Protest gegen Flughafenausbau in Leipzig: 49 Aktivist:innen in Gewahrsam
Festnahmen beim Protest für Klimaschutz und gegen den Ausbau des Flughafens Leipzig/Halle. Und die DHL will 1,5 Millionen Euro Schadensersatz.

Am Freitagabend um 22 Uhr warten fünf weißhaarige Männer im Nieselregen neben dem Bahnsteig der S-Bahnstation Schkeuditz zwischen Leipzig und Halle. Sie bewegen sich langsam. Die Hemden sitzen am Bauch etwas eng. Mit Schildern und Transparenten wollen sie die Klimaaktivist:innen aus den Städten in Empfang nehmen und zeigen, dass sie für die gleiche Sache einstehen. Die Männer sind Teil einer Bürger:inneninitiative, die sich gegen den geplanten Ausbau des Flughafens Leipzig/Halle wehrt. Sie wollen eine noch höhere Lärm- CO2-, sowie Ultrafeinstaubbelastung verhindern.
„Wir haben mit allen demokratischen Mitteln protestiert: Petitionen gemacht, das Gespräch gesucht. Das hat wenig gebracht. Jetzt unterstützen wir eben eine eher unorthodoxe Demonstration“, sagt Matthias Zimmermann, Pressesprecher der Bürger:inneninitiative. Gemeinsam mit einigen Mitstreitern läuft er hinter dem Zug der Aktivist:innen her. Die „unorthodoxe Demonstration“ ist eine Blockade an einer Kreuzung vor dem DHL-Hub, einem Logistikzentrum am Flughafen. In einer Unterführung ziehen sich die Aktivist:innen weiße Maler:innenanzüge an. Dann laufen sie über ein matschiges Feld und setzen sich mitten auf die Kreuzung. Die Männer von der Bürger:inneninitiative stehen daneben. Schon nach kurzer Zeit stauen sich die LKWs vor der blockierten Zufahrt.
Geplant sind der Ausbau eines Vorfelds, auf dem Flugzeuge geparkt werden können, neue Rollwege und Enteisungsflächen. Für die DHL ist der Flughafen Leipzig/Halle eines der drei wichtigsten Drehkreuze weltweit. Der Logistikkonzern könnte durch den Ausbau die Anzahl der Frachtflüge steigern. Anstatt der bisherigen 80.000 Starts und Landungen pro Jahr könnten es dann knapp 130.000 werden. Im Gegensatz zu den meisten anderen Flughäfen in Deutschland gibt es kein Nachtflugverbot und die verlangten Landeentgelte sind relativ gering. Das kommt besonders im Unternehmen im Frachtflugbereich zugute.
11.000 Unterschriften
Vor der Blockade hupen einige LKW-Fahrer:innen laut, um die Aktivist:innen zu vertreiben. Ein Mann steigt aus seinem LKW aus, baut sich vor den Menschen in den weißen Anzügen auf und schreit: „Was ihr hier macht, hilft niemandem! Ich will nach Hause zu meiner Familie, ihr haltet mich davon ab.“ Ein anderer Fahrer hat schon ein Foto von der Blockade gemacht und an seine Familie geschickt. Er sagt: „Ich muss zwar jetzt hier warten, aber da passiert wenigstens mal was.“ Matthias Zimmermann von der Bürger:inneninitiative sieht das gelassen. „Die einen finden das gut, die anderen nicht. So ist das. Aber der Protest ist wichtig.“
Marco Böhme, Landtagsabgeordneter der sächsischen Linksfraktion
Ende 2020 lagen die Ausbaupläne in 17 betroffenen Gemeinden um den Flughafen aus, damit Bürger:innen sie begutachten konnten. Doch die Pandemie erschwerte die Einsicht. Deshalb wurde die Begutachtungsphase für Bürger:innen bis Ende Juli verlängert. Bereits im Juni konnte Matthias Zimmermann dem sächsischen Landtag im Namen der Bürger:inneninitiative eine Petition gegen den Ausbau übergeben. Insgesamt 11.000 Unterschriften wurden gegen das geplante Vorhaben gesammelt.
Der Protest von Anwohner:innen, betroffenen Gemeinden, Klima- und Umweltschützer:innen regt sich bereits seit einigen Jahren. „In letzter Zeit hat sich die Situation um den Flughafen aber nochmal zugespitzt“, sagt Klimaaktivistin Paula Vogel. „Ein Grund dafür ist sicherlich auch die kommende Bundestagswahl. Auch deshalb sind wir genau jetzt hier.“ Die Aktivist:innen fordern, dass der Flughafen zurück-, statt ausgebaut wird und kritisieren die hohe CO2-Belastung sowie die schlechten Arbeitsbedingungen. Paula Vogel sagt: „Was an diesem Flughafen passiert, treibt die Klimakrise an. Es ist absolut nicht zeitgemäß, jetzt einen Flughafen auszubauen.“
Auch Marco Böhme, Landtagsabgeordneter der sächsischen Linksfraktion und Sprecher für Klimaschutz und Mobilität, kritisiert die Pläne schon länger: „Der Klimaschutz wird einfach umgangen. Außerdem gehen mit dem Ausbau gesundheitliche Risiken auch für Anwohner:innen einher, etwa durch die hohe Lärmbelastung und die nächtlichen Flüge.“ Zwar sei der Flughafen ein Wirtschaftsstandort für die Region. Doch Marco Böhme sagt wie viele andere, dass der Ausbau nicht zukunftsfähig sei, und fordert Alternativen.
Niemand darf gehen
Als die Polizei nach einer Stunde Sitzblockade zu den Aktivist:innen auf die Kreuzung kommt, meldet Marco Böhme die Versammlung als Spontandemonstration an. Immer mehr Beamt:innen umstellen die Aktivist:innen, die mittlerweile im strömenden Regen auf der Kreuzung sitzen. Die Männer von der Bürger:inneninitiative sind bereits nach Hause gegangen. Hinter den Aktivist:innen liegt das DHL-Gelände, die gelben Gebäude mit der roten Schrift beleuchten den dunklen Nachthimmel. Gegen 0.30 Uhr ist die Spontandemonstration vorbei, doch niemand darf gehen. Stattdessen umstellen noch mehr Polizeifahrzeuge die Blockade. Der Grund: Eine Strafanzeige von DHL. Der Konzern verlangt Schadenersatz für die Zeit der Blockade, insgesamt 1,5 Millionen Euro.
In einem Linienbus werden die Aktivist:innen in die Gefangenensammelstelle noch in der Nacht nach Leipzig gebracht, viele verweigern die erkennungsdienstlichen Maßnahmen. Die Leipziger Volkszeitung zitiert einen Polizeisprecher, laut dem insgesamt 52 Aktivist:innen zur Wache gebracht worden seien. Weder DHL noch die Leipziger Polizei waren am Samstagvormittag für die taz für eine Stellungnahme zu erreichen.
Am Mittag berichtet Linkenpolitiker und Umweltaktivist Maximilian Becker auf Twitter, dass noch immer 49 Aktivist:innen in Gewahrsam seien. Laut einer Pressemitteilung der Polizei Leipzig wurden Ermittlungen wegen Nötigung und des Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz aufgenommen. Vor der Polizeiwache an der Dimitroffstraße, wo zeitgleich eine Klimamesse stattfindet, haben sich Unterstützer:innen versammelt. Auch die Polizei ist präsent.
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