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SPD-ParteitagNur Friedrich Merz kann die SPD noch retten

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

Dass es der SPD gelingt, das Wunder von 2021 zu wiederholen, ist unwahrscheinlich. Die Stimmung ist konservativer als damals – und Scholz angeschlagen.

Ohne geht der Olaf nicht aus dem Haus: Kanzler Scholz und seine Aktentasche Foto: Kay Nietfeld/dpa

O laf Scholz ist eisern überzeugt, dass die Sozialdemokraten den Trend noch umkehren werden. Wie 2021. Und es stimmt: Vor drei Jahren hat ein paar Wochen vor der Wahl fast niemand auf die Sozialdemokratie gewettet. Der Abstand zur Union schien zu groß. Die Leitmedien waren sich unisono sicher, dass Schwarz-Grün bald die Republik regieren würde. Es kam anders.

Kann das wieder so laufen? Oder ist Scholz' Parole nur die unvermeidliche Selbstermunterung, die jede Partei vor Wahlen braucht, um die Basis, die ja schwungvoll in den Wahlkampf ziehen soll, nicht vollends zu deprimieren?

Die SPD hat immerhin ein brauchbares Programm. 15 Euro Mindestlohn zu fordern, ist richtig, um die Inflation auszugleichen, die Niedrigverdiener härter als Reiche getroffen hat. Die Sozialdemokratie gibt aber nicht nur den Betriebsrat der Nation, sondern verknüpft damit recht austariert eine Wirtschaftspolitik, die per Steuerprämien gezielt Investitionen fördern will. Das ist zielgenauer als die pauschalen Steuersenkungen, die die Union verspricht. Die SPD will die Schuldenbremse reformieren, um die marode Infrastruktur in Schuss zu bringen.

Das ist alles richtig – und typisch sozialdemokratisch moderat gehalten. Die Gefahr, dass die SPD mit diesem Programm von konservativen Medien wirkungsvoll als verantwortungslose Umstürzler diffamiert werden kann, ist jedenfalls gering. Scholz, Verkörperung eines eher überzeugungsarmen Pragmatismus, wirkt sowieso wie imprägniert gegen solche Anwürfe.

Viele sind veränderungsmüde

Aber die Lage ist anders als 2021. Die gesellschaftliche Stimmung ist konservativer, grundskeptisch gegen Veränderungen und Fortschrittsideen. Viele sind nach Corona und Inflation sowie angesichts der Wirtschaftskrise veränderungsmüde und sehnen sich eher nach einer rosafarben gemalten Vergangenheit als nach Reformen. Die SPD hat ein paar gute, vernünftige Ideen. Aber ihr fehlt – wie der Linken in Europa überall – eine funkensprühende Erzählung, die die trübsinnige Stimmung aufhellen könnte. Die Zeiten für linke Zukunftsszenarien waren schon mal besser.

Noch wichtiger ist: Vor drei Jahren war Scholz eine ziemlich perfekte Verkörperung des Versprechens, Merkel fortzusetzen, ohne die Mattheit der durch 16 Regierungsjahre schläfrig gewordenen Union mit kaufen zu müssen. Jetzt ist Scholz Kanzler einer extrem unbeliebten und mit viel Krach zerborstenen Koalition. Kurzum: Scholz' Strahlkraft ist geringer und die Stimmung insgesamt rechter als vor drei Jahren. Deshalb sind die Chancen der SPD, das Wunder von 2021 zu wiederholen, geringer.

Der Einzige, der die Sozialdemokratie retten kann, ist kein Genosse. Sondern Friedrich Merz, Kanzlerkandidat der Union mit Neigung zu Unbeherrschtheiten. Wahrscheinlich kann nur ein impulsiver Fehltritt von Merz Scholz' Stärke, die abwägende Professionalität, zum Glänzen bringen. Die SPD ist von Fehlern ihrer Konkurrenz abhängig. Sie wird die Trendwende nicht aus eigener Kraft schaffen. Das ist keine komfortable Lage.

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Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.
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16 Kommentare

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  • Volker Wissing zögert noch, den Mitgliedsantrag bei B90/Die Grünen zu unterschreiben. Hoffentlich macht er das. Dann könnte Kanzler Habeck auf einen erfahrenen Minister zählen. Bin gespannt.

  • Scholz' größtes Problem im Vergleich zu 2021 dürfte sein, dass nun der Wähler weiß, was er bekommt, wenn er Führung bestellt.

  • Ich bin ratlos: Was ist denn an Scholz viel besser als an diesem Merz? Man muss erwähnen, dass er nicht für den größten Investor der Wet arbeitet! Den zählen viele zu den größten Heuschrecken der Finanzwelt. Dafür ist Scholz aber durch Nichtstun bekannt. Das Hat er als Minister von Merkel gelernt.

    Aber was gibt es denn noch Akzeptables aus der Mitte? Es gibt Widerliches von den Extremisten - egal aus welcher Richtung. Ich bin wirklich ratlos.

  • Stimmt grundsätzlich schon - die SPD kann nur gewinnen, wenn Merz einen gewaltigen Bock schießt. Den Gefallen wird er Scholz aber nicht tun.



    Allerdings hat die SPD 2021 vor allem deshalb gewonnen, weil sie als einzige (größere) Partei den (damals) aussichtsreichsten Kandidaten, trotz relativer Unbeliebtheit in der Partei selbst, an den Start schickte. CDU und Grüne dagegen ließen aus sachfremden Erwägungen jeweils nur die zweite Wahl ran und machten sich und ihr Parteiprogramm damit unglaubwürdig.



    Die SPD hätte mit Pistorius die Chance gehabt, die Nummer zu wiederholen...

    • @Samvim:

      Keiner weiß, ob Pistorius das geschafft hätte. Er hat keine große Wahl für die SPD gewonnen ....

  • Ein sehr interessanter Kommentar, Herr Reinecke. Es klingt bei Ihnen so, als wenn Sie schon mal für eine SPD-Niederlage vorbauen und die unentschlossenen Wähler anregen wollen, doch noch einzugreifen.



    Genauso machen es die Springer-Medien, die auch kontinuierlich negative Berichte zu Friedrich Merz lancieren.

  • Scholz wurde schon 2021 nur Kanzler weil Laschet die Gesichtszüge vor den Kameras entgleist sind. Merkels ewigem Vize traute bereits damals kaum einer was zu - und die Mehrheit sollte recht behalten.



    Führungslosigkeit, sein ebenso peinlicher Umgang mit dem CumEx-Skandal und als geflügeltes Wort "den Scholz machen" - das ist das Erbe seiner Ampel, die, um das Bild abzurunden, final krachend gegen die Wand gefahren wurde. Auch das konnte er nicht anständig abmoderieren🤷‍♂️



    Scholz hat weder unter Merkel noch jetzt als Chef der Koalition irgendwelche Argumente geliefert, gar nichts. Schlafwagenpolitik, komplett unsichtbar - selbst die eher linken Satire-Sendungen wie Heute-Show und Extra3 hielten ihm in Endlosschleife diese Mängel vor. Welches Programm die SPD zu diesem Wahlkampf vorstellt ist gelinde gesagt komplett egal.



    Zur Erinnerung: die SPD ist seit 1998 mit einer einzigen Ausnahme IMMER Teil der Bundesregierung und damit an der Macht gewesen.



    Seit Schröder...



    Die SPD lebt vorwiegend noch von ihr alt verbundenen Wählern, bei Jungen schneidet sie regelmäßig katastrophal ab - und das vollkommen zurecht.



    Deutschland bräuchte eine sozialdemokratische Partei - die SPD ist es nicht.

    • @Farang:

      Sie sehen wohl das unverschämte Lachen eines Laschi bei einer Veranstaltung im Überschwemmungsgebiet als einzigen Grund an, warum der nicht Kanzler wurde? Immerhin waren da beinahe 200 Tote zu beklagen. Auf einer Trauerfeier erzählt man sich keine Witze und beleidigt Trauernde! Es gab noch viele andere Gründe, L. nicht zu wählen!

      Scholz war nur die am wenigsten schlechte Wahl unter dreien! Und wie schlecht er war, haben wir in den vergangenen 3 1/2 Jahren gesehen. Nicht einmal den Mumm hatte er, die Koalition mit dem kleinsten Partner rechtzeitig zu beenden! Dieser Lindi spielte sich als König und Vertreter der ganzen Bevölkerung auf. Dabei ist der frühere Bankrotteur doch nur ein Vertreter der Reichen und Vermögenden. Und das war Finanzminister!

  • Merz rettet die SPD vor der Bedeutungslosigkeit. Aber gewinnen müsste die Partei ohne ihn und da fangen die Probleme an, schwache Kandidaten, kein großes umstrittenes Thema, wo die SPD führt und das Thema Migration, wo die CDU CSU einen rechtsextremen Diskurs vorträgt, der weder sachlich richtig, noch im Kern wirklich gesetzeskonform ist. Hält die SPD dagegen? Nein, sie sagt eine Sache: Die Zahlen sinken doch. Und der Rest? Nicht wichtig genug.



    Merz wird noch ein paar Federn lassen, aber durch ihn kann die SPD nicht gewinnen. Ihre Eigenleistung ist wahlkampftechnisch bislang schwach, weil das Themenmanagement kaum wahrnehmbar ist. Schade. Ich freue mich nicht auf Merz und die Union.

  • Noch mehr Schulden aufnehmen, um das Geld dann in alle Welt zu verschenken, und ein "weiter so" - das ist nicht mehr mehrheitsfähig.



    Was ist denn mit den Wahlversprechen vom letzten Mal? 400.000 neue Wohnungen jährlich? Zum Beispiel...

  • Scholz war schon das letzte Mal auf die Fehler der Konkurrenz angewiesen. Die Grünen werden ihm diesen Gefallen diesmal nicht tun, Baerbock ist in der zweiten Reihe, wo sie hingehört. Merz ist da schon erfolgversprechender, hat aber einen ziemlich professionellen Medienapparat. Wenn Scholz scheitert, liegt es übrigens nicht an den bösen Medien. Erstens gehört Umgang mit den Medien zur Kernkompetenz demokratischer Politiker - ein Gerhard Schröder hat über die Springerpresse nur gelacht , und zweitens ist das überwiegende Wohlwollen im Fernsehen wesentlich mehr wert als die Springerpresse.

  • Tipp an Scholz : Wenn Du noch ein paar Stimmen von U40 haben willst, dann Wechsel zum Rollkoffer.



    Die TV Folge "das war dann mal weg". über die Aktentasche ist schon gedreht. Bei Lichter kriegt man mit so einem Ding wohl auch keine Händlerkarte mehr.

  • Die Sozis haben kein überzeugendes Personal und das Programm ist schön und gut, man sah allerdings, dass die Sozis selbst die geringen eigenen Überzeugungen ohne großes Murren weggeben, um Frieden und Macht zu erkaufen. Die Zeit des Merkelismus ist vorbei, die Sozis sollten ihr Profil schärfen, ist nach gefühlt 200 Jahren in der Regierung auch mehr als notwendig. Denn die zumindest früher klare Klientel der Sozis, Arbeitnehmer, Mieter, „die kleinen Leute“ leiden, wenn nicht trotz und nicht wegen der Sozis und wählen im übrigen lieber BSW oder AfD.



    Nicht umsonst ist man auf knapp 15 Prozent zusammengeschmolzen, Tendenz eher fallend. In der Post-Scholz-Zeit müssen neue Leute her und eine SPD sollte nicht nur völlig erstarrt an der Vergangenheit festhalten, insbesondere in der Sozialpolitik. Eine Reform (KEIN ABBAU!!) des Sozialstaats ist dringend notwendig. Einfach weitermachen wie bisher überzeugt nicht wirklich. Und auch die Parteiführung (Esken und Klingbeil) sind absolut ungeeignet, muss dringend weg.

  • Was für einen Fehltritt müsste Merz sich bitte leisten, damit Scholz noch eine Chance hat? Die Chance ist doch bei nahezu null, da wird ein Lachen wie bei Laschet nicht reichen.



    Scholz kann eigentlich nichts mehr helfen, er wird es nicht mehr werden. Die Leute werden nicht vergessen, wie schlecht Scholz als Kanzler war und Beliebtheit wird er auch nicht dazu gewinnen.



    Da sehe ich selbst bei der abscheulichen Weidel mehr Chancen.

    Scholz Politikkarriere ist vorbei und das ist gut so, steht er doch für alles was in der Politik falsch läuft. Korruption (Cum-Ex), Pattex (klebt an seinem Sessel), Arroganz, schlechte Politik und einem weiter so.



    Scholz wurde in den letzten 3 Jahren exposed.

  • Und dabei geben sich Friedrich und Carsten alle Mühe, aber selbst Unsägliches wie "Listen für psychisch Kranke" und "Entzug der Staatsbürgerschaft" bleiben zumindest in den Umfragen folgenlos.

    SPD und Grüne könnten aber vermutlich einige verzweifelte Nichtwählende motivieren, wenn sie als Bundesregierung jetzt das Verbotsverfahren gegen die AfD initiieren würden. Der offene Brief der Jurist*innen gäbe eine gute Legitimation.

    Rechts sind keine Stimmen zu holen, aber links haben viele ihre politische Heimat verloren.

  • Schwarz-Rot oder Schwarz-Grün, was denn sonst nach derzeitigen Umfragen? Mit Merz-Pistorius oder Merz-Habeck als Galionsfiguren.

    Die Mehrheit wäre allerdings ziemlich dünn und zum Andicken fehlen die Zutaten. Es sei denn die FDP kann sich erholen. Dann wartet Lindner wieder darauf, falsch zu regieren. Diese Truppe macht einfach alles mit, um in diesem, unserem Lande, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, wieder zu regieren.