Rechtsextremistischer Terror in Hanau: Riss im Selbstbild
Deutschland war nie so freundlich und liberal, wie es gerne glaubt. Im Angesicht des Rechts-Terrors aber wird klar: Alle Bekundungen sind zu wenig.
D ie Bundesrepublik hat ein freundliches Bild von sich selbst entworfen. Sie ist aus der Geschichte der NS-Gewalt klug geworden, fest im Westen vertäut und weitgehend gewappnet gegen die autoritäre Verführung, die derzeit global an Boden gewinnen. Wir hingegen sind fast streberhaft bemüht, einen liberalen, weltoffenen Eindruck zu machen.
Diese Erzählung war schon immer zu glatt, zu nett, zu sehr von Selbstlob getränkt. Jetzt ist sie ein Grund, warum es so schwierig ist zu begreifen, was offenkundig ist: Es gibt einen rechtsterroristischen Angriff auf die Republik, eine blutige Spur, die von den Morden des NSU über den Mord an Walter Lübcke und den Anschlag auf die Synagoge in Halle bis zu den Toten in Hanau reicht. Dieser rechte Terror ist ein tiefer Kratzer im netten Bild der Bundesrepublik als Hort von Vernunft und Zivilität. Weil die rechten Morde dazu nicht passen, fällt es enorm schwer, die Angriffe so ernst zu nehmen, wie sie sind.
Mag sein, dass diese Schwerfälligkeit durch die Art des Terrors begünstigt wird. Die Angriffe gelten, anders als die der RAF, nicht den Spitzen des Staates, und es gibt auch keine Kommandozentrale, die die Taten plant. Der rechte Terror ist diffuser, unberechenbarer. Beim NSU waren überzeugte Nazis am Werk. In Hanau mordete ein Rechtsextremist, der mannigfache paranoide Vorstellungen hatte. Doch so diffus und spontan ist die rechtsterroristische Gewalt gar nicht. Sie zielt auf ein Feindbild: alle, die nicht deutsch aussehen.
Figuren wie Stephan E. in Kassel und Tobias R. in Hanau fühlen sich, anders als früher, ermutigt zu töten. Das ist typisch für die Konjunkturen rassistischen Terrors. Auch in den frühen 90er Jahren hatten vor allem im Osten viele Rechtsextreme, als sie Brandbomben in Wohnungen warfen, das Gefühl, das zu tun, was viele insgeheim guthießen. Das stille Nicken, auch die achselzuckende Bagatellisierung, dass es ja nur ein Einzeltäter sei, ist der Humus, auf dem dieser Terror wächst.
Aus RAF-Zeiten weiß man, wie fatal das Gerede von geistigen Brandstiftern sein kann. Damals wurden von Konservativen auch Jürgen Habermas und Heinrich Böll für die RAF in Haftung genommen. Daher sollte man, in Erinnerung an die Sympathisantenjagd, vorsichtig sein mit solchen Bezichtigungen. Aber: Die Reaktionen der AfD, die von Ausreden über Verharmlosungen bis zu der Verdrehung reicht, Merkel oder die Migranten seien schuld, sind bodenlos. Die AfD kann keine klare Grenze zur Gewalt ziehen, weil sie dann in dem von Verfolgungswahn geprägten Weltbild der Mörder die Echokammern in ihrer eigenen Hassrhetorik erkennen müsste.
Als Rechtsterroristen 1992 in Solingen mordeten, scheute Kanzler Kohl Bilder am Tatort. Es ist ein gutes Zeichen, dass Frank-Walter Steinmeier nach Hanau fährt. Dies ist auch keine Effekthascherei: Steinmeier kümmert sich auch um Opfer rechter Gewalt, wenn die Kameras aus sind. Merkels Formel, dass „Rassismus und Hass Gift sind“, kam rasch und ist treffend.
Aber nach Hanau ist klar: All das ist zu wenig.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles