Russische Propaganda gegen Ukraine: Anti-Logik als stabiles Fundament
Propaganda ist nicht einfach nur Täuschung. Das lässt sich gut an der russischen Vorgehensweise in Bezug auf den Ukraine-Krieg zeigen.
Wenn man wissen möchte, wie Propaganda funktioniert – spätestens die Bilder aus dem ukrainischen Butscha und die russische Reaktion darauf haben das eindringlich vor Augen geführt. Propaganda ist nicht „Priesterbetrug“ – also eine Lüge, die man den Menschen auftischt. Sie ist nicht einfach Vernebelung der Massen durch eine Elite.
Propaganda bedeutet vielmehr, dass der Blick auf die Dinge nicht ausreicht. Auch der Blick auf ein Massaker. Propaganda bedeutet, dass die Wahrnehmung nicht geleitet wird von dem, was man sieht. Man sieht vielmehr das, was man vorher schon geglaubt hat. Das ist der zentrale Moment der Propaganda: die Fantasie, an die man kollektiv glaubt. Eine kollektive Verschwörungstheorie gewissermaßen.
Im Krieg findet sich Propaganda auf allen Seiten, aber die russische Propaganda ist eine besondere. Sie ist die Wiederbelebung einer alten theologischen Überzeugung: „Credo quia absurdum est.“ Zu Deutsch: Ich glaube, weil es der Vernunft zuwiderläuft. Schon die theologischen Meister der Propaganda hatten erkannt, dass genau der Widerspruch, die Antilogik, das stabilste Fundament des Glaubens ist.
Kesselargument und Verkehrung
Diese Antilogik tritt derzeit in zwei Formen auf. Zum einen als sogenanntes Kesselargument, wo einander widersprechende Aussagen verbunden werden: Die Toten seien eine westliche Inszenierung. Es handele sich um Schauspieler. Die eine „Leiche“ habe gewunken. Und zugleich: Die Täter seien keine Russen gewesen. Die Menschen seien erst nach dem russischen Abzug getötet worden.
Zum anderen tritt die Propaganda als Verkehrung, als Umcodierung auf. Putin hat den Krieg von Anfang an unter die Parole einer „Entnazifizierung“ der Ukraine gestellt. Dazu musste der Begriff „Nazi“ aber umcodiert werden. Nazis sind nun nicht mehr Rechtsextreme, von denen es in der Ukraine einige gibt. In der russischen Version heißt Nazi einfach: Ukrainer. Oder wie der Historiker Timothy Snyder schreibt: Nazi ist ein Ukrainer, der sich weigert zuzugeben, dass er ein Russe ist.
Warum verwendet aber ein unzweifelbar autoritäres Regime, das Rechtsextreme weltweit finanziert – ein Regime, das vom „guten alten Putin’schen Autoritarismus zu einer neuen Art von totalitärem Staat übergegangen ist“, so der kritische russische Soziologe Greg Yudin –, warum verwendet so ein Regime ausgerechnet diese Parole? Weil sie einen propagandistischen Idealfall darstellt: die Verbindung der zwei Antilogiken.
Helden und Opfer
Zum einen wird damit die Erinnerung an die russische Heldengeschichte des Kampfes gegen die Nazis geweckt. Das russische Handeln heute wird damit geadelt – es wird zu einer Wiederholung, zu einer Fortsetzung dieser glorreichen Vergangenheit.
Zum anderen aber ermöglicht es den genau gegenteiligen Diskurs der Russen als Opfer eines Genozids, der Russen als neue Juden, die von den ukrainischen Nazis bedroht werden. Der Holocaust-Diskurs ist die eindeutigste Gut-böse-Zuordnung der Geschichte. Dieser wird herangezogen und die Rollen mit Russen und Ukrainern neu besetzt. Damit hat man eine moralische Bestimmung, die garantieren soll, dass man das Richtige tut.
Das ist die hohe Kunst der Propaganda: Kesselargument und Umcodierung in einem. In aller Absurdität. Die zentrale Frage aber ist: Warum funktioniert das? Dass es funktioniert, zeigen all jene Russen, die dem folgen. Das sind sicherlich nicht alle. Aber es sind viele. Das zeigen etwa die Botschafter, die diesen Diskurs weitertragen. Und die Politiker, die dabei mitmachen. Die vielen, die Putin nicht nur aus Zwang folgen. Kein Regime kann sich alleine durch Repression halten.
Nein, Propaganda ist nicht einfach „Priesterbetrug“ – Falschinformation, Täuschung, Manipulation. Sie ist vielmehr Schutz der kollektiven Fantasie. Sie ist Abwehr, Schutzschild, wenn dieser Glaube eine Erschütterung erfährt. Etwa einen Einspruch durch die Realität. Deshalb ist Propaganda für die Gemeinten plausibel, wie absurd sie auch sein mag. Für Außenstehende ist sie jedoch völlig unnachvollziehbar.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland