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Rassistischer Anschlag von HanauTerror-Betroffene reicht Beschwerde ein

Emis Gürbüz, die Mutter des ermordeten Sedat Gürbüz, reicht Beschwerde ein: Die Koalition hatte ihren Staatsbürgerschaftsantrag öffentlich gemacht.

Emis Gürbüz, Mutter des ermordeten Sedat Gürbüz, spricht auf der Gedenkveranstaltung im Februar 2025 Foto: Andreas Arnold/dpa

Hanau taz | „Wer Achtung und Respekt einfordert, muss auch mit Achtung und Respekt agieren.“ So lautete der Titel einer Pressemitteilung der Hanauer kommunalen Koalition aus SPD, CDU und FDP, veröffentlicht wenige Tage nach der offiziellen Gedenkveranstaltung zum fünften Jahrestag des rassistischen Anschlags vom 19. Februar 2020. Die Erklärung richtete sich gegen Emis Gürbüz, die Mutter des damals ermordete Sedat Gürbüz, und sorgte bundesweit für Empörung.

Gürbüz hatte bei der Gedenkveranstaltung die Stadt Hanau kritisiert: Die trage „die Verantwortung für den 19. Februar 2020“ und sei „schuldig“. Die Koalition hatte daraufhin öffentlich infrage gestellt, warum Gürbüz „bei einer derartigen Gefühlslage die deutsche Staatsbürgerschaft“ beantrage. Nun hat Emis Gürbüz eine dienstliche Beschwerde beim hessischen Datenschutzbeauftragten eingereicht – wegen mutmaßlicher Datenschutzverletzungen. Dies bestätigte die Behörde der taz.

„Die Staatsbürgerschaft ist meine private Angelegenheit, das geht sie nichts an. Ich verstehe nicht, warum sie das zum Thema gemacht haben“, sagte Gürbüz der taz. Es sei ihr Recht, den Antrag auf Einbürgerung zu stellen. Der 19. Februar sei für sie ohnehin „der schmerzlichste Tag“ und Februar für sie „der schmerzlichste Monat“. Die Koalition habe sie angegriffen, „weil sie sonst keine Antwort hatten“.

Woher wusste die Koalition vom Antrag?

Doch woher wusste die Hanauer Koalition von Gürbüz’ Antrag? Und warum wurde diese private Angelegenheit öffentlich thematisiert? Eine entsprechende Anfrage der taz ließ die Koalition aus FDP, CDU und SPD bis heute unbeantwortet. Wie die Po­li­ti­ke­r*in­nen der Hanauer Koalitionsparteien an die Information über Gürbüz’ Einbürgerungsantrag gekommen sind, ist bislang unklar.

Nach taz-Informationen hatte Gürbüz den Antrag in Dietzenbach gestellt, zuständig für die Bearbeitung ist das Regierungspräsidium Darmstadt. An Verfahren dieser Art seien standardmäßig mehrere Behörden beteiligt, teilte das Regierungspräsidium mit. „Es gab über diesen Vorgang seitens unserer Behörde keine Kommunikation, weder intern noch extern“, so eine Sprecherin der Stadt Dietzenbach.

Der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV) hatte zuletzt das Vorgehen der Koalition scharf kritisiert: Es sei „Ausdruck eines autoritären Staatsverständnisses, wenn die Koalition in Hanau im Gegenzug zu einem Einbürgerungsantrag offensichtlich bedingungslose Loyalität zu staatlichem Handeln einfordert und dies auch noch öffentlich macht.“ Das sei nicht nur respektlos, sondern auch eine Verletzung von Persönlichkeitsrechten.

Wenig Vorsicht mit sensiblen Daten

Zu einem ähnlichen Umgang mit sensiblen Daten in Hanau kam es bereits Anfang Februar. Die Stadt Hanau hatte ungefragt drei taz-Journalist*innen einen privaten Brief der Familie Kurtović an den Oberbürgermeister weitergeleitet – inklusive E-Mail-Adresse, Telefonnummer und Wohnanschrift von Armin Kurtović, dem Vater eines der Opfer.

Die Stadt erklärte auf Nachfrage, ihr Sprecher sei bei der Weiterleitung des Schreibens davon ausgegangen, „dass das Schreiben bereits den Medien von ihm selbst zur Verfügung gestellt wurde, da wir diesbezüglich bereits Presseanfragen hatten, sodass die Daten von Herrn Kurtović bereits bekannt waren“. Nur vor diesem Hintergrund habe man das Schreiben mitsamt Kontaktdaten zur Verfügung gestellt. Im Übrigen habe man den Familien angeboten, eine Auskunftssperre im Melderegister zu veranlassen. „Das sind private Informationen, das dürfen die nicht“, so Armin Kurtović. „Sie machen aber alles, wie sie wollen.“

Die Hanauer Koalition hatte in ihrer Pressemitteilung Gürbüz unter anderem vorgeworfen, das Gedenken „zur politischen Agitation genutzt“ zu haben. „Bei allem Verständnis für die Trauer“, so der Vorsitzende der FDP-Fraktion, Henrik Statz, fordere er „Respekt und Achtung gegenüber Bund, Land, Stadt sowie den anderen Opferfamilien“. Der CDU-Fraktionsvorsitzende Pascal Reddig warf Gürbüz vor, sie habe die Gedenkveranstaltung genutzt, um „rückwärtsgewandt zu spalten und die schreckliche Tat zu instrumentalisieren“. Die SPD-Fraktionsvorsitzende Ute Schwarzenberger erklärte, sie wünsche „Frau Gürbüz die Kraft, ihren Hass zu überwinden, um sich künftig respektvoll zu äußern.“

Solidarität mit Gürbüz

Ende Februar forderten 222 Kulturschaffende, darunter die Autorinnen Fatma Aydemir, Asal Dardan sowie der Autor Max Czollek, eine Entschuldigung der Hanauer Rathaus-Koalition. In einem offenen Brief bezeichneten sie deren Worte und Haltung gegenüber Emis Gürbüz als „beschämend, erschütternd und inakzeptabel“. Die Familien der Opfer seien keine Statist*innen, die „ihnen Versöhnlichkeit oder gar eine handzahme PR für Ihre Stadt schulden“, heißt es weiter. Auch diesen Brief ließ die Hanauer Koalition nach taz-Informationen unbeantwortet.

Am 23. Februar hatte die Hanauer SPD über ihre Social-Media-Kanäle mitgeteilt, dass eine „ausführliche Erklärung“ zu der Kritik „in den kommenden Tagen“ folgen werde. Diese steht bis heute aus. In einer Stellungnahme Ende Februar stellte sich der Hanauer Oberbürgermeister hinter die Hanauer Koalition.

Er betonte, seit dem ersten Tag im Gespräch und in Kontakt mit den Angehörigen der Opfer zu stehen und ihren Schmerz und ihre Trauer miterlebt zu haben. „Die Gefühle und Meinungen von Bürgerinnen und Bürgern müssen in eine Balance mit den zum Teil verletzenden Vorwürfen der Angehörigen gegenüber der Stadtgesellschaft gebracht werden“, erklärte er. Manche Aussagen würden diese Aufgabe zusätzlich erschweren.

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21 Kommentare

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  • Dieses Verhalten, das die Hanauer Koalition zeigt ist widerlich. Und diese Parteien wollen christlich, liberal oder sozial sein? Es sind ekelhafte Rechthaber ("recht" meine ich hier durchaus auch politisch)



    Doch der gesamte Komplex passt sehr gut zu den Erfahrungen, die ich als Flüchtlingshelfer immer und immer wieder mache: die Menschen werden schikaniert wo es nur eben möglich ist. Das sind keine Einzelfälle und es geschieht durch alle Dienstgrade hindurch. Von "ganu oben" wird das mit einschlägiger Wortwahl unterstützt. Es ekelt mich nur noch an - in einem "freien und wertebasierten" Land....

  • Ich schäme mich, für die Art, wie unsere Politiker mit Frau Gürbüz umgegangen sind.

    Aber ich freue mich, wenn Frau Gürbüz trotzdem Deutsche werden will.



    Willkommen in unserer Gemeinschaft! Menschen wie Sie brauchen wir dringend in Deutschland! Menschen, die sich wehren, wenn Ihnen Unrecht geschieht.



    Sie helfen, unsere Gesellschaft menschlicher zu machen. Das ist sehr anstrengen für Sie. Darum wünsche ich Ihnen viel Kraft. Und dass Sie die Anerkennung und den Respekt bekommen, die Sie verdienen.

  • „Bei allem Verständnis für die Trauer“, so der Vorsitzende der FDP-Fraktion, Henrik Statz, fordere er „Respekt und Achtung gegenüber Bund, Land, Stadt sowie den anderen Opferfamilien“. Der CDU-Fraktionsvorsitzende Pascal Reddig warf Gürbüz vor, sie habe die Gedenkveranstaltung genutzt, um „rückwärtsgewandt zu spalten und die schreckliche Tat zu instrumentalisieren“. Die SPD-Fraktionsvorsitzende Ute Schwarzenberger erklärte, sie wünsche „Frau Gürbüz die Kraft, ihren Hass zu überwinden, um sich künftig respektvoll zu äußern.“

    Angesichts des Schmerzes der Frau, sollten alle drei besser einfach mal nur die Klappe halten.

    • @migra:

      Die sollten vor Allem Ihre Arbeit machen und den Notruf verbessern.



      Das Zustand ist doch auch ohne den Anschlag komplett inakzeptabel.

      • @Sonntagssegler:

        Für den Notruf ist wahrscheinlich nicht die Stadt zuständig.

  • >Nach taz-Informationen hatte Gürbüz den Antrag in Dietzenbach gestellt, zuständig für die Bearbeitung ist das Regierungspräsidium Darmstadt. An Verfahren dieser Art seien standardmäßig mehrere Behörden beteiligt, teilte das Regierungspräsidium mit. „Es gab über diesen Vorgang seitens unserer Behörde keine Kommunikation, weder intern noch extern“, so eine Sprecherin der Stadt Dietzenbach.

    Und wenn es die Stadt Dietzenbach nicht gemacht hat, ist damit bewiesen, dass "die Koalition", wie es hier mehrfach heißt, die Sache auf unrechtmäßige Weise herausbekommen hat? Es waren mehrere Behörden beteiligt, da sagt dieses eine Dementi gar nicht viel aus. Und es kann sich doch auf vielerlei Art herumgesprochen haben; irgendjemandem ist der Name aufgefallen, als er ihn auf dem Schreibtisch hatte, und dann hat man halt nachgefragt und festgestellt, dass es dieselben Leute sind. Und weiterzuerzählen, dass Leute trotz aller schlechter Erfahrungen jetzt Deutsche werden wollen, ist doch nicht verboten.

    • @taz-FAN2000:

      Doch, weiterzuerzählen, dass man einen Antrag auf dem Schreibtisch zur Bearbeitung liegen hat, ist verboten.

    • @taz-FAN2000:

      Weitererzählen - ja, o.k.; aber dieses „Warum will sie denn dann überhaupt Deutsche werden?“ in Verbindung zu ihrem Umgang mit dem Schmerz (muss sie da am Ende noch dankbar sein, gehört zu werden?) - sowas kriegen nur kalte Kartoffeln hin.

    • @taz-FAN2000:

      Natürlich ist das verboten.

  • Diese Reaktionen der Hanauer Koalition einschließlich der nicht erlaubten Veröffentlichung privater Daten zeigt, dass Frau Gürbüz in jeder Beziehung recht hat! Was für Leute arbeiten dort eigentlich? In einer Privatfirma ist so etwas ein Kündigungsgrund.

  • Inzwischen kann man sich für die Politiker/innen von SPD, CDU und FDP nur noch schämen.

  • Datenschutz wird oft extern angewandt wenn es darum geht, Arbeit zu vermeiden oder sinnvollen Fortschritt zu verhindern und zu verteuern. Und dann so was wenn es um die Daten von bestimmten Personen geht, bei den Beamten davon ausgeht, die zählen nicht wie normalen Menschen. Es ist ein Skandal.

  • Die Beantragung der Deutschen Staatsbürgerschaft war eh schon öffentlich (unsere Lokalpresse damals). Das ist also absolut nichts neues wenn sich die Hanauer Koalition darauf beruft. Deshalb verstehe ich Frau Gürbüz nicht.

    • @Der Cleo Patra:

      Sie haben es nicht verstanden - dieses Von-oben-herab-Bewerten einer trauernden Mutter, sich anzumaßen, dann über ihren Antrag urteilen zu dürfen…

    • @Der Cleo Patra:

      Die Presse ist die Presse und unterliegt anderen Verschwiegenheitskriterien als Beamte oder Politiker.

    • @Der Cleo Patra:

      Dass Eine ist die Tatsache, dass der Antrag bekannt war.

      Das Andere ist das Einfordern von Hörigkeit und der Versuch sie mundtod zu machen mit Verweis auf den Antrag.

      Wie tief kann man als Mensch eigentlich sinken? Ich werde mal bei allen Parteispitzen anfragen, was die davon halten.

  • Was für ein widerliches Verhalten.



    SPD, CDU und FDP merken wohl nicht, dass die Menschen hier auch gut ohne sie könnten?



    Die FDP wird wohl irgendwann in nächster Zeit merken, dass keiner sie will, die Klüngel von SPD und CDU folgen bei der nächsten Wahl auf dem Fuße.

    • @Genosse Luzifer:

      Ja, keiner mag diese Parteien mehr, doch wir alle wissen doch, was hinter der nächsten Ecke für "Ersatz" lauert...

  • CDU, FDP, SPD. Diese Parteien brechen jegliche Bürgerrechte, warum auch nicht? Konsequenzen haben sie nie zu befürchten.

    • @TeeTS:

      Was genau wollen Die mit Ihrem Statement sagen?



      Das wir nicht in einem Rechtsstaat leben?



      Ist Ihnen nicht bewusst, dass Sie mit Ihren Verallgemeinerungen genauso populistisch "argumentieren", wie Rassisten?

      • @Philippo1000:

        Ja, schon kommt ein hanebüchener Vergleich. Keine Angst, diese Art von „Populismus“ wird nie sonderlich großen Anklang finden. Eher Abwehrreflexe („Unser Land, unsere Regeln“ usw.)