Rückkehr zum Unterricht: Heikler Schulstart
Diese Woche geht die Schule in weiteren vier Bundesländern los. Gestritten wird vor allem über die Maskenpflicht – und erste Schulschließungen.
„Wir haben von Anfang an gesagt, dass es Verdachtsfälle in den Schulen geben wird“, sagte Martin am vergangenen Freitag. Zu dem Zeitpunkt waren bereits zwei Schulen geschlossen: ein Gymnasium in Ludwigslust und eine Grundschule in Graal-Müritz. Nach dem Wochenende mussten zwei Schulen in Rostock einen Teil der Schüler:innen vorsorglich in Quarantäne schicken.
Für Hunderte Schüler:innen heißt das: Trotz bestem Sommerwetter zu Hause bleiben – und wieder zu Hause lernen. Auch in Hamburg, wo am Donnerstag das Schuljahr startete, sind nach Angaben des Senats derzeit 23 Schüler:innen positiv auf Corona getestet worden – die Testergebnisse weiterer Verdachtsfälle stehen noch aus. Auch in Hamburg heißt es für betroffene Klassen: erneutes Homeschooling.
Die Fälle aus Mecklenburg-Vorpommern und Hamburg zeigen, auf welche Szenarien sich die Bundesländer, die diese Woche ins neue Schuljahr starten, einstellen müssen: dass sich Urlauber:innen im Ausland mit dem Coronavirus infizieren – die Tests bei den Kindern aber zunächst negativ ausfallen. Dass eine Lehrkraft infiziert ist und das Kollegium ganz oder teilweise in Quarantäne muss. Und dass Lehrer:innen künftig Klassen, in denen Coronafälle auftreten, vorübergehend digital unterrichten, während der Unterricht für den Rest der Schule normal weiterläuft.
Bedürfnis nach Baden mit Abstand
„Das ist das Konzept“, sagt die mecklenburgische Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD). „Keine flächendeckende Schließung von Schulen mehr. Sondern dort, wo es Fälle gibt, schnell und konsequent handeln.“ Schwesig appellierte, das Coronavirus weiter ernst zu nehmen. „Das Bedürfnis von allen – und da schließe ich mich mit ein – ist, an die Seen zu fahren, an die Strände zu fahren.“ Wenn sich aber alle an die Regeln hielten und so die Ansteckungsgefahr für Schüler:innen und Lehrer:innen außerhalb der Schule gering bliebe, sei auch dafür gesorgt, dass das Coronavirus nicht in die Schulen getragen werden könne. Oder nur vereinzelt.
Ob das gelingt, ist jedoch fraglich. Alle Bundesländer verzeichnen laut Robert-Koch-Institut steigende Infektionszahlen, selbst dünn besiedelte Bundesländer wie eben Mecklenburg-Vorpommern oder Schleswig-Holstein. Dort blieb eine Grundschule beim Schulstart am Montag wegen eines Coronafalls geschlossen. Bildungsministerin Karin Prien (CDU) empfahl den älteren Schüler:innen im Land, in den ersten beiden Schulwochen freiwillig einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen – auch während des Unterrichts.
Und in Brandenburg, wo der Unterricht ebenfalls am Montag startete, hat das Kabinett am Dienstag nun doch eine Maskenpflicht für Schüler:innen und Lehrer:innen im Schulgebäude beschlossen. Ursprünglich hatte Bildungsministerin Britta Ernst (SPD) dies nicht vorgesehen. Auch Mecklenburg-Vorpommern und Hamburg haben erst vergangene Woche eine Maskenpflicht an Schulen eingeführt.
Besonders streng sind die Regeln in Nordrhein-Westfalen. Am Dienstag verteidigte Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) auf einer Pressekonferenz die Entscheidung, die Maskenpflicht für ältere Schüler:innen vorübergehend auch auf den Unterricht auszuweiten. „Die Maßnahme ist bis zum 31. 8. befristet und ist dem gestiegenen Infektionsgeschehen in Nordrhein-Westfalen geschuldet.“ Gebauer stellte klar, dass die Maßnahme „nicht auf Dauer aufrechterhalten werden sollte“. Ausschließen wollte sie es aber nicht. Vor allem Elternverbände hatten die Maskenpflicht im Unterricht als nicht praktikabel kritisiert. Oberstufenschüler:innen sollten nun aber leichter hitzefrei bekommen, versprach Gebauer.
Heftiger Streit um Masken
In Berlin, wo der Unterricht seit Montag läuft, sorgt die Maskenfrage für heftige Diskussionen. Der Landesschülerausschuss hatte am Wochenende laut über einen Schulstreik für mehr Sicherheit nachgedacht. Und der Landeselternausschuss fordert eine Maskenpflicht auch im Unterricht, um die Infektionsgefahr durch etwaige Last-Minute-Reiserückkehrer:innen zu minimieren.
Die Berliner Vorsitzende der Vereinigung der Schulleiterinnen und Schulleitern an Integrierten Sekundarschulen, Maren Pech, warnte: „Niemand weiß, wo die Menschen herkommen, wo sie im Urlaub waren, welche Kontakte sie hatten.“ Am Dienstag wurde dann bekannt, dass an einer Schule im Stadtteil Neukölln zum Schulstart eine Lehrkraft positiv getestet wurde, zehn weitere Kolleg:innen befinden sich vorsorglich in Quarantäne.
Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) verteidigte ihr Vorgehen indes und betonte, dass Berlin unter anderem eine umfangreiche Teststrategie speziell für die Schulen habe. Die soll mittelfristig auch Erkenntnisse darüber liefern, in welcher Form Schulen tatsächlich befürchtete Hotspots für das Virus sind. Seit Juni hätten sich Personal und SchülerInnen von 600 Schulen an einem freiwilligen Screening beteiligt – mit positiv getesteten Fällen im einstelligen Bereich. Auch die kostenlosen Tests für Schulpersonal würden angenommen, so Scheeres.
Rückenwind bekam sie am Montag durch ein Urteil des Berliner Verwaltungsgerichts. Zwei Schülerinnen und ihre Eltern hatten gegen die Aussetzung der Abstandsregel geklagt – doch die Richter betonten: Die Schutzmaßnahmen und das Testkonzept seien überzeugend, sodass man auf die 1,5-Meter-Regel verzichten könne. In Hamburg urteilten Richter:innen in einem ähnlichen Fall gegen einen Eileintrag eines Mannes, der die Maskenpflicht für Schüler:innen und Lehrkräfte verlangt.
Alles nur kein Lockdown
Die Länder haben klargemacht, dass sie einen erneuten Lockdown um jeden Preis verhindern möchten. So kündigte NRW-Schulministerin Gebauer an, alles tun zu wollen, um den Präsenzunterricht so weit wie möglich aufrechtzuerhalten. Wenn das Infektionsgeschehen es nötig macht, wird wohl auch die Maskenpflicht im Unterricht verlängert. Lob für diese Maßnahme erhält sie vom Präsident des Deutschen Lehrerverbands, Heinz-Peter Meidinger: „Wer vollen Unterrichtsbetrieb will, kommt an der Maskenpflicht nicht vorbei“, sagte Meidinger der Passauer Neuen Presse.
Den 16 Kultusminister:innen ist klar, dass gerade lernschwächere Kinder beim Homeschooling eher das Nachsehen haben. Ihr Plan B: die Schulen so gut es geht auf eine eventuelle Rückkehr zum Fernunterricht vorbereiten. Die Hamburger Schulbehörde hat insgesamt 39.000 Tablets und Notebooks angeschafft. In Mecklenburg-Vorpommern hat die Landesregierung bislang ein Drittel der Schulen an die Lernplattform „itslearning“ angeschlossen. NRW-Schulministerin Gebauer hat ihren Lehrkräften eine „Handreichung zum Lernen auf Distanz“ geschickt.
In Berlin will man es im Notfall mit halbiertem Präsenzunterricht versuchen. Der Plan sei bereits „sehr konkret“, betonte ein Sprecher am Dienstag, es gebe etwa genaue Vorgaben zum Stundenvolumen. Einige Schulen fragten zum Schulstart die Eltern konkret nach dem technischen Stand zu Hause und wo es Unterstützungsbedarf gebe – beim Lockdown im Frühjahr war das für viele Schulen eher ein Blindflug.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Tod des Fahrradaktivisten Natenom
Öffentliche Verhandlung vor Gericht entfällt
Energiewende in Deutschland
Erneuerbare erreichen Rekord-Anteil
Lateinamerika und Syrien
Assads Freunde
Wahlprogramm der FDP
Alles lässt sich ändern – außer der Schuldenbremse