Kampf um Mariupol: Kein Sturm auf Stahlwerk

Russlands Präsident befiehlt seinen Soldaten, nicht in das von Ukrainern gehaltene Stahlwerk Asowstal in Mariupol einzudringen. Warum?

Im Vordergrund stehen einige Privathäuser, im Hintergrund eine große Industrieanlage

Das Stahlwerk Asowstal in Mariupol: In dessen Schutzräumen harren tausende Soldaten und Zivilisten aus Foto: Victor/Xinhua/dpa

BERLIN taz | Russlands Präsident Wladimir Putin hat nach einem Gespräch mit Verteidigungsminister Sergei Schoigu befohlen, den Sturm des riesigen Stahlwerksgeländes Asowstal in der Hafenstadt Mariupol einzustellen. Grund sei die Notwendigkeit, die eigenen Soldaten zu schonen. Ein Sturm sei nicht zielführend.

„Wir müssen das Leben und die Gesundheit unserer Soldaten und Offiziere schützen,“ so Putin, und er schob nach, dass es nicht notwendig sei, „in die Katakomben zu gehen und dort unter die Erde zu kriechen, wo sich die Industrieanlagen befinden“. Stattdessen solle aufgepasst werden, dass dort „keine Fliege mehr herauskommt“.

Auf dem Gelände halten sich nach Angaben des russischen Verteidigungsministeriums 2.500 Menschen auf. Die ukrainische stellvertretende Premierministerin Iryna Wereschtschuk geht von allein 1.000 Zivilisten und weiteren 500 Verletzten auf dem Gelände aus.

Die auf dem Gelände verharrenden Militärs haben mehrfache „Angebote“ der russischen Seite, sich zu ergeben, abgelehnt. Einen Kompromissvorschlag, in ein drittes Land zu gehen, wollte die russische Seite nicht akzeptieren.

Blogger: Angriff ohne „Säuberungsaktion“ ist sinnlos

In einer ersten Reaktion erklärte Oleksi Arestowitsch, Berater des Chefs der ukrainischen Präsidialadministration, mit der Entscheidung, Asowstal nicht zu stürmen, habe Russland faktisch den Krieg verloren. „Die Jungs von ‚Asow‘ werden dort rauskommen und sie (die russischen Soldaten; d. Red.) verbrennen.“ zitiert das Portal Obosrewatel Oleksi Arestowitsch.

Auf ihrem russischen Portal sieht die BBC mehrere Gründe für Putins Entscheidung. Der Versuch, das Stahlwerksgelände einzunehmen, würde sehr viele Kräfte binden. Und die brauche Russland jetzt an anderer Stelle im Donbass. Vielleicht habe aber auch die Drohung von Präsident Selenski gewirkt, bei einer Einnahme von Asowstal würde die Ukraine alle Verhandlungen mit Russland abbrechen.

Möglicherweise will Moskau aber auch schlicht eines der größten Hüttenwerke Europas erhalten, das pro Jahr 4 Millionen Tonnen Stahl und 3,5 Millionen Tonnen Gusseisen produziert.

Mit ganz anderen Akzenten erklärte der putintreue russische Blogger Waleri Petrow aus Belgorod in seinem Blog masterok.livejournal.com, warum Putins Entscheidung sinnvoll sei. Die unterirdischen Katakomben seien unübersichtlich und stellten so eine große Gefahr für die Angreifer dar.

Auch Luftangriffe machten wenig Sinn, wenn sie nicht von einer anschließenden „Säuberungsaktion“ begleitet würden. Gas „oder etwas Vergleichbares“ einzusetzen, sei auch nicht ratsam, würde doch dann Russland des Einsatzes chemischer Waffen beschuldigt werden, sorgt er sich um Russlands Image. Außerdem dürfe man nicht aus den „Nazis von Asow“ posthum Helden machen. Russland habe mehr von einer Gefangennahme ausländischer Kämpfer in dem Werk als von deren Tod.

Schon von der Wehrmacht eingenommen

Asowstal hat eine lange Tradition. 1930 erbaut, wurde es im Zweiten Weltkrieg während der Besatzung durch die Wehrmacht dem Krupp-Konzern zugeschlagen, der es unter anderem auch zur Produktion von Granaten einsetzte. Nach dem Abzug der deutschen Truppen lag das Werk in Trümmern.

Beim anschließenden Wiederaufbau wurden auch vier Stockwerke tiefe Bunker in einem 24 Kilometer langen Labyrinth von Tunneln angelegt, die die Arbeiter im Falle eines Atomkrieges schützen sollten.

Nach Angaben von Anton Geraschtschenko, einem Berater des ukrainischen Innenministers, sind diese Schutzräume so ausgelegt, dass sie Bomben von bis zu einer Tonne standhalten können. Allerdings plane die russische Armee, stärkere Geschosse auf die Anlage abzuwerfen. „Fünf Tonnen schwere Bomben werden die Stahlbetonplatten einfach zerbrechen, und dann werden all die Menschen unter ihnen sterben“, so Geraschtschenko.

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