„Querdenken“-Demos mit Nazi-Symbolik: Das Angesicht der Dummheit
Es ist leicht, Donald Trump auszulachen. Doch auch bei uns lässt der Schrecken der Vergangenheit nach und die Vernunft verliert an Boden.
O k, wir haben keinen Donald Trump, Angela Merkel scheint eine recht vernünftige Frau, im Vergleich. Wir sind nicht wie Amerikaner, wir sind vernünftige Menschen, im Vergleich. Und dieses ganze Vergleichen macht, dass wir uns besser fühlen. Unsere Welt ist vernünftiger und deshalb sicherer. Unsere Welt ist eine Welt, in der wir Donald Trump auslachen, fast schon einhellig, gemeinsam, von ein paar Verirrten mal abgesehen.
Denn das Verstörendste an Donald Trump ist gar nicht seine Politik, die man fast schon gewöhnt ist, von den USA, das Verstörendste ist sein irrationales Verhalten. Seine kindlich schlichten, sich widersprechenden Sätze, die Dummheit ist das Verstörende, die triumphierende Infantilität. Und vor so etwas, glauben wir, sind wir gefeit.
Aber auch die Deutschen haben einst einem größenwahnsinnigen Narzissten zur Macht verholfen. Und derzeit wird dem Irrationalen auch wieder gut Raum gegeben und der Vernunft der Boden entrissen. Nehmen wir an: Eine Pandemie bedroht die Menschheit, es werden Maßnahmen ergriffen. Kulturelle Orte werden geschlossen, Menschen dürfen sich nur noch in Gruppen weniger als zehn treffen. Und dann wird ein Treffen von 16.000 Gegnern dieser Maßnahme gestattet. Ist das logisch? Ist das vernünftig? Kann man das verstehen?
In Braunschweig wollten sich am 9. November um 18.18 Uhr unter dem Motto „Geschichte wiederholen“ Freunde von Querdenken 53 zum Demonstrieren treffen. Na, denk doch mal einer quer! Gegen die geraden Gedanken. Kann doch leicht passieren, dass man sich bei dieser schwierigen Querdenkerei ein bisschen verdenkt. Sage ich mal, weil ich keinem was Böses unterstellen will.
Aber Ver.di hat dann den Querdenkern doch was Böses unterstellt. Und zack – wird die Veranstaltung abgesagt. Und warum, wegen eines Irrtums, eines Missverständnisses? An was dachte Querdenken wohl bei ihrem Veranstaltungsmotto? An den Tag der Grenzöffnung, 1989? Aber wie soll die Wiederholung dieser Geschichte aussehen, welche Grenzen soll man jetzt öffnen? Oder geht es eher darum, eine Regierung zu stürzen?
Ich selbst bin auch oft mit der Regierung nicht einverstanden, aber ich erkenne an, dass sie gewählt wurde. Nicht durch mich, aber durch die Mehrheit der Deutschen. Querdenken 53 sind Demokraten, sagen sie über sich, auf ihrer Website, dieses Demokratensein bedeutet ihnen was. Und Demokraten erkennen eine demokratisch gewählte Regierung an.
Was sollte also das Motto dieser Veranstaltung bedeuten? Welche Geschichte soll hier wiederholt werden? Darauf gibt es im Statement zur Absage der Veranstaltung auf der Website keinen Hinweis, nur die kryptische Aussage, dass Datum und Uhrzeit „unglücklich gewählt“ seien, was allerdings nur aus „Gründen der Einprägsamkeit“ geschehen sei. Dass die Zahl ‚18‘ ein Zahlencode ist, für den Buchstaben ‚A‘ und ‚H‘, wie Adolf Hitler, das müssen die Leute einfach nicht gewusst haben.
Sie wissen sonst eine ganze Menge, mehr als wir anderen Menschen, die noch nicht „aufgewacht“ sind und uns weiterhin von der Regierung und den Medien verblöden lassen, aber dass die Zahl ‚18‘ in der rechtsextremen Szene eine gewisse Bedeutung hat, das konnten sie sich einfach nicht denken, das haben sie auch noch nie irgendwo gehört. Es ist ihnen auch nicht in den Querdenker-Sinn gekommen, dass manch eine/r das Motto „Geschichte wiederholen“ am Jahrestag der Reichspogromnacht in den falschen Hals bekommen könnte.
Und dann lese ich wieder ein paar Leserkommentare, und dann weiß ich, wir Deutschen sind kaum weniger verstrahlt als die Amerikaner, nicht klüger, nicht moralischer, nicht rationaler in unseren Urteilen. Wir sind vielleicht (noch) ein wenig mehr verschreckt, von den noch gar nicht so lange zurückliegenden zwei Weltkriegen und anderen grausamen Verbrechen, die unsere Vorfahren verursacht haben, aber langsam erhebt es sich wieder, das Angesicht der Dummheit, der Wissenschaftsfeindlichkeit, der Verblendung und des narzisstischen Glaubens an die eigene, unfehlbare Überlegenheit. Ich habe wenig Illusionen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Kommen jetzt die stahlharten Zeiten?
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“