Protest nach Entscheid zum Mietendeckel: Wut und Frust
Nachdem das Bundesverfassungsgericht den Mietendeckel kippt, ziehen mehrere Tausend Berliner:innen durch die Stadt. Sie sind wütend und enttäuscht.

Die Demonstrierenden klopfen mit Löffeln auf Töpfe, es ist schrill und laut. Irgendwo wird Techno gespielt, woanders ertönen „Anticapitalista“-Sprechchöre. „Wir deckeln eure Klassenjustiz“ steht auf einem Plakat; „Deutsche Wohnen enteignen, bester Trick, bricht dem Miethai das Genick“ auf einem anderen. Sichtlich improvisierte Pappschilder werden von Anwohner:innen aus ihren Wohnungsfenstern gehalten, auch hier ist wieder die Forderung „Enteignen!“ zu lesen.
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist für die Berliner Mieter:innen ein worst-case-Szenario. Die Immobilienkonzerne können nun die häufig in den Mietverträgen festgeschriebenen Schattenmieten rückwirkend einfordern. Zumindest Berlins größter Immobilienkonzern, die Deutsche Wohnen, kündigte ein derartiges Vorgehen bereits bereits via Twitter an. Für Tausende Berliner:innen dürfte das Urteil wohl die sofortige Verschuldung bedeuten. In vielen mietenpolitischen Initiativen schwirrt deshalb die Idee eines „Notfallfonds“ herum, um die enorme Last wenigstens etwas abzufedern.
Viele Mieter:innen müssen nachzahlen
„Ich bin enttäuscht und wütend“, bringt ein Demonstrationsteilnehmer seine Stimmung zum Ausdruck. Er müsse jetzt 1.500 Euro an seinen Vermieter zahlen, seine Miete sei um 300 Euro erhöht worden. Die nächste Teilnehmerin toppt das: „7.000 Euro müssen wir jetzt blechen“, sagt sie verzweifelt. Ihre Miete würde sich um 500 Euro erhöhen. Sie fährt fort: „In meiner Wohnung kann ich jetzt nicht mehr bleiben“. „Wir haben die Schnauze voll und werden uns das nicht gefallen lassen“, bringt ein etwa 40-jähriger Mann die Stimmung auf den Punkt.
Zu der Demonstration aufgerufen hatte unter anderem das „Bündnis gegen Verdrängung und Mietenwahnsinn“, das in einer Pressemitteilung von einer „wohnungspolitischen Katastrophe“ sprach und deshalb einen „bundesweiten Mietstopp“ forderte. Auch das Volksbegehren „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ rief zur Spontandemonstration auf und erklärte, die Enteignung der größten Wohnungskonzerne sei nun „alternativlos“. Mitinitiator der Kampagne Michael Prütz erklärte auf der Demo gegenüber der taz: „1,5 Millionen Mieter:innen sind von dem Urteil betroffen. Das einzige, was jetzt bleibt ist, unsere Kampagne zu unterstützen. Wir sehen bereits jetzt, dass wir noch einmal Zulauf bekommen“.
Am Kottbusser Tor wird die Demonstration von den Veranstalter:innen offiziell aufgelöst. Doch die Stimmung ist zu aufgeheizt. In der Folge eskaliert die Situation. Die Polizei drängt in die Menge, Videos auf Twitter dokumentieren das brutale Vorgehen der Beamt:innen. Schlagstöcke und Pfefferspray werden eingesetzt, es kommt zu vielen Festnahmen.
Laut Polizeiangaben hätten 400 Teilnehmer*innen den Ort nicht verlassen wollen, sagte ein Sprecher der Polizei am Donnerstagabend. Aus dieser Gruppe heraus sei es vereinzelt zu Straftaten gegenüber Polizeibeamten gekommen. In der Folge seien zunächst Durchsagen gemacht und dann polizeiliche Maßnahmen ergriffen worden. Einem Sprecher zufolge wollte die Polizei erst am Freitagmorgen weitere Details zu dem Einsatz bekanntgeben.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Soziologische Wahlforschung
Wie schwarz werden die grünen Milieus?
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Nach Absage für Albanese
Die Falsche im Visier
Nach Taten in München und Aschaffenburg
Sicherheit, aber menschlich
Treibhausgasbilanz von Tieren
Möchtegern-Agrarminister der CSU verbreitet Klimalegende
Ägyptens Pläne für Gaza
Ägyptische Firmen bauen – Golfstaaten und EU bezahlen