Reform des Wettbewerbsrechts: „Staat hat sich machtlos gemacht“
Einst kämpfte Sven Giegold gegen die Globalisierung der Konzerne, jetzt kämpft er als Wirtschaftsstaatssekretär für die Globalisierung im Kartellrecht.
taz: Herr Giegold, vor 20 Jahren haben Sie bei Attac für die Entmachtung der Großkonzerne gekämpft. Nun verantworten Sie als Staatssekretär eine Novelle des Wettbewerbsrechts, in dem von „Entflechtung“ und „Gewinnabschöpfung“ die Rede ist. Sind Sie endlich am Ziel?
Sven Giegold: Natürlich wird es in einer Marktwirtschaft auch weiterhin große, mächtige Konzerne in Deutschland geben. In Märkten, wo sich die Kräfteverhältnisse aber in die falsche Richtung verschieben zum Nachteil des Gemeinwohls, ist es die Aufgabe von Politik, zu handeln. Und leider sehen wir bei den ersten Datensätzen des Bundeskartellamts zum Tankrabatt, dass die Abstände zwischen Rohöl- und Tankstellenpreisen seit Monatsbeginn gestiegen sind. Darum ist jetzt der richtige Zeitpunkt, um das deutsche Kartellrecht zu modernisieren. Wo Märkte vermachtet sind und Verbraucherinnen und Verbraucher deshalb einen zu hohen Preis bezahlen, muss der Staat in Zukunft stärker werden. Darum geht es.
Müssen Sie Herrn Lindner also dankbar sein, dass er Ihnen mit seinem Tankrabatt die Gelegenheit gegeben hat, jetzt neue Gesetze gegen Konzernmacht durchzusetzen?
Es gab schon im Koalitionsvertrag starke gemeinsame Aussagen zur Stärkung der Wettbewerbspolitik, und daran arbeiten wir seit vielen Monaten. Wir ziehen jetzt einige Punkte davon vor, aber es gibt keinen Kurswechsel, sondern nur eine Beschleunigung.
In Zukunft sollen Übergewinne künftig leichter abgeschöpft werden können. Wie soll das in der Praxis laufen?
Der Staat hat sich in der Vergangenheit unglaublich machtlos gemacht. Die aktuellen Hürden des Kartellrechts sind viel zu hoch. Zwar gibt es auf dem Papier die Möglichkeit einer kartellrechtlichen Gewinnabschöpfung, sie wurde aber noch nie angewandt. Um Übergewinne abschöpfen zu können, muss bisher nachgewiesen werden, dass sie missbräuchlich erzielt worden sind. Das gelingt in der Realität nie, das Kartellamt prüft sich da zu Tode. Da werden wir die Anforderungen so verändern, dass überhöhte Gewinne, die in vermachteten Märkten entstehen, dem Gemeinwohl leichter wieder zugeführt werden können.
Wer genau definiert dabei, ob ein Gewinn überhöht ist?
Es wird weiterhin dabei bleiben, dass das nicht die Politik oder ein Twitter-Sturm entscheiden. Dafür haben wir das Kartellamt. Das bekommt künftig auch an anderer Stelle sehr viel mehr Macht, etwa bei der Entflechtung von Unternehmen. Wenn die Anforderungen auch dafür so hoch sind, dass es in der Praxis nie geschieht, wird es Zeit, den Staat zu stärken. Zentral ist aus meiner Sicht das neue Instrument der Sektoruntersuchung, bei dem das Kartellamt Empfehlungen für besser funktionierende Märkte auf den Weg bringen kann.
Auch hier wieder die Frage: Wie funktioniert das in der Praxis?
Es existieren verschiedene Märkte, wo es nur wenige Anbieter gibt. Das kann verschiedene Gründe haben und muss nicht gleich heißen, dass etwas nicht stimmt. Aber es gibt eben auch Fälle, wo ein genauer Blick notwendig ist. Zum Beispiel gibt es nur wenige Vermittlungsplattformen für Hotelübernachtungen. Jeder kennt sie. Für die Verbraucher ist das sehr praktisch, denn man bekommt sehr leicht einen Gesamtüberblick über den Markt. Aber es sind so wenige Anbieter, dass sie hohe Vermittlungsgebühren von 15 Prozent verlangen können. Die Hotels können aber gar nicht anders, als auf diesen Plattformen präsent zu sein. Dann muss das Kartellamt zumindest genau hinschauen können, und in diesen Fällen könnte eine Sektoruntersuchung künftig besseres Durchgreifen ermöglichen.
Sven Giegold
geboren 1969, ist seit Dezember 2021 Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz. 2009 bis 2021 saß er für die Grünen im Europaparlament. Er ist Mitgründer des globalisierungskritischen Netzwerks Attac.
In vielen Bereichen sitzen die Anbieter nicht in Deutschland. Haben Sie auf die auch Einfluss?
Wenn Unternehmen hier am Markt aktiv sind, können wir auch hier mit kartellrechtlichen Maßnahmen ansetzen. Auch bei Google ist der Hauptsitz ja nicht in Europa, und trotzdem sind die EU-Behörden tätig geworden. Das Kartellrecht muss sich genauso globalisieren wie der Kapitalismus.
Für das aktuelle Problem, dass die Mineralölkonzerne die Steuersenkung für die Kraftstoffe zum Teil in die eigene Tasche stecken, kommt die Reform aber zu spät. Braucht es dafür dann nicht andere Maßnahmen, etwa eine Übergewinnsteuer?
Dass Übergewinne definiert und besteuert werden können, zeigen viele andere Länder – nicht nur Italien und Spanien, sondern auch das eigentlich immer wirtschaftsliberale Großbritannien plant das jetzt. Aber dafür liegt die Federführung nicht bei uns, sondern im Finanzministerium.
Aber wenn der Tankrabatt offensichtlich nicht so richtig funktioniert – sollte man ihn dann nicht einfach vorzeitig beenden?
Er wurde als Ergebnis eines Kompromisses beschlossen. Und dann gilt dieser Beschluss ebenso wie die übrigen Maßnahmen, die vom Bundestag beschlossen wurden.
Vor langer Zeit haben die Grünen ja mal einen Preis von 5 Mark pro Liter gefordert. Jetzt ist das fast Realität. Warum kämpft eigentlich ausgerechnet ein grün geführtes Ministerium darum, dass der Preis wieder sinkt?
Die Grünen sind nie dafür eingetreten, dass Unternehmen durch Oligopole Übergewinne auf Kosten der Allgemeinheit machen. Richtig bleibt hingegen, externe Kosten für Klima- und Umweltschäden zu internalisieren, wie wir das mit dem Emissionshandel tun. Von diesen Einnahmen unterstützen wir Investitionen in Energieeffizienz und erneuerbaren Energien, was allen nützt. Derzeit nützen die hohen Preise aber nur den Aktionären der Konzerne. Das ist ein wichtiger Unterschied.
Die FDP trägt Ihre Pläne mit. Zeigt das nicht, dass eine wirkliche Entmachtung der Konzerne, für die Sie früher gekämpft haben, damit doch nicht droht?
Aus der FDP kamen erste positive Rückmeldungen für eine Reform des Kartellrechts. Daran sollten wir jetzt gemeinsam arbeiten und die Gesetzesnovelle schnell auf den Weg bringen.
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