piwik no script img

Reform der Ersatzfreiheitsstrafe vertagtLängere Haft wegen IT-Problemen

Der Bundestag hat auf Wunsch Bayerns die Verkürzung der Ersatzfreiheitsstrafe vertagt. Einige Tausend Menschen müssen daher doppelt so lange in Haft.

Reform der Ersatzfreiheitstrafe vertagt, weil Bayern mehr Lederhose als Laptop ist Foto: Daniel Karmann/dpa

Karlsruhe taz | Wegen der fehlenden Digitalkompetenz in Deutschland, insbesondere in Bayern, müssen Tausende Menschen für Monate länger ins Gefängnis. Die Halbierung der Ersatzfreiheitsstrafe musste verschoben werden, weil Bayern die nötige IT-Umstellung nicht rechtzeitig erledigen konnte.

Wer eine Geldstrafe nicht bezahlen kann, muss ersatzweise ins Gefängnis. Bisher musste für einen Tagessatz nicht bezahlte Geldstrafe ein Tag Ersatzfreiheitsstrafe verbüßt werden. Weil der Gefängnisaufenthalt aber ungleich schwerer belastet, halbierte der Bundestag im Juni den Umrechnungsschlüssel. Pro Tagessatz Geldstrafe wird nur noch ein halber Tag Gefängnis fällig.

Eigentlich sollte die Reform zum 1. Oktober in Kraft treten. Der Bundestag hat den Stichtag aber nachträglich um vier Monate auf den 1. Februar 2024 verschoben. Dies geschah bereits Anfang Juli, was aber niemand mitbekam, weil die Gesetzesänderung in einem Gesetz zur Güterverkehrsstatistik versteckt wurde und deshalb der Verkehrsausschuss des Bundestags federführend war. Erst die Bundesarbeitsgemeinschaft Straffälligenhilfe machte jetzt auf die Verschiebung aufmerksam.

Grund für die Verschiebung sind IT-Probleme. Ein Modul zur Strafzeitberechnung wird von einem Verbund aus neun Bundesländern unter Federführung Bayerns benutzt und muss nun neu programmiert werden. Obwohl die Änderung des Umrechnungsschlüssels von 1:1 in 1:2 nicht allzu komplex scheint, forderte Bayern sechs Monate Aufschub und erhielt nun immerhin vier Monate.

Davon betroffen sind einige Tausend Menschen, die doppelt so lange ins Gefängnis müssen, wie vom Bundestag zunächst vorgesehen. Genaue Daten hierzu wird es nicht geben, denn es gibt keine Statistik zur Zahl der Ersatzfreiheitsstrafen. Auch für die Länder ist die Verschiebung nachteilig. Jeder Hafttag kostet sie weit über 100 Euro pro Person. Einen Verschiebungsantrag Bayerns lehnte der Rechtsausschuss des Bundesrats noch Ende Juni ab.

Doch was bedeutet die Verschiebung konkret? Für alle Geldstrafen, die bis zum 1. 2. 2024 rechtskräftig werden und unbezahlt bleiben, gilt noch der alte 1:1-Umrechnungsschlüssel. Es könnte sich also lohnen, pro forma Rechtsmittel einzulegen und nach dem 1. Februar wieder zurückzunehmen, damit die Rechtskraft der Geldstrafe erst nach dem Stichtag eintritt. Allerdings sind von Ersatzfreiheitsstrafen in der Regel Leute betroffen, die sich solche Gedanken nicht machen, weil sie ihr Leben eh nicht geregelt bekommen. Viele von ihnen sind suchtkrank und obdachlos.

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

15 Kommentare

 / 
  • @INGO BERNABLE

    Dafür müsste mensch erst verstanden haben, in welcher Programmiersprache das Ding denn geschrieben ist. Oder wo überhaupt der Quellcode steckt ;-)

    Aber vielleicht hilft da ChatGPT/Dingsbums Copilot auch.

    Dass der Bundestag da eingeknickt ist macht mich trotzdem wütend.

  • "... für die Verwaltung bleiben allenfalls Programmierer, die vor 1989 einen Volkshochschulkurs in Basic besucht haben."

    Dann sind wir uns in dem einen Punkt einig. Skandal bleibt aber, dass manche Menschen darüber Freiheitsentzug erleiden müssen.

    Ehrlich gesagt halte ich das aber für eine faule Ausrede.

    Um einen Menschen zu zitieren, der sich viel damit beschäftigt: "Software, kann man nichts machen".

    • @tomás zerolo:

      Beispiele für die Berechnung einer Division in 218 unterschiedlichen Programmiersprachen sind problemlos online zu finden:



      rosettacode.org/wiki/Arithmetic/Integer



      Um da richtigen Schnipsel herauszufischen und für den fraglichen Code anzupassen sollte man ja nun wirklich keinen promovierten Informatiker benötigen.

      • @Ingo Bernable:

        Auf den Bildschirmen der Verwaltung mit schwarzem Hintergrund und grüner Schrift kann die Seite bedauerlicherweise nicht angezeigt werden.

  • @DIMA

    Dass sie von dieser brüllende Inkompetenz ablenken wollen könnte das ganze noch komischer machen.

    Ginge es da nicht um die Freiheit von Menschen.

    Achso. Nur *arme* Menschen. Verstehe.

    • @tomás zerolo:

      Was heißt den "brüllende Inkompetenz". Programmierer finden doch überall gut bezahlte Jobs und für die Verwaltung bleiben allenfalls Programmierer, die vor 1989 einen Volkshochschulkurs in Basic besucht haben. Das sind doch Realitäten, die man bei der Umsetzung von Gesetzen bereits berücksichtigen muss. Gerade bei der Ampel gilt dagegen schnell schnell und stellt dann fest, dass es mit der Umsetzung happert.

      Anderes Beispiel auf Länderebene: Schulbauoffensive. Wenn man keine Mitarbeiter in der Verwaltung hat, braucht man keine Budgetpositionen bereit zu stellen.

  • Problematisch ist eher, dass der Gesetzgeber dazu übergegangen ist stets und ständig kurze und immer kürzere Übergangsfristen zu beschließen. Solche Änderungen sollten stets eine Umsetzungsfrist von mindestens einem Jahr zum Jahresende haben.

    • @DiMa:

      Tut mir leid, aber ist das Ironie?



      Die Anzahl der Tagessätze zu halbieren ist doch nichts was in irgendeiner Form Probleme machen sollte. So wie ich das verstehe gilt das ja auch nur auf neue Verurteilungen und nicht rückwirkend auf bereits inhaftierte. Somit ist das wirklich kein Mehraufwand.

      • @esgibtnureinengott:

        Naja, da kennen Sie die Programmierer jedoch schlecht. Zwischen "sollte" und der Wirklichkeit klafft halt eine Lücke. Im Übrigen passiert in Bayern im August wegen der Ferien bekanntlich nichts. Um auf Ihre Eingangsfrage zurück zu kommen: nein.

  • Mal darüber nachgedacht, dass Obdachlose vielleicht im Winter ganz gern mal so eine Ersatzstrafe absitzen?

    • @Tripler Tobias:

      Dann sollte man die Ersatzfreiheitsstrafen wohl doch besser verdoppeln statt sie zu halbieren. Aber ernsthaft, auch Obdachlose können sich wohl Besseres vorstellen als Knast, das so zu verhandeln als ob das eher eine alternative Sozialmaßnahme wäre ist deshalb wohl eher ein Hinweis auf den desolaten Zustand tatsächlicher Hilfsprogramme, von Ansätzen wie Housing First gar nicht erst zu reden.

  • Obdachlose und Suchtkranke bekommen ihr Leben nicht geregelt.



    Was für eine krasse Sprachwahl.



    Wes geistes Kind ist das wohl?

  • Die Digitalkompetenz von Bund und Ländern ist einfach nur noch peinlich. Ein seperates Haftzeitenberechnungsmodul um die vom Gericht verhängte Strafe durch Zwei zu dividieren? Sechs Monate Vorlauf um eine einzige Zeile Programmcode anzupassen? Bei solchen Verhältnissen kann man doch eigentlich nur zu dem Schluss kommen, dass es für alle Beteiligten besser wäre die Digitalisierung bleiben zu lassen und derlei Triviales halt einfach im Kopf oder notfalls auf dem Abakus auszurechnen statt auf einem Computer.

  • Hätte es nicht gereicht, den Termin vom 1. auf den 8. Oktober zu verschieben? Dann sind die Landtagswahlen vorbei.

  • Kompetenz. Geballte Kompetenz. Und auch noch Hochachtung der Rechte der Betroffenen.