Russlands Mediensystem: Die Lügen des Kreml
Warum glauben so viele Russ*innen die Kriegspropaganda des Kreml? Wer das verstehen will, muss sich auch das dortige Mediensystem angucken.
Mit dem 24. Februar, als Russlands Präsident Wladimir Putin den Befehl zu seiner „militärischen Spezialoperation“ in der Ukraine gab und später alle im Land zwang, den Krieg im Nachbarland so zu bezeichnen, werden die Töne jeden Tag schriller. Dass so viele Russ*innen die Lügen des Kremls glauben, hängt auch mit dem Mediensystem im Land zusammen.
Doch zunächst zurück zu Usmanowa. Ihr Auftritt zeigt, wie geschickt die russische Propaganda agiert und welche Handgriffe reichen, um mit denselben Aussagen zwei völlig andere Geschichten zu erzählen. Sie übertreibt, verzerrt, fügt hinzu, um eine bestimmte Sicht auf die Welt entstehen zu lassen.
Usmanowa hatte jahrelang im Asowstal-Werk gearbeitet, das Russlands Truppen am Dienstag aus der Luft und vom Boden her zu stürmen begannen. Als russische Truppen in ihre Heimatstadt eindrangen, als sie anfingen, diese einzunehmen, flüchtete sie in die Katakomben von Asowstal.
Sie wurden für Wochen zu ihrem Gefängnis. „Wir hatten nichts mehr zu essen, sie ließen uns nicht raus, es war Terror“, sagt sie vor den Kameras nach der Evakuierung. Wer „sie“ sind, sagt sie nicht, von wem der Terror ausging, auch nicht. Die russische Erzählung lautete danach so: Ukrainische Nationalisten hätten die friedliche Zivilbevölkerung als menschliche Schilde missbraucht, den Menschen nichts zu essen gegeben, sie nicht rausgelassen und terrorisiert, auf Befehl des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj.
165 Millionen Euro für Staatsmedien
Es ist der Kontext, in dem Usmanowas Worte stehen. Ein Kontext, der in Russlands staatlich geprägtes Narrativ vom „ukrainischen Regime voller Nazis“ passt. Damit dieses Narrativ stärker gepflegt werden kann, gibt der Staat nun dreimal mehr Geld für seine Medien aus als im Jahr zuvor. Laut russischem Finanzministerium zahlte er dafür nur im März umgerechnet 165 Millionen Euro.
Es sind vor allem staatliche oder staatsnahe Medien, die die Berichterstattung dominieren und Vertrauen genießen. 90 Prozent der Bevölkerung, so hat es das unabhängige Umfrageinstitut Lewada-Zentrum in Moskau erhoben, informieren sich vorwiegend über den Fernseher. In vielen russischen Haushalten läuft er permanent. Kritiker*innen der Staatspropaganda nennen das Gerät „Zombiekiste“.
Wer die Macht über die Medien hat, hat auch die politische Macht im Staat – so war es bereits zu Sowjetzeiten und so wurde es auch in den 1990ern gepflegt. Oligarchen schufen Medienimperien und bekriegten sich teils untereinander. Dennoch schaffte das in den 90ern auch eine gewisse Vielfalt in der Medienlandschaft. Hämische Satire und Kritik an den Regierenden gehörten zum Programm. Auch unabhängige Medien durften offen Kritik am Staat üben. Das änderte sich mit dem Machtantritt Putins und lässt sich vor allem an der Zerschlagung des Senders NTW sehen.
1993 vom früheren Theaterregisseur Wladimir Gussinski gegründet, der bereits in der Perestroika mit Kleidern handelte und später mit Finanzgeschäften reich wurde, galt NTW als Leuchtturm journalistischer Berichterstattung. Auch der Radiosender Echo Moskwy, bis zu diesem März als eine der wenigen kritischen Stimmen im Land noch existent, gehörte zu Gussinskis Medienholding.
Wenige Tage nach Putins Amtseinführung als Präsident im März 2000 stürmten maskierte Männer mit automatischen Waffen in die Redaktionsräume des Senders. Gussinski wurde wegen der Veruntreuung staatlicher Mittel angeklagt und schließlich zum Verkauf seines Medienunternehmens gezwungen. Bis heute lebt er in Israel im Exil. Die Kontrolle übernahm der Staatskonzern Gazprom. NTW verbreitet heute nur noch Nachrichten, die vom Staat als genehm eingestuft werden.
Kritische Medien werden zerschlagen
Auch dem Sender ORT, der Boris Beresowski, einem anderen Oligarchen, gehörte, erging es ähnlich. Nachdem sich Beresowski gegen die politische Elite stellte, musste er im Jahr 2000 seine Anteile am Sender verkaufen. Heute heißt dieser „Erster Kanal“ und ist Teil der Nationalen Mediengruppe des Oligarchen Juri Kowaltschuk. Dieser hält weitere Fernsehkanäle, Bezahlkanäle und Nachrichtenagenturen. Über das Versicherungsunternehmen Sogaz hat er zudem zusammen mit der Gazprombank im vergangenen Jahr die Kontrolle der Internetfirma VK übernommen, über die Vkontakte und Odnoklassniki laufen, die russischen Pendants zu Facebook.
Die Dritte im Bunde der Medienholdings, die das Hohe Lied des Kremls singen, ist WGTRK, die Allrussische Staatliche Fernseh- und Radiogesellschaft. Zu ihr gehören mehrere Fernseh- und Radiosender, aber auch Onlinemedien und knapp 100 regionale Medienanstalten. Früher war die Nachrichtenagentur Ria ebenso Teil von WGTRK, bis sie vor knapp zehn Jahren in der per Dekret von Putin gegründeten Holding Rossija Sewodnja aufging. Ihr Leiter ist Dmitri Kisseljow, der Chefpropagandist des Kremls, der in diesen Tagen androhte, Großbritannien durch den Schlag einer neuen Atomwaffe im Meer versenken zu lassen. Ähnliches verbreitet auch Margarita Simonjan gern, die Chefin des Auslandssenders RT, der ebenfalls zu Rossija Sewodnja gehört.
Viele Journalist*innen in Russland werden als Mediensoldaten gesehen, die von oben diktierte Botschaften unters Volk bringen sollen. Weil sie beim Staat arbeiten und dabei sehr gut verdienen, müssen sie die Arbeit der Regierung unterstützen und in ihrer Berichterstattung die Entscheidungen des Staates mittragen. Deshalb sprechen die Reporter*innen im Staats-TV stets von „wir“, wenn sie über die russische Regierung berichten.
Die Gleichschaltung der Medien macht es den Menschen im Land nicht einfach, an unabhängige Informationen zu gelangen. Zumal Russlands Justiz alles dafür tut, den unabhängigen Nischenmedien den Garaus zu machen, indem sie nicht nur die Medien zum „ausländischen Agenten“ erklärt und ihnen dadurch die Werbekunden raubt, sondern auch einzelne Journalist*innen mit diesem „Etikett“ den Alltag erschwert.
Der Staat verschärft die Gesetze, droht bei „Fake News“ mit bis zu 15 Jahren Haft, wobei „Fake“ schon das Hinterfragen der offiziösen Darstellung ist. Sie sperrt Seiten und zwingt unabhängige Journalist*innen ins Exil, die es sich auch dort nicht nehmen lassen, die russische Bevölkerung zu informieren. Nur: Gegen die Giganten des Staates kommen sie mit ihren Streams bei Youtube kaum an.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestellerautor will in den Bundestag
Nukleare Drohungen
Angst ist ein lautes Gefühl
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland