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Prozess wegen BeleidigungFehler beim Künast-Urteil

Die Beleidigungen seien Meinungsäußerungen mit „Sachbezug“, urteilen Berliner Richter. Renate Künast geht in Berufung und hat gute Chancen.

Renate Künast wurde auf Facebook übel beschimpft Foto: dpa

Freiburg taz | Das „Drecks-Fotzen“-Urteil des Landgerichts Berlin ist handwerklich mangelhaft. Eine Aufhebung durch das Berliner Kammergericht dürfte unausweichlich sein. Die betroffene Grünen-Politikerin Renate Künast hat bereits angekündigt, Berufung einzulegen.

Das Landgericht Berlin hatte in einem Beschluss vom 9. September zahlreiche Beschimpfungen gegen Künast als noch rechtmäßig eingestuft. Es handele sich im konkreten Kontext um Meinungsäußerungen mit „Sachbezug“ und nicht um strafbare Beleidigungen. Der Beschluss liegt der taz vor.

Unter anderem ging es um die Formulierungen, Künast sei ein „Stück Scheisse“, „krank im Kopf, ein „altes grünes Drecksschwein“, „geisteskrank“, „gehirnamputiert“, „Sondermüll“, eine „alte perverse Dreckssau“ und eine „Drecks-Fotze“. Hinzu kam die Aufforderung: „Knatter sie doch mal einer so richtig durch.“ Die Äußerungen fielen als Kommentare auf der Facebookseite eines rechten Bloggers, der Künast ein falsches Zitat zur Kinderpornografie-Debatte der 1980er Jahre untergeschoben hatte.

Die Pressekammer des Landgerichts Berlin berief sich mehrfach auf das Bundesverfassungsgericht, wandte dessen Rechtsprechung aber falsch an.

Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrecht

Laut Bundesverfassungsgericht ist bei der Frage, ob ein konkretes Werturteil strafbar ist, zwischen dem Grundrecht auf freie Meinungsäußerung und den Persönlichkeitsrechten des Betroffenen abzuwägen. Diese Abwägung ist laut Karlsruhe dann nicht erforderlich, wenn das Werturteil eine „Schmähkritik“ darstellt, also eine „bloße Herabsetzung des Betroffenen“.

Die Verfassungsrichter legen den Begriff der Schmähkritik aber eng aus. „Bei einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage liegt Schmähkritik nur ausnahmsweise vor“, heißt es immer wieder in Karlsruher Beschlüssen. Insofern mag es gerade noch vertretbar sein, die Beschimpfungen von Kühnast trotz der vulgär-verletzenden Sprache nicht als Schmähkritik zu werten.

Doch damit ist die Prüfung nicht zu Ende, vielmehr muss sie jetzt erst beginnen. Denn wenn keine Schmähkritik vorliegt, ist nun zwischen Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrecht abzuwägen. Diese Abwägung hat das Landgericht aber unterlassen. Es wiederholt nur immer wieder, dass keine Schmähung vorliege, weil ja ein „Sachbezug“ vorliege. Damit bleibt das Landgericht bei der Vorfrage stehen und kommt erst gar nicht zum Kern der Sache, nämlich zur Abwägung.

Ein erfundenes Zitat

Es steht wohl außer Zweifel, dass bei einer ordentlich durchgeführten Abwägung Künasts Persönlichkeitsrechte den Vorrang vor den Beschimpfungen erhielten. Einerseits wird sie mit extrem herabwürdigenden Äußerungen überzogen, die nur wegen des politischen Kontextes nicht als Schmähkritik gelten. Die Äußerungen beziehen sich zudem auf ein erfundenes Zitat, also auf eine falsche Tatsachenbehauptung.

Künast hatte 1986 in einem Zwischenruf im Berliner Abgeordnetenhaus darauf hingewiesen, dass ein Beschluss der NRW-Grünen zur Legalisierung von Kindersex nur Fälle erfasse, „wenn keine Gewalt im Spiel ist“. Die Zeitung Die Welt interpretierte den Zwischenruf in einem Beitrag von 2015: „Klingt das nicht, als wäre Sex mit Kindern ohne Gewalt okay?“ Daraus konstruierte der rechte Blog „Halle-Leaks“, Künast habe erklärt, „wenn keine Gewalt im Spiel ist, ist der Sex mit Kindern doch ganz ok“.

Auf dieses offensichtlich erfundene Zitat bezog sich die Flut der Beschimpfungen. Dabei hat Künast bereits mehrfach klargestellt, dass sie die Legalisierung von Sex mit Kindern schon damals abgelehnt habe. Ein entsprechendes Zitat Künasts fand sich sogar in dem fraglichen Artikel der Welt. Auch das wird bei der Abwägung zu berücksichtigen sein.

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15 Kommentare

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  • Wenn das der Tirade zugrundeliegende Zitat erfunden ist, wo ist da der Sachbezug?

    Das bedeutete ja, dass man sich nur einen "Sach"-grund herbeifantasieren muss und schon kann man nach belieben Leute herabwürdigen. Also so kann das Recht doch nicht gemeint sein.

  • ...-Wobei ja solche Hass-Kommentare mehr über die Verfasser*innen selbst aussagen, als über die Personen/Objekte auf die sie ihre eigenen Unzulänglichkeiten und Unfähigkeiten projizieren.

  • Dies ist natürlich ein fatales Signal an alle Hater und Hetzer, die in der Annonymität des Netzes und den (as)sozialen Medien ihre perversen und sexistischen Hassphantasien ausleben. Während NGO´s, PolitikerInnen, WissenschaftlerInnen und andere demokratische Organisationen alles dafür tun, die virtuelle Hasspropaganda, welche leicht in reale Gewalt umschlagen kann, zu unterbinden, werden die Hetzer durch die Gerichte noch in ihrer Abartigkeit bestätigt. Das kann es ja wohl nicht sein. Sind das die Instrumente der sog. "wehrhaften Demokratie"? Ein echtes Armutszeugnis. Da müssen sich die VertreterInnen der Judikative nicht wundern wenn AfD, Verschwörungsgläubige und andere Gewaltbereite sich ermutigt fühlen die Gerichte zu stürmen und deren MitarbeiterInnen "auf die Straße zu zerren". Wie ja schon für PressevertreterInnen angekündigt...



    Man kann sich - wähnt man sich auch nur eines halbwegs gesunden Menschenverstandes mächtig - nur noch an den Kopf greifen

  • Es ist nicht notwendig sich so an den Zeitgeist anzupassen.



    Die Beschimpfungen gegen Frau Künast sind nichts als Hate Speech, es kann da gar keinen Sachbezug geben. der Blogger kennt die Frau nicht persönlich, bezieht sich nicht auf ein aktuelles Geschehen, sondern auf eine von ihm verfälschte Äußerung von vor über 30 Jahren.



    "Abwägung Künasts Persönlichkeitsrechte"?



    Die Beleidigungen sind klar ehrabschneidend und drücken das Ressentiment aus: er hasst die grüne Politikerin nur weil sie existiert.

  • Ein ärgerliches Urteil. „Lassen wir die Künast doch einfach mal weiterklagen. Die wird sich das schon leisten können“, mag sich das Gericht ja dabei gedacht haben. Die Frage, die man dann aber auch stellen muss, ist doch die, wie lange kann ein Landgericht (ob nun in Berlin, oder sonstwo) sich solche offensichtlichen Fehlurteile noch leisten kann oder will, bis bei nicht wenigen auch der letzte Rest an Akzeptanz für unser Rechtssystem verloren sein wird.

    • @Rainer B.:

      Herr Falko Liecke aus Neukölln erstritt folgendes Urteil:



      750 Geldstrafe für einen Jugenbdlichen, der ihn "nur" Hurensohn nannte.



      Wie kann man hier Respekt für unsere Gerichte wahren.



      www.morgenpost.de/...ro-Geldstrafe.html

      • @Norbert Hennig:

        Ja ja, alle Frauen Schlampen außer Mama.

      • @Norbert Hennig:

        Nun - dazu bleibt wohl festzuhalten, dass hier der Kläger:



        1. ein Mann war und



        2. ein CDU-Politiker.



        Dass der Beklagte zur Verhandlung gar nicht erst erschien, dürfte auch nicht ganz unwesentlich für dieses abweichende Urteil gewesen sein.

  • Da zitiere ich doch mal den Postillon: "Drecksfotzenrichter fällen geisteskrankes Urteil gegen Renate Künast, das Justizia wie eine Schlampe aussehen lässt, die auf den Sondermüll gehört."

    • @petermann:

      Ist okay so, hat ja Sachbezug! :)

  • Natürlich ist es gut, dass das Landgericht (mit Absicht?) »falsch« urteilte. So erst kann in Berufung gegangen werden. Und die richtige Entscheidung der höheren Instanz geht in den juristischen Kanon ein. Denn niemand würde in Zukunft auf das Urteil eines Landgerichts verweisen. Mit der hoffentlich zu Gunsten der Klägerin entschiedenen Rechtsprechung des OLG schafft Frau Künast einen Präzedenzfall.

    • @Hyacinthe de Cavallère:

      Von hinten durch die Brust ins Auge.



      Kann auch nicht ein dschen - kerr.

      unterm—-erklärt‘s vllt - wa



      “Der Name kommt aus dem Griechischen und leitet sich ab von Hyakinthos, einer Gestalt aus der griechischen Mythologie.“ wiki -



      &



      “Es gibt noch ein Kammergericht in Berlin…“ hat er zwar nicht wirklich gesagt - aber der Müller von Sanssouci.

      & für schön Obrigkeitsgläubige -



      In den Niederlanden - wird frauman zum erstinstanzlichen Richter - Befördert! Sehr bürgerfreundlich.



      Motto - Gleich richtig machen - wa!

  • "Dabei hat Künast bereits mehrfach klargestellt, dass sie die Legalisierung von Sex mit Kindern schon damals abgelehnt habe. Ein entsprechendes Zitat Künasts fand sich sogar in dem fraglichen Artikel der Welt."



    Na, da müssen wir doch ausnahmsweise mal die Springer-Presse verlinken: www.welt.de/politi...rklaerungsnot.html

  • Politiker sollten sich nicht als Mimosen geben. Es liegt in der Natur der Dinge, dass sie emotionalen Reaktionen ihrer Gegner besonders ausgesetzt sind. Damit muss ein Politiker/in leben, oder einen anderen Job machen. Dies trifft insbesondere in Zeiten von Facebook, twitter, etc. zu. Da wird schnell mal was "rausgehaun".



    Dieses grundsätzliche Problem ist den neuen Medien zuzuschreiben und kein "rechtes" Problem.



    Nebenbei, -als ich die Künast Äußerung gelesen hatte, überkam mich innerlich ein ähnlicher Sprachgebrauch. Da ich aber nicht auf meine erste Emotion höre und mich eigentlich nur in der TAZ im Internet verbreite, verflog der Ärger.



    Wie nah einige Kreise innerhalb der Grünen noch an pädophilen Themen sind weiss ich nicht. Fest steht, sie waren früher sehr sehr dicht dran.

  • Das Urteil könnte weit reichende Folgen haben, auch für Jürgen Trittin.

    Trittin soll nach taz-Informationen vor Jahrzehnten ein Wahlprogramm der Grünen abgesegnet haben, in dem dafür geworben wurde, "gewaltfreie sexuelle Handlungen zwischen Erwachsenen und Kindern straffrei zu lassen":



    www.youtube.com/watch?v=NVkWo6mVy-I

    Trittins Verantwortung dafür könnte jetzt wegen des Urteils einen neuen Shitstorm gegen ihn lostreten, mit ähnlicher Wortwahl.