SPD und Neuwahl: Vorwärts, Zwerge!
Gegen eine Große Koalition spricht eigentlich nichts – für eine Neuwahl aber alles. Das Beste, was die SPD derzeit hat, ist ihr Zwergenaufstand.
Es war vor ziemlich genau fünf Jahren, als das Ungeheuerliche geschah. In der morgendlichen Redaktionskonferenz der taz war aus irgendeinem Grund der Wunsch aufgetaucht, über die Vorgänge – beziehungsweise den Stillstand – im Vatikan unter Papst Ratzinger zu berichten. Auf mir ruhten dabei ein paar Blicke, hatte ich doch drei Wochen lang als Austauschjournalist bei Radio Vatikan arbeiten und den stillen Protest bewundern dürfen, mit dem meine Kollegen in den Dienstzimmern das Bild des verehrten Papstes Johannes Paul II. hatten hängen lassen, anstatt es durch das des ungeliebten Deutschen zu ersetzen: Der polnische Papst an der Wand war das, was vielen SPD-Mitgliedern noch heute ihr Willy-Brandt-Porträt ist.
An diesem 11. Februar 2013 in der taz sagte ich, es täte mir leid, aber derzeit sei aus dem und über den Vatikan absolut nichts Neues, Zukunftsweisendes zu sagen. Solange Ratzinger der Sache vorstünde, sei die Sache heillos. Dass Ratzinger an ebendiesem Tag dann tatsächlich noch seinen Rückzug verkündete, hatte gewiss mehr mit dem Heiligen Geist als mit meiner Prognosefähigkeit zu tun – aber wir können uns doch merken: Es gibt historische Momente, wo das Alte schlicht wegmuss, wenn das Neue, das unbestimmt Erwartete, das Riskante und durchaus auch Gefährliche eine Chance bekommen soll.
Womit wir bei der SPD sind, die als 20-Prozent-Partei inzwischen im Wesentlichen eine Angelegenheit der SPD-Mitglieder ist. Natürlich kann die SPD in eine Große Koalition eintreten, aus Staatsräson oder aus Besitzstandsdenken ihrer Funktionäre. Eine Katastrophe wäre eine solche Regierungsbeteiligung überhaupt nicht – außer für die SPD selbst.
Sollte die Partei aber aus der Leichenstarre herauskommen und in den Aufbruch eintreten wollen, darf sie es nicht tun. Wenn sogar die absolute Monarchie im Vatikan das Risiko Neuwahlen nicht scheute, gibt es keinen Grund für den Tanker SPD, dieses Wagnis nicht auch einzugehen.
Was dazu fehlt, sind eben die Rücktritte: Mit Schulz und Scholz, mit Gabriel, Nahles, Kahrs und Stegner an den Schalthebeln kann es keinen Aufbruch in der SPD geben. Diese Leute haben abgewirtschaftet und müssen sich andere Betätigungsfelder suchen. Das Beste, was die Partei derzeit hat, ist ihr Zwergenaufstand. Wenn der Erfolg hat, wird es keine Groko geben, und eine andere SPD wird bei Neuwahlen wenn schon nicht die Wählerinnen und Wähler, so doch wenigstens sich selbst wiedergefunden haben.
Lehren aus den Fehlern bei der Wahl 2017 ziehen
Andererseits ist es ja nun so: Die katholische Kirche und die SPD sind gewiss altehrwürdige und mächtige Institutionen. Aber wenn sie sich selbst zerlegen, anstatt sich zu erneuern, geht die Welt auch nicht unter.
Neuwahlen in Deutschland böten allen die Chance, Lehren aus ihren Fehlern und ihrer Passivität bei der Wahl 2017 zu ziehen – um dann in erster Linie einen Wahlkampf und eine Wahlkampfberichterstattung zu machen, die die wirklichen Zukunftsthemen Klima, Bildung, Integration, Zukunft der Arbeit und ein Europa ohne deutsche Diktate in den Vordergrund stellen, anstatt den Völkischen von der AfD hinterherzuhetzen. Die Grünen übrigens, auf die man immer gut schimpfen kann, müssten da am wenigsten ändern.
Und die soziale Gerechtigkeit? Ja, was ist eigentlich mit der sozialen Gerechtigkeit, die der Martin ebenso sehr beschworen hat, wie er nicht fähig war, den eigenen Slogan mit Inhalten zu füllen? Auch hier ist die frohe Botschaft eher unbequem: Soziale Gerechtigkeit ist ein Verb. Sie wird nicht durch Wahlen erreicht, sondern muss erkämpft werden.
Wenn die deutsche Bevölkerung wirklich einen nicht nur lächerlichen Anteil am Boom, wenn sie ein Ende des Hartz-Regimes und eine Bürgerversicherung will, dann mal los, auf die Straße, in den Streik oder, warum nicht, in die neue Zwergen-SPD.
„Habt keine Angst! Öffnet, ja reißt die Tore weit auf für Christus!“, war die Botschaft des geliebten polnischen Papstes Wojtyła. Wenn wir das säkularisieren, willybrandtisieren, dann ist das genau richtig – als Slogan für die Bundestagswahl 2018.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen