Rassistischer Terror: Beruhend auf Unterdrückung
Rechtsextremisten werden nicht als solche geboren, sondern dazu gemacht. Um das zu verhindern, ist eine Auseinandersetzung mit unserem Rassismus nötig.
W ährend Payton G. am Streifenwagen stand, konnte ihn niemand mit George Floyd verwechseln. Die Polizisten, die den 18-jährigen Weißen umsäumten, tasteten ihn geradezu schonend ab. Zwar bekam er Handschellen angelegt, aber niemand schmiss ihn auf den Boden. Wieso denn auch? Er ist ein Student, ein Nerd. Mitglied der Inceligentsia (Schlachtparole der Autorin). Ein Gamer, kein Gangster.
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Der Kerl hat viel auf dem Kasten. Aber auch auf dem Kerbholz, wenn seine Gesinnung ihm ein Gewissen zulässt. Vor und in einem Einkaufszentrum am Eriesee hatte G. kurz zuvor 50 Schuss abgefeuert. Sein Sturmgewehr war mit rassistischen Beleidigungen beschriftet. 10 Tote, 3 Schwerverletzte. Fast ausschließlich Schwarze Opfer. Das ist die blutige Bilanz nach seiner Ballerei in Buffalo, New York.
Der Anschlag wirft Fragen auf, und die Folgen, die von uns allen in einer tief gespaltenen Gesellschaft getragen werden müssen, bergen akute Brisanz. Dasselbe gilt für das wenige Tage zuvor vereitelte Sprengstoffattentat eines 16-jährigen Deutschen auf zwei Essener Schulen. In Buffalo und in Essen handelt es sich um terroristische Aktivitäten. Trotzdem tut man sich schwer damit, die tatverdächtigen Jungs so richtig als Terroristen zu bezeichnen.
Denn sie sind Einheimische aus gutem Hause, keine zum Islam Konvertierten und auch keine Linksextremisten. Angesichts der Kraft solcher Denkmuster ist es zusätzlich bedenklich, wenn ausgerechnet NRW-Innenminister Herbert Reul den Eindruck erweckte, das mörderische Vorhaben relativieren zu wollen. Ich möchte dem guten Herrn Reul partout nicht vorwerfen, auf einem Auge blind zu sein.
Schwarze und Muslime im Visier
Doch bei der Nacht- und Nebelaktion des SEKs in der Wohnung des Jungen kamen einschlägige Beweggründe und Beweisstücke ans Licht. Der Bombenbastler hat es auf Schwarze und Muslime abgesehen. In seinem obligatorischen Manifest proklamierte er die Absicht, wegen „des Untergangs der weißen Rasse“ ein Zeichen zu setzen. Er liebt Adolf Hitler, er lobt die Attentäter von Erfurt (2002) und Winnenden (2009).
Im Rahmen der Pressekonferenz nach der Festnahme beschrieb Reul das Unterfangen des Tatverdächtigen dennoch als „dringenden Hilferuf eines verzweifelten jungen Mannes“. Die gelernte Juristin in mir weiß, dass küchenpsychologische Diagnosen seitens des Staates dem Verteidigungsteam in die Hände spielen können. Es wäre ohnehin besser gewesen, die seelischen Bedürfnisse der Menschen zu thematisieren, die der Junge ins Visier genommen hatte.
Selbst ein verhinderter Terroranschlag hinterlässt Traumatisierte. Viele der potenziellen Opfer laufen sowieso mit einer Zielscheibe auf dem Rücken herum, sie sind ungesühnten Mikroaggressionen und der scheußlich selbstgefälligen weißen Mittelmäßigkeit dauernd ausgesetzt. Nach wie vor herrscht die Unschuldsvermutung, was den mutmaßlichen Attentäter anbelangt, und in einem demokratischen Staat ist die Justiz zu Recht dazu verpflichtet, auch entlastende Umstände zu berücksichtigen, ganz egal, wer der Tatverdächtige ist.
So weit, so gut. Aber das unbedarfte Philosophieren über die Empfindsamkeiten eines in U-Haft sitzenden Naziverehrers, der Mitschüler*innen und Lehrkräfte in die Luft zu sprengen beabsichtigte, entpolitisiert das angestrebte Verbrechen, ohne die noch bedrohliche Lage zu entschärfen.
Angst vor dem „großen Austausch“
Sechstausend Kilometer trennen Payton G. von dem Rohrkrepierer aus dem Ruhrgebiet. Doch sie teilen eine gemeinsame Ideologie: White Supremacy. Sofern die erzkonservativen Medien wie Fox News nun aus ihren Fuchslöchern kriechen, um die Bluttat von Buffalo zu erwähnen, verorten sie den Schuldigen eher in dem „großen Austausch“, jenem Geheimplan der christenfeindlichen Elite, wonach die weiße Mehrheitsbevölkerung durch Nichtweiße ersetzt werde.
Tatsächlich kann ein demografischer Wandel infolge legaler Zuwanderung und niedriger weißer Geburtenraten kaum geleugnet werden. Voraussichtlich 2044 werden Weiße nicht länger die Mehrheit in den USA bilden. So sei man dazu gezwungen, die Heimat gegen die Überfremdung und die damit verbundene hohe Kriminalität zu verteidigen.
geboren 1961 im Schatten der Freiheitsstatue, Berlinerin mit afroamerikanischen Wurzeln, Kolumnistin, Kabarettistin, Keynote-Rednerin und Juristin (Juris Dr., US). Ihr Buch „Race Relations: Essays über Rassismus“, erschienen 2022 im GrünerSinn-Verlag, reüssiert als lyrischer Leitfaden zum Antirassismus und liefert Hintergründe zu den bis heute anhaltenden Diskriminierungen.
Ausgerechnet in Conklin, dem Heimatstädtchen von G., machen Weiße aber nicht weniger als 91 Prozent der Bevölkerung aus. Latinos 7 Prozent, Asiaten und Schwarze jeweils gerade mal 1 Prozent. Der Schütze musste 3 Stunden mit dem Auto fahren, um Buffalo zu erreichen. Auch er hinterließ ein Manifest. Darin schwärmt er von den rechtsextremen Massenmördern Anders Breivik und Brenton Tarrant.
Wie Tarrant, der 2019 mehr als 50 Menschen in einer neuseeländischen Moschee ermordete, trug G. Körperpanzer und eine Helmkamera, mit der er seinen Anschlag live via Twitch streamte. Das Video zeigt, wie G. flehenden Greisinnen in den Kopf schießt. Dass er anschließend völlig unversehrt festgenommen wurde, bestätigt die Regel, von der auch andere weiße Attentäter profitieren, während unschuldige Schwarze in banalen Verkehrskontrollen ihr Leben lassen.
Black Lives Matter? Hashtags für Halle und Hanau? Ja, ja. Unsere Gesellschaft bringt es noch, eklatante Hassverbrechen zu verurteilen – um diese dann zügig als Einzelfälle ad acta zu legen. Doch sie ist nicht bereit, sich mit den tief verwurzelten Strukturen des Rassismus auseinanderzusetzen. In Echtzeit erfährt man heute mehr über Boris Beckers Londoner Kerker als das, was wir in 17 Jahren über Oury Jallohs Gewahrsamszelle in Dessau herausfinden konnten.
Immerhin werden Rassisten nicht geboren, dafür aber von Kindesbein an sorgfältig herangezüchtet. Jungs wie Payton G. und der Essener Bombenbastler sind hässliche Auswüchse eines Systems, das noch auf Unterdrückung fundiert und durch eine in der Tat verzweifelte Angst vor dem Privilegienverlust geprägt ist.
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