Protest beim Sommerinterview mit Weidel: Ein Hoch auf den Zwischenruf
Die ARD empört sich über lauten Protest beim Sommerinterview mit AfD-Chefin Weidel. Sie sollte dankbar sein über die Beteiligung der Öffentlichkeit.

M arkus Preiß ist sichtlich eingeschnappt. Der Leiter des ARD-Hauptstadtstudios wollte am Sonntagabend mit AfD-Chefin Alice Weidel vor schöner Kulisse über die Lage der Republik parlieren. Auf der Freitreppe des Marie-Elisabeth-Lüders-Hauses, die einen fantastischen Blick auf Spree, Reichstag und Berliner Tiergarten bietet.
Aber dann erdreisten sich auf der anderen Seite des Flusses doch tatsächlich Menschen, lautstark zu protestieren. Omas gegen Rechts mit Trillerpfeifen. Und das radikalaktivistische Zentrum für Politische Schönheit fährt mit seinem Lautsprecherbus „Adenauer SRP+“ vor, aus dem unüberhörbar zu fröhlicher Melodie ein herzhaftes „Scheiß AfD“ erklingt. Live übertragen in die Wohnzimmer daheim. Klar, das war platt. Aber so ist das doch bei volksnahen Mitschunkelsongs.
Später in der „Tagesschau“ erklärt Preiß zwar, dass es sich bei dem Gelände an der Spree um einen öffentlichen Ort handele, bei dem es auch Protest geben könne. Aber dies, so seine These, sei offenbar eine gezielte Aktion gewesen, um das Interview zu stören. Als wäre gezieltes politisches Handeln gegen Rechtsextremismus ein Skandal.
Was die ARD erwartet hat, erklärt eine Moderatorin vor einem anderen Beitrag über den Anti-Weidel-Krach: Das Sommerinterview sei die Gelegenheit, abseits des hektischen Berliner Politikbetriebes ganz in Ruhe den eigenen Standpunkt zu erklären, ohne laut zugespitzte Slogans. Das mag ja angehen bei Protagonisten wie Friedrich Merz, der eine Woche zuvor mit steilen Thesen aufzuregen wusste, der aber bei aller Kritik zweifelsohne Teil der demokratischen Gesellschaft ist.

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Aber wie weltfremd ist es, sich ausgerechnet mit der Chefin des frisch vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuften AfD an einen zum öffentlichen Disput auffordernden Ort zu setzen und darauf zu setzen, dass auf der andern Seite vielleicht mal jemand harmlos „Buh“ ruft – und ansonsten gepflegt die Klappe hält?
Die Freitreppe am Bundestagsgebäude gegenüber dem Reichstag wurde eben nicht nur als Kulissengeber für Politgeplänkel gebaut. Sie war von Architekt Stefan Braunfels Teil des Plans, ein öffentliches Haus zu gestalten. Als Verkörperung des von der einstigen Bundestagspräsidenten Rita Süßmuth erträumten gläsernern Parlaments. Und was anderes ist ein Parlament als ein Streitraum, ein Ort der ja gern auch lautstark geführten Debatte?
Gehört dazu aber ein mit starken Boxen ausgestatteter Bus, der offenbar nichts anderes will als stören? Ja, unbedingt. Denn es geht hier um den angemessen lautstarken Widerstand gegen eine Partei, die verboten gehört, weil sie die Grundpfeiler von Demokratie und Menschlichkeit schleifen will. Daran gemahnt der Bus schon mit seinem Namen „Adenauer SRP+“. Der erinnert an das erste Verbot einer rechtsextremen Partei im Jahr 1952 – zu Zeiten des CDU-Kanzlers Adenauer.
Die ARD sollte dankbar sein für die Beteiligung der engagierten Zuschauer:innen auf der anderen Seite des Ufers, die das TV-Format ernst nehmen. Die aus der Simulation eines politischen Streits eine interaktive Debatte machen. Die dem „öffentlich“ im öffentlich-rechtlichen Rundfunk Wert und Bedeutung geben. Und sei es nur mit einem fäkalplatten Slogan, der vielen Zuschauer:innen daheim an den Geräten aus der Seele gesungen haben dürfte.
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