Rechtsextreme „Sächsische Separatisten“: Mit Terror und Trompeten
Acht junge Männer werden unter Terrorverdacht festgenommen, darunter drei AfD-Funktionäre aus Sachsen. Hat niemand etwas mitbekommen? Eine Spurensuche in Grimma.
G unther Brix steht in karierter Flanelljacke hinter seinem Gartenzaun, Hände in den Hosentaschen. Es ist Donnerstag, zwei Tage nachdem ein Großaufgebot der Polizei im Nachbarort zwei von acht mutmaßlichen Rechtsterroristen festgenommen hat. Brix, der sich beim örtlichen Heimatverein engagiert, blickt rüber auf die andere Straßenseite, wo das Kriegerdenkmal steht, das an 23 Gefallene aus dem Grimmaer Ortsteil Kleinbothen im Ersten Weltkrieg erinnert. Dort drüben, erzählt er, seien die jungen Leute vor vier Jahren plötzlich aufgetaucht. Als Studenten hätten sie sich vorgestellt, die historisch interessiert seien und solche Denkmäler putzten. „Sie sind äußerst freundlich gewesen“, erinnert sich Brix. „Wir fanden das klasse.“
Am Ende habe jemand vom Heimatverein sogar noch Geld für Farbe gespendet. Danach habe er nie wieder Kontakt zu den dreien gehabt. Einer habe ihm damals aber noch seine Telefonnummer gegeben: Er hieß Kurt Hättasch.
Jener Kurt Hättasch nun wurde am vergangenen Dienstag in einer großangelegten Polizeiaktion im Auftrag der Bundesanwaltschaft festgenommen – zusammen mit sieben weiteren Männern, im Alter zwischen 21 bis 25 Jahren. Sieben weitere Personen wurden ebenfalls durchsucht, die Einsätze fanden auch in Polen und Österreich statt. Die Bundesanwaltschaft wirft ihnen die Bildung oder Unterstützung einer rechtsextremen Terrorgruppe vor, der „Sächsischen Separatisten (SS)“. Schon seit vier Jahren sollen sie sich in paramilitärischen Trainings für einen „Tag X“ vorbereitet haben, einen Umsturz.
Gruppe plante „ethnische Säuberungen“ in Sachsen
Mit Waffengewalt habe die Gruppe danach Gebiete in Sachsen erobern und „ethnische Säuberungen“ durchführen wollen, so der Vorwurf. In ihren Chats soll der Anführer der Gruppe laut Medienberichten auch von einem „Holocaust“ geredet haben, mit dem Ostdeutschland von Einwanderern gesäubert werden müsse. Sie hatten sich bereits Ausrüstung besorgt: Tarnanzüge, Gefechtshelme, Gasmasken und Schutzwesten. Nach taz-Informationen wurden zudem bei mehreren Beschuldigten unregistrierte scharfe Waffen gefunden. Die Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof haben inzwischen alle Haftbefehle bestätigt.
Als die Polizei im Morgennebel bei Hättasch anrückte, in einem einsamen Haus an einem schmalen Feldweg in einem Dorf bei Grimma, soll der Mittzwanziger eine Waffe getragen haben, es fielen Schüsse. Hättasch wurde am Kiefer verletzt und musste ins Krankenhaus.
Kurt Hättasch war nicht irgendwer. Der Metallbauer und Jäger war bislang Fraktionschef der AfD im Grimmaer Stadtrat und auch im Vorstand des Kreisverbands – und seit Ende Oktober Schatzmeister der Parteijugend in Sachsen, der Jungen Alternative. Zwei weitere Festgenommene, Kevin Richter und Hans-Georg Pförtsch, waren ebenso Teil des AfD-Kreisverbands.
Hört man sich dieser Tage in Grimma um, will niemand etwas geahnt haben. Bei der Aktion an dem Kriegerdenkmal war neben Hättasch damals auch Richter dabei. Etwas Extremes habe er da nicht bemerkt, sagt Gunther Brix vom Heimatverein. Auch André Rahmlow, der Leiter des Jugendblasorchesters, in dem Hättasch und Richter viele Jahre Trompete und Flügelhorn spielten, sagt der taz, er habe „null Anzeichen“ für Terrorpläne gesehen. Die Leipziger Volkszeitung berichtet 2019 von einem „gelungenen“ Neujahrskonzert: „Die Moderation übernahm erneut Trompeter Kurt Hättasch, der als roten Faden das Thema Familie wählte und für einige Schmunzler sorgte.“ Gespielt wurden Rock-Klassiker, Volkslieder, Twist, Walzer und ein Udo-Jürgens Medley. Hättasch und Richter seien zuletzt wegen ihrer Arbeit auch kaum noch dabei gewesen, sagt Orchesterleiter Rahmlow.
Nachbarn vor Ort wollen ebenso nichts bemerkt haben. Ein „hochanständiger Mann“ sei Hättasch gewesen und engagiert im Jagdverein, lobt ihn einer. Ein anderer Nachbar berichtet über Richter, dieser sei unauffällig gewesen, manchmal habe er ihn musizieren gehört. Und Ute Kabitzsch, derzeit kommissarische Oberbürgermeisterin von Grimma, lässt mitteilen, die Vorwürfe seien „unvorstellbar“. Sie sei „zutiefst erschüttert“.
Kann das sein? Dass eine Gruppe für einen Umsturz trainiert – und niemand bekommt etwas mit?
Tobias Burdukat sieht das anders. Der Sozialarbeiter mit dem Rauschebart, Anfang vierzig, sitzt am Donnerstag mit Laptop an einem Wohnzimmertisch im Büro seines Vereins, unweit des Marktplatzes von Grimma. An den Wänden prangen bunte Graffiti, im Hintergrund läuft Hardcore-Musik, an der Schaufensterscheibe wird ein „Gutes Leben für alle“ gefordert. Burdukat arbeitet seit vielen Jahren in der Stadt, trat auch schon mal für ein linkes Bündnis als Bürgermeisterkandidat an, ohne Erfolg.
Tobias Burdukat, Sozialarbeiter aus Grimma
Vor knapp 10 Jahren war er als Sozialarbeiter an Hättasch geraten. Schon damals gab es an dessen Gymnasium in Grimma, einem Vorzeige-Internat, Anzeichen, dass Hättasch nach weit rechts abrutsche. Der damalige Teenager galt als Einzelgänger. Auf Projekttagen habe er sich dann rassistisch und menschenfeindlich geäußert, „eine Spur krasser als andere“, erinnert sich Burdukat. Es habe Gespräche mit Hättasch, seiner Familie und der Schule gegeben. Aber auch danach sei es auf dem Schulhof zu Konflikten gekommen, tauchten Sticker der rechtsextremen Identitären auf. Der Stadtrat habe die Vorfälle mitbekommen. Am Ende habe aber niemand reagiert, sagt Burdukat. „Im Gegenteil wurden wir, die darauf hinwiesen, noch als Nestbeschmutzer beschimpft.“
Hättasch tauchte offenbar immer weiter in die rechtsextreme Szene ein. 2018 hing an seinem Gymnasium, einer „Schule ohne Rassismus“, schließlich ein Identitären-Banner mit der Aufschrift „Linken Lehrern in die Suppe spucken“. Weil die Schule aus seiner Sicht nicht wirklich reagierte, zog sich ein Pate des „Schule ohne Rassismus“-Programms zurück.
Wenig später begann eine Gruppe in der Stadt, Antifa-Graffitis zu übermalen. Sie nannte sich „Bund Deutscher Maler“, BDM – wie die NS-Vereinigung „Bund Deutscher Mädel“. Mit dabei: Kurt Hättasch und Kevin Richter. Es war die Gruppe, die auch das Kriegerdenkmal in Kleinbothen säuberte. Danach stellten sie davon ein Video ins Internet, unterlegt mit der Ballade eines antisemitischen Lyrikers aus der NS-Zeit und dem Appell: „Tut etwas für Deutschland!“
Fiel die Radikalisierung in Grimma niemandem auf?
Das mit dem Video und dem BDM-Gruppennamen habe er nicht gewusst, sagt Gunther Brix vom Heimatverein. „Sonst hätte ich da schon nachgefragt.“ Und auch die Schulleitung teilt nur mit, dass Hättasch früher das Gymnasium besuchte. Damals wie heute habe es viele Projekte und Angebote in den einzelnen Klassen gegeben, auch eine „gute Schulsozialarbeit“. Inwiefern diese bei Hättasch zum Einsatz kam, beantwortet die Schule nicht.
Hättasch und Richter machten weiter. Spätestens ab 2019 tauchten beide im Umfeld der AfD auf – die in Sachsen inzwischen als gesichert rechtsextrem eingestuft ist. Ein Video, das der AfD Kreisverband Landkreis Leipzig im November jenes Jahres veröffentlichte, zeigt, wie die beiden eine Parteiveranstaltung am Volkstrauertrag in Bad Lausick musikalisch begleiten: Mit Trompete, Flügelhorn und Schiebermützen stehen sie vor einem Notenständer und spielen das Lied „Vom Guten Kameraden“.
Hättasch band sich offenbar auch familiär an die rechtsextreme Szene: Nach taz-Informationen ist seine Frau die Tochter von Thomas Sattelberg, dem ehemaligen Anführers der verbotenen Skinheads Sächsische Schweiz („SSS“), einer brutalen neonazistischen Kameradschaft. 2019 reiste Sattelberg mit seiner Tochter für einen Besuch in die Ukraine, um sich dort mit rechtsextremen Asow-Vertreter*innen zu vernetzen.
Im Frühjahr 2022 tauchten Hättasch und seine Frau auch beim Institut für Staatspolitik des neurechten Vordenkers Götz Kubitschek in Schnellroda auf, heute ebenfalls als rechtsextrem eingestuft. Im Mai desselben Jahres ließen sich Hättasch sowie vier weitere der Festgenommenen, Hans-Georg Pförtsch, Karl K., Jörg und Jörn S., dann mit Höcke fotografieren – hinter einem Banner der „Jungen Alternative“ (JA), mitten auf dem Marktplatz in Grimma, wo der Thüringer AfD-Chef eine Kundgebung abhielt. Hättasch baute damals einen Stand für die JA auf.
Schon der Vater organisierte paramilitärische Trainings
Laut Bundesanwaltschaft soll sich Hättasch kurz darauf, im August 2022, den „Separatisten“ angeschlossen haben. Gegründet haben soll diese indes schon knapp zwei Jahre zuvor Jörg S. aus Brandis, einer Kleinstadt, keine 20 Kilometer von Grimma entfernt. Er und sein ebenfalls festgenommener Bruder Jörn S. kommen aus einer einschlägigen Familie: Der Großvater war in Österreich bei der FPÖ, ihr Vater ist ein mehrfach verurteilter Rechtsextremist. Er war sieben Jahre lang Zeitsoldat im Bundesheer und in den 1980er Jahren in der militanten Neonazi-Szene Österreichs aktiv. Er organisierte später paramilitärische Trainingslager und dutzende Wehrsportübungen für Neonazis, bei denen laut Medienberichten auch geübt wurde, Menschen mit den bloßen Händen zu töten.
In den 1990er Jahren zog es ihn nach Sachsen, wo er für Baufirmen tätig ist. Zuletzt soll er bei den Legida-Protesten in Leipzig aktiv gewesen sein. Auch bei zwei weiteren seiner Söhne gab es Durchsuchungen, sie wurden aber nicht festgenommen.
Die Gruppe soll sich über den Messengerdienst Telegram organisiert haben. Ihre Trainings führte sie etwa auf einem verlassenen Flugplatz bei Brandis durch. Ganz ähnlich wie schon ihr Vater übten die Brüder S. und ihre Kameraden laut Bundesanwaltschaft Häuserkampf, führten Nachtmärsche durch. Auch soll die Gruppe zu Schießtrainings nach Tschechien und Polen gefahren sein. In Grimma, gleich neben dem Bahnhof, bauten Gruppenmitglieder nach taz-Informationen zudem ein dreistöckiges Haus, in dessen Erdgeschoss früher ein Imbiss war, zu einem Treffort aus. Auch hier rückte die Polizei am Dienstag an.
Kerstin Köditz, Linkspartei
Was die Stadt davon mitbekam, will sie nicht beantworten. Man solle sich an die Ermittlungsbehörden richten, erklärt ein Stadtsprecher. Der erste Hinweis zu den mutmaßlichen Terrorplänen soll vom US-Geheimdienst FBI gekommen sein, der einen Account in einem englischsprachigen Chat mit radikalen Aussagen entdeckte. Deutschen Sicherheitsbehörden gelang es dann, den Nutzer zu identifizieren: Jörg S. Ermittler observierten daraufhin die Gruppe akribisch. Als es in Gesprächen dann ernster wurde, sich Waffen zu beschaffen, schlug die Bundesanwaltschaft zu.
Mehrere der nun Festgenommenen müssten den deutschen Sicherheitsbehörden eigentlich schon in anderen Zusammenhängen aufgefallen sein. Seit 2015 taucht etwa Hans-Georg Pförtsch auf diversen rechtsextremen Veranstaltungen auf. Pförtsch hatte offenbar auch internationale Kontakte: Ein Foto zeigt ihn mit drei Mitgliedern des schwedischen „Nordic Resistance Movement“, die das US-Außenministerium im Juni 2024 als Terrorgruppe einstufte.
Pförtsch mit Fahne von „Knockout 51“-Vorgänger
Wie das Rechercheportal Jena/Saale-Holzland-Kreis recherchierte, war Pförtsch zudem wohl auch mindestens im Umfeld des rechtsextremen Schlägertrupps „Knockout 51“ unterwegs: Fotos, die der taz vorliegen, zeigen, wie er am 1. Mai 2018 in Erfurt auf einem Aufmarsch der NPD mit einer Fahne des „Nationalen Aufbau Eisenach“ marschiert, einer der Vorgängerorganisationen von „Knockout 51“. Ende Juni waren vier Männer wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung zu Haftstrafen verurteilt worden. Sie sollen mit der Gruppe „Knockout 51“ Kampfsport trainiert und am Ende auch vorgehabt haben, politische Gegner zu töten.
Erst im September klagte die Bundesanwaltschaft drei weitere Mitglieder von „Knockout 51“ an. Die Linkenpolitikerin Katharina König-Preuss hatte bereits 2020 nach Thüringer Verbindungen zur rechtsterroristischen Gruppe „Atomwaffen Division“ in den USA gefragt – einer Gruppe aus der sogenannten „Siege“-Szene also, zu denen laut Bundesamt für Verfassungsschutz nun auch die Sächsischen Separatisten Bezüge aufweisen sollen. Hätte man das alles früher wissen können?
Zwei Tage nach den Razzien zieht der Alltag wieder in Grimma ein. Im Café neben dem Haus von Kevin Richter ist reger Betrieb. Nahe Hättaschs Haus, wo dessen Frau und Kleinkind wohnen, rollt ein Traktor übers Feld. Nachbarn wollen nichts zu den Festnahmen sagen oder zeigen sich teils fassungslos, andere entrüstet. Was sollen das für Vorwürfe sein, schimpft einer. „Acht Mann wollen die Welt einreißen? Früher wurden die Juden verfolgt, heute ist es die AfD.“
Für Kerstin Köditz passen die Vorwürfe dagegen ins Bild. Die Linkenpolitikerin sitzt am Donnerstag in ihrem kleinen Parteibüro in Grimma, umzingelt von proppevollen Bücherregalen. „Es gibt hier in Sachsen seit Jahren solche Gruppen, die sich vom Rechtsterror angezogen fühlen. Festnahmen wie jetzt zeigen nur die Spitze des Eisbergs.“ Köditz kennt die rechtsextreme Szene gut: Jahrzehntelang verfolgte sie als Landtagsabgeordnete deren Aktivitäten. Der NSU lebte in Sachsen im Untergrund, später folgten Rechtsterrorgruppen wie Sturm 34, die Gruppe Freital, Revolution Chemnitz, in der Gegend um Grimma die „Terror Crew Muldental“. Für Köditz hat das auch damit zu tun, dass sich viele Sachsen nicht daran störten – oder solche Neonazis noch bestärkten.
Rechte Verbindungen von der AfD bis zum III.Weg
Was die jetzt Festgenommenen indes von früheren Rechtsterrorgruppen unterscheidet: Die „Separatisten“ sind jung und teils eher bildungsbürgerlich orientiert, bewegen sich neben der AfD auch im Burschenschaftsmilieu. Andere können, trotz ihres Alters, auf eine beachtliche Demo-Karriere zurückblicken: Schon seit Jahren tauchen sie bei Aufmärschen der AfD, der NPD oder des III. Wegs auf. Jörn S. soll diesen Februar gar bis nach Budapest gefahren sein, zum „Tag der Ehre“, der seit Jahren als europaweites Vernetzungstreffen der rechtsextremen Szene fungiert.
Zumindest Hättasch kennt Köditz dabei auch ganz direkt: Er saß bis vor Kurzem mit ihr im Stadtrat von Grimma, genauso wie Kevin Richter, der Stellvertreter im Sozialausschuss war und im Beirat für Kultur, Jugend und Sport. Eine „Chaostruppe“ sei die AfD-Fraktion in Grimma, sagt Köditz.
Hättasch habe nur eine Rede in der noch jungen Legislatur gehalten, über ein Projekt für eine Mehrzweckhalle, sie war vorgeschrieben und unverfänglich. Er habe sprechen können, sei wohl deshalb Fraktionschef geworden, vermutet Köditz: „Es wirkte, als wolle die Partei ihn für Höheres aufbauen.“ Tatsächlich war Hättasch seit Herbst auch Mitarbeiter des AfD-Landtagsabgeordneten Alexander Wiesner, des JA-Landeschefs. Er soll Hättasch inzwischen entlassen haben. Für die taz war er nicht zu erreichen.
Würdigende Erwähnung durch Götz Kubitschek
Als Bekannten bezeichnet ihn der Neurechte Götz Kubitschek in einem Blogbeitrag, als „Selbstversorgerseele, Typ Kamerad“. Schatzmeister der JA, das werde man nicht, „wenn man nicht gründlich und akkurat wirtschaften kann“. Es ist eine JA, deren sächsischer Verband als besonders radikal gilt, der über einen „linksgrünen Multikulti-Messeralptraum“ ätzt oder eine großangelegte „Remigration“ fordert. Zudem tauchte Hättasch mit Kevin Richter auf Sonn- oder Winterwendfeiern auf, etwa im Juni in Strahwalde, inklusive Liedern der Hitlerjugend und Ehrung eines SS-Standartenführers. Die taz machte es öffentlich. Die AfD aber nominierte Hättasch wenig später dennoch als stellvertretenden Bürgermeister von Grimma – gewählt wurde er nicht.
Das ist nun die zweite große Frage: Wie radikal ist die AfD inszwischen? Und welche Konsequenzen sollten die Terrorvorwürfe für die Partei haben?
André Rahmlow, der Orchesterleiter, sagt, das AfD-Engagement von Hättasch und Richter sei natürlich bekannt gewesen. „Aber im Orchester haben sie sich nie politisch gegeben. Und nur in der AfD zu sein ist noch kein Ausschlussgrund.“ Nach den Festnahmen habe der Orchestervorstand die Mitgliedschaft der beiden allerdings „auf Eis“ gelegt, betont Rahmlow.
Auch die Stadt prüft laut ihrer Interimsbürgermeisterin Kabitzsch nun Konsequenzen für Hättasch und Richter im Stadtrat. Man verurteile Rechtsextremismus, die Vorwürfe werfen einen „dunklen Schatten auf die Arbeit des gesamten Stadtrats“, heißt es in einer Erklärung.
Politiker und Abgeordnete fordern AfD-Verbot
Kerstin Köditz reicht das nicht. Sie fordert mehr Handeln gegen Rechtsextremismus in der Stadt, in Schulen und Vereinen. „Sonst bleibt es nur Lippenbekenntnis und geht darum, den eigenen Ruf zu retten.“ Dass die Festgenommenen aus dem Umfeld der AfD kommen oder dort gar Funktionäre waren, überrascht sie nicht. „Die AfD predigt Hass und irgendwann wollen einige eben auch Taten sehen.“ Die Linkenpolitikerin fordert, nun schnellstens ein AfD-Verbot in die Wege zu leiten. „Das ist überfällig.“
Köditz ist damit nicht allein. Schon seit Langem fordert auch der sächsische CDU-Bundestagsabgeordnete Marco Wanderwitz, einst Ostbeauftragter der Bundesregierung, ein AfD-Verbot. Inzwischen hat er genügend Abgeordnete zusammen, um den Antrag im Bundestag einzubringen. Den Fall der „Sächsischen Separatisten“ nennt er „heftig“. Dieser werfe abermals ein bezeichnendes Licht auf die AfD. „Da kommen mutmaßlich Rechtsterroristen aus der Mitte der AfD. Es sind Hass und Ideologie dieser Partei, die sie antrieben.“
Der Fall zeige einmal mehr, wie wichtig es sei, die Verfassungswidrigkeit und ein Verbot der AfD nun zügig durch das Bundesverfassungsgericht prüfen zu lassen, sagt Wanderwitz. Auch wenn nun Neuwahlen bevorstehen, wolle man den Verbotsantrag noch in der Restlegislatur im Bundestag einbringen, betont Wanderwitz. „Wir werden das nun beschleunigt tun. Die AfD ist eine ernste Gefahr für die Demokratie – das erlaubt keinen Aufschub.“
AfD in Erklärungsnot
In der AfD ist man auch deshalb um Schadensbegrenzung bemüht. AfD-Bundeschef Tino Chrupalla nannte die Vorwürfe noch am Dienstag „schockierend“. Der sächsische Landesverband beschloss tags darauf, die drei festgenommenen AfD-Männer aus der Partei zu werfen. Nach taz-Informationen gibt es auch Stimmen im Landesverband, die eine schärfere Abgrenzung von der gesamten sächsischen JA fordern. Andere dagegen halten die Vorwürfe für überzogen.
Zu Letzteren gehört auch der Anwalt des Hauptbeschuldigten Jörg S., Martin Kohlmann. Als Chef der Kleinpartei „Freie Sachsen“ ist er selbst ein Rechtsextremist. Jörg S. war bei seiner Festnahme im polnischen Zgorzelec, direkt neben Görlitz. In einem Video direkt danach nennt Kohlmann die Beschuldigten „eine relativ harmlose Wandergruppe“, die „zur nächsten Terrororganisation hochgepuscht werden soll“. Auch auf taz-Anfrage weist er die Vorwürfe zurück: Eine Selbstbezeichnung als „Sächsische Separatisten“ habe es nie gegeben, auch keine Terrorpläne. „Es gab eine locker verbundene Wandergruppe mit Hang zu Survivaltrainings samt entsprechender Ausrüstung, die auch zweimal Paintball spielte.“ Sein Mandant werde einer Auslieferung aus Polen nicht zustimmen.
Sozialarbeiter Tobias Burdukat wühlt der Fall auch Tage später noch auf. Es hätte anders kommen können, ist er überzeugt. Es habe im Fall Kurt Hättasch damals ein kurzes Zeitfenster gegeben, da hätte man noch intervenieren und Hättasch davor bewahren können, in den Extremismus abzurutschen, sagt Burdukat. „Aber das wurde nicht genutzt. Und dann kam offensichtlich die Radikalisierung. Ich mache mir da auch selbst Vorwürfe.“ Hätten alle damals konsequent reagiert und wären die diejenigen, die auf Radikalisierung hinweisen, nicht beschimpft worden, wäre die Dynamik vielleicht zu stoppen gewesen, sagt Burdukat. „Aber das ist, wie immer, das Problem hier: Es ist nicht so, dass all das niemand bemerkt hätte. Es hat nur niemanden gestört.“
Anmerkung: Wir haben den Text nach der Veröffentlichung um eine Stellungnahme des Anwalts von Jörg S. ergänzt. Zudem haben wir eine Stelle korrigiert: Mit der Fahne des „Nationalen Aufbau Eisenach“ war Hans-Georg Pförtsch am 1. Mai 2018 in Erfurt (und nicht in Eisenach) unterwegs.
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