RTL Quadrell: Klimakrise? War da was?
Friedrich Merz macht keine offensichtlichen Fehler. Günther Jauch will lieber nicht gestört werden. Und Robert Habeck spielt Brecht.
Es gibt beim Quadrell mit den vier Kanzlerkandidaten bemerkenswerte Momente: Friedrich Merz ist erfreut, als Alice Weidel ihn wegen der CDU-Steuerpolitik kritisiert. Endlich ist er nicht mehr der Einzige, der Distanz zwischen Union und AfD demonstriert. Olaf Scholz schwankt zwischen abgeklärtem Kanzlersein und ist wenig kanzlerlike angezündet, als Weidel sich weigert, sich von dem Begriff „Vogelschiss“ für die NS-Geschichte zu distanzieren. Robert Habeck steigt – wie im Brechtschen Theater – immer mal wieder aus seiner Rolle aus und kommentiert das Spektakel von außen. Eine Art V-Effekt-Wahlkampf.
Doch Wesentliches fehlt. Beim ersten Kanzlerduell am letzten Sonntag war die erste Frage Migration, die Klimakrise kam nicht vor. Das RTL-Quadrell machte es einfach genauso.
Moderator Günther Jauch scheint sich zu langweilen und nach der nächsten Rateshow zu sehnen. Er verirrt sich in einem kuriosen Rededuell mit Alice Weidel (Ist sie ein U-Boot aus der Schweiz?). Ansonsten fällt er nur durch die Behauptung auf, dass das deutsche Rentensystem bald kollabiert. Das Quadrell soll auf Biegen und Brechen als RTL-artiges Infotainment inszeniert werden. Aber die Fun-Fragen („Was ist schlimmer für Sie: Opposition oder Dschungelcamp?“) sind arg platt. Habeck und Merz rollen gemeinsam die Augen.
Merz, Kanzler in spe, kann am Sonntagabend am meisten verlieren. Seit er mit der AfD im Bundestag gemeinsame Sache gemacht hat, folgt ihm wie ein Schatten der Verdacht, dass dies der Anfang von Schwarz-Blau ist. Bei Migration sind Merz & Weidel im gleichen Team. Merz unterstellt in einem AfD-artigen Move, dass die Grünen einen Zustrom Illegaler aus Afghanistan organisieren. Dabei geht es in Wahrheit um kleine Kontingente von afghanischen Ortskräften, die die Bundeswehr unterstützten. Früher wären solche fake-news-artigen Deutungen skandalisiert worden. Heute scheint man sich daran gewöhnt zu haben, dass beim Thema Migration der Populismus regiert.
Merz geht auf Distanz zu Weidel
Merz gelingt es, mit gezielt gesetzten Affekten beim Thema Ukraine Distanz zu den Rechtsextremen zu demonstrieren. Genau diese Distanz braucht die Union, um am 23. Februar keine Stimmen in der Mitte zu verlieren. Weidel, Putin-affin wie die AfD, hält es für ein Problem, dass Deutschland in Putins Augen „nicht neutral“ sei. Das sei, so Merz sichtlich aufgebracht, „verräterisch“. Mit Figuren wie Höcke, die Weidel für ministrabel hält, setze er sich nicht in einen Raum. Theatralisch ist das ein guter Moment. Merz’ Empörung wirkt echt, was nicht immer der Fall ist. Der Mann, der wahrscheinlich Kanzler wird, macht keinen Fehler. Jedenfalls keinen, der auffällt.
Erstaunlich ist, dass Merz bei den CDU-Steuerplänen, die ein 90-Milliarden-Loch in den Haushalt reißen würden, heil davonkommt. Habeck & Scholz koffern den CDU-Mann zwar entsprechend an. Der Grüne attestiert „Voodoo-Ökonomie“. Die Kritik von Scholz, der bei Zahlen aufblüht, kontert Merz mit einem entnervten „Ja, ja, ja.“
Aber irgendwie gelingt es ihm, so zu tun, als wäre Finanzpolitik ein Thema, bei dem die Konkurrenz auf nerdigen Details herumreitet. Jauch und Pinar Atalay finden Finanzen offenbar eher schwierig. Nachfragen? Fehlanzeige. Alice Weidel, von Beruf Volkswirtin, behauptet: „Ein Staat darf nie Schulden machen.“ Das weckt gewisse Zweifel an der Qualität des VWL-Studiums in Deutschland.
Deutsche Soldaten in der Ukraine? „Kein Thema“
Nach einer Stunde wird es ernst. Die Münchener Sicherheitskonferenz und die Pro-AfD-Rede von JD Vance hat auch Begriffstutzigen klargemacht, dass der Westen und die europäische Sicherheitsordnung zerfallen. Merz und Scholz verurteilen im Chor Vance Einmischung in den deutschen Wahlkampf.
Für Habeck, wie immer zuständig für den zweiten Gedanken, ist das Nebensache – und zentral, dass Deutschland jetzt die EU verteidigen muss. Habeck betont, dass sich Grüne, SPD, Union bei allem Zwist gegen die AfD einig sind. Das ist richtig, aber im Wahlkampf, in dem es darum geht, Differenzen zu markieren, ungewöhnlich.
Und deutsche Soldaten als Teil einer möglichen internationalen Truppe, die einen Waffenstillstand in der Ukraine absichert? Kein Thema, sagt Scholz. Kein Thema, sagt Merz. Kein Thema, sagt Habeck. Bloß keine Angstdebatte vor der Wahl. Schade, dass es keine Moderation gibt, die nachbohrt, wie lange „Kein Thema“ halten wird. Die Debatte, was Deutschland tut und was nicht, wird kommen. Nach der Wahl.
Merz, meldet ein Umfrageinstitut am Sonntagabend, war für 32 Prozent Sieger der Debatte, 25 fanden Scholz, je 18 Habeck und Weidel am besten. Es gibt sechs Tage vor der Wahl keine großen Bewegungen mehr.
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