerspruch zwischen der angestrebten Finanz- und Klimapolitik“, sagte er. Man sei auf „massive öffentliche Investitionen angewiesen, wenn es zum Beispiel um die Bahn, Gebäudesanierungen und andere Aspekte der Klimaneutralität“ ginge. „Alle verhandelnden Parteien müssen über sich hinauswachsen, damit die nächste Regierung der Klimakrise gerecht wird.“
Leser*innenkommentare
Paul Rabe
Das größte Problem ist nach wie vor die Mathematik, die läßt sich so schwer durch "Worte" verändern...
man darf also gespannt bleiben wie Schuldenbremse, keine Steuern und Ausgabenwünsche zusammenfinden.
Rainer B.
Bei Sondierungspapieren ist gewöhnlich das, was drinsteht, weit weniger wichtig, als das, was nicht drin steht. Ein ganz konkretes Ergebnis bleibt allerdings bereits jetzt festzuhalten: Die drei Ampelparteien sind sich vollkommen einig darin, dass auch weiterhin diejenigen, die auf Leistungen vom Staat gar nicht angewiesen sind, diese Leistungen auch nicht mitzufinanzieren haben.
Ich sach's mal so: Vermögens- und Einkommensmillionäre werden hier mal wieder eindeutig benachteiligt. Bin sehr gespannt, wie lange die diese krasse Form der Ausgrenzung noch weiter ohne Proteste hinnehmen werden. Bislang reicht es ihnen offenbar immer noch, ihren Beitrag am politischen Gemeinwesen allein durch großzügige freiwillige Parteispenden zu leisten.
Senza Parole
„Sie habe bei dem Sondierungspapier das Gefühl, „dass die FDP die Bundestagswahl gewonnen“ habe.“
Den Eindruck muss man wirklich haben. Können die Grünen keine Koalitionsverhandlungen? Sie konnten quasi nichts durchsetzen, außer wolkigen Formulierungen. Was hat die Fdp denn für Alternativen? Mit der abgewrackten Cdu, mit der die Grünen nicht koalieren würden? Ich glaube Harbeck und Baerbock sind da in einer Koaloblase.
Paul Rabe
@Senza Parole Die FDP hat die Alternative in die Opposition zu gehen und dann gibt es Groko.
meerwind7
Laut welt.de sprach Habeck von einer "Hoffnungszeit, die jetzt anbricht".
Meint er damit die Hoffnung auf bessere Ergebnisse in den Hauptverhandlungen, und das Ende der Hoffnungszeit, wenn der Koalitionsvertrag vorgelegt wird?
meerwind7
Die FDP hat ihre Punkte durchgesetzt, die SPD den Mindestlohn.
Für den Klimaschutz gibt es bislang nur wolkige Worte und nichts konkretes. Habeck und Bearbock müssen "aufwärts" verhandeln. Hoffentlich haben sie die Bereitschaft, notfalls Härte zu zeigen und auszusteigen. Die Gefahr der Willfährigkeit sehe ich vor allem bei Baerbock, die berits angezählt ist und bei einem Abbruch der Verhandlungen einer schwierigen persönlichen Zukunft entgegensehen würde.
An sich sollten solche Verhandlungen von jemandem geleitet werden, der keine Regierungsambitionen hat.
Tanz in den Mai
@meerwind7 Baerbock spielt wohl lange nicht mehr die Rolle, größtes Problem bei ihr dürfte sein, sie einigermaßen gesichtswahrend mit einem Ressort zu entschädigen, das muss dann eben zur Not aus dem Boden gestampft werden. Das Klimaministerium, wie es jetzt kursiert, wäre dann der nächste Witz, Marke "Heimatministerium". Die Grünen haben gar nichts durchgesetzt, sondern wurden abgewatscht mit solchen Forderungen, auf die sich FDP und SPD im Zweifel auch ohne sie hätten verständigen können. Solardächer sind so'n Beispiel, oder auch dass man bei erneuerbaren zulegen sollte, stand nie zur Diskussion. Tempolit könnte man sofort einführen, gibt's nicht. Wahlalter brauchte 2/3-Mehrheit, "kommt". Dagegen stehen massive Schläge, die nicht nur nicht ganz dem entspr. wofür Grüne stehen, und antraten, sondern im Prinzip das genaue Gegenteil und die aus grüner Sicht nur befremdlich wirken. Etwa beschleunigte Abschiebungen, wohin auch immer, gemeint übrigenss Menschen, auch wenn's da natürlich nicht so steht. Das sind keine Auslassungen, auf die ich hätte hoffen können. Das ist wesensfremd und nichts, für das man mit einer grünen Stimme irgendwie einstehen kann. Gilt eigentlich für das ganze Welt- und Menschenbild, wie es da durchscheint.
Habeck, der ja angebl. selbst auf's Finanzministerium schielt, könnte das natürlich in Linders Sinne noch aufgeben. Dann hätten sie zumindest noch mal Handhabe, inhaltlich etwas nachzufordern, aber viel würde es nicht sein. Die Grünen werden da nicht mehr aussteigen, noch wird es an den Mitgliedern scheitern; sie werden mit den Folgen leben müssen.
Das mit den Verhandlungen sehe ich ähnlich, aber der ganze Mechanismus wirkt überreizt und aus der Zeit gefallen. Fortschrittlich wäre Transparenz. Nicht das Durchstecken von kleinen Spickzettelchen, deren Inhalt noch manche Abgeordneten irritiert. Auf Twitter versuchen einige sich selbst einen Reim zu machen und zu beschwichtigen. Was soll daran zeitgemäß sein?
Paul Rabe
@meerwind7 Ehrlich gesagt, der Klimaschutz hängt ohnehin nicht an Deutschland, der Anteil der deutschen CO2 Emissionen liegt unter 3% und der Anteil wird in den nächsten Jahren noch stark sinken, weil (in anderen Teilen der Welt) die Weltbevölkerung um weitere 3 Milliarden Menschen wachsen wird, jeder einzelne mit CO2 Abdruck (zwar deutlich geringer als der Deutsche Bürger, aber bei der Anzahl eben entscheidend viel)