Propaganda in russischen Staatsmedien: Krieg, Lügen und Videos

Nach den Gebietsverlusten in der Ukraine werden Russlands Staats-TV-Moderator*innen immer schriller. Eine inszeniert sich gar als Bürgerrechtlerin.

Margarita Simonyan in einen Schal gehüllt gemeinsam mit Tigran Keosayan auf einem Friedhof

Margarita Simonjan, die Chefin von RT, gemeinsam unterwegs mit ihrem Ehemann Tigran Keossajan Foto: Komsomolskaya Pravda/imago

MOSKAU taz | Eigentlich ist das Wort „Krieg“ in Russland seit dem März eingeführten Mediengesetz verboten. De­mons­trierende werden weiterhin brutal abgeführt, wenn sie sich auf die Straße stellen und die Dinge, die Russland in der Ukraine macht, beim Namen nennen. Doch Wladimir Solowjow stört das nicht.

„In der Ukraine herrscht Krieg“, sagt er am 4. Oktober in seiner allabendlichen Sendung „Der Abend“ im russischen Staatssender Rossija 1, und bemüht das verbotene Wort in wenigen Minuten gleich mehrmals. Nicht, weil er sich auf einmal der Kritik am Kreml gewahr geworden wäre, sondern weil er und auch andere Staatsmedien das geänderte Kreml-Narrativ bedienen: das des Verteidigungskampfes gegen die Nato, des „Heiligen Krieges“ um die Existenz Russlands auf der Erde.

Wie ein Zen-Meister steht Wladimir Solowjow im Rundhalshemd vor seinen Gästen und führt – raunend wie eh und je – durch seine Beschwörungssitzung im hell ausgeleuchteten Studio. „Es herrscht Krieg gegen den westlichen Satanismus.“ Solowjow macht eine Pause, lässt seine Worte wirken.

Schon Russlands Präsident Wladimir Putin hatte bei seiner Rede kurz vor der Unterschrift des russischen Landraubs in der Ukraine von „westlichem Satanismus“ gesprochen, seitdem wird der Begriff in die Köpfe der Zu­schaue­r*in­nen gebracht. „Die Ukraine bedroht uns mit einer schmutzigen Atombombe. Der Westen testet unsere Robustheit. Es ist Zeit, zu einem großangelegten Krieg überzugehen“, ruft Solowjow. Eine Niederlage Russlands sei erst gar nicht vorgesehen. „Unsere Gesellschaft kann ein solches Szenario nicht zulassen. An der Front haben wir es derzeit schwer, ja. Deshalb brauchen wir regelwidrige Lösungen.“ Wieder schaut er in die Runde, lässt seine Hasstirade wirken.

Die Sender wechseln, das Narrativ bleibt gleich

Es ist der tägliche Klang in den Nachrichtensendungen und den Talkshows im Land, in dem das Fernsehen die Informationsquelle Nummer eins ist. Die Namen der Mo­de­ra­to­r*in­nen ändern sich: Dmitri Kisseljow, Margarita Simonjan, Olga Skabejewa, Dmitri Kulikow. Die Sender wechseln sich ab: Perwyj Kanal, Rossija 1, TWZ. Das Narrativ aber, Russland lasse sich vom „kollektiven Westen“ nicht „in die Knie“ zwingen, bleibt gleich.

Daran ändert sich auch nichts, wenn Solowjow sagt, dass die russische Armee es momentan „wirklich schwer“ habe an der Front, oder wenn Kisseljow meint, dass Russland „Fehler macht bei der Teilmobilisierung“. Im Gegenteil: Seit Russland immer mehr an Boden in der U­kraine verliert, wird der Ton noch gehässiger, werden die Forderungen gewaltiger, die Ausbrüche immer schriller.

So erzählt etwa Margarita Simonjan, die Chefin des russischen Auslandssenders RT, davon, im Westen werde den Kindern die Muttermilch verboten und man nehme den Eltern ihre Kinder weg, weil die Kinder sie als „Mama“ und „Papa“ bezeichnen. „Wir werden uns wehren, um das zu bewahren, was wir für die Normalität halten“, sagt Simonjan in einer Sendung des mehrheitlich der Moskauer Stadtregierung gehörenden Senders TWZ. Es ist die typische Aneinanderreihung von Umdeutungen, Halbwahrheiten und Lügen russischer Staatsmedien.

Geschichten von kranken Rekruten

Lügen aber, so erklärte die 42-Jährige kürzlich in der Sendung ihres Ehemannes Tigran Keossajan, führten stets zu falschen Entscheidungen. „Hört auf zu lügen, überall, in den Behörden, in den Ministerien, in den Einberufungsämtern.“ Gewieft gibt sie nun, da Russland unter dem Chaos seiner sogenannten „Teilmobilisierung“ ächzt, die jeder im Land als Vollmobilisierung begreift, die Kämpferin für Bürgerrechte. Sie sammelt Geschichten von eklatanten Fehlentscheidungen, von alleinerziehenden Müttern, die eingezogen werden, von kranken Rekruten, von viel zu alten Reservisten.

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Dabei hat Simonjan nicht plötzlich entschieden, für einen humanen Umgang mit Menschen einzustehen. Vielmehr will sie, dass die „militärische Spezialoperation“, wie Russland seinen Krieg in der Ukraine offiziell bezeichnet, nichts an der Unterstützung im Volk verliert, weil es nur Unordnung und Willkür zu geben scheint.

Auf allen ihren Kanälen kanalisiert Margarita Simonjan gekonnt die Unzufriedenheit über die Einberufung im Volk und fordert eine professionelle Kampfführung. „Es gibt Schlimmeres als den heroischen Tod für sein Land, für seine Wahrheit. Es gibt keinen anderen Ausweg als den Sieg“, sagt sie – und klingt dabei wie Wladimir Putin. Der Präsident will von seinen „gesetzten Zielen“ nicht abweichen, auch wenn längst nicht alles „nach Plan“ läuft.

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