Produktionsbedingungen von Smartphones: Dilemma bei Tchibo
Der Kaffeeröster verkauft jetzt fair produzierte Smartphones. Das könnte bei Käufer:innen zu Enttäuschungen führen – denn Fairness ist relativ.
E s ist ein ungelöstes Dilemma, wenn nachhaltig, fair oder ökologisch produzierte Waren auf die Vertriebsstruktur des Mainstreams treffen: Wenn also Bio-Gemüse im konventionellen Supermarkt liegt oder wenn Kleidung aus fairer Produktion im Discounter auf der Stange hängt. Weil es die Frage aufwirft: Ist das jetzt gut, weil eine breite Masse an Menschen Zugang zu diesen für Umwelt, Herstellende und Konsument:innen besseren Waren hat? Oder ist es schlecht, weil damit häufig ausbeuterische Vertriebsstrukturen gestärkt werden inklusive aller Risiken für die Produzent:innen?
Das Dilemma ist längst nicht ausdiskutiert, da schraubt Tchibo die Debatte gerade eine Umdrehung weiter. Das Unternehmen verkauft bereits fair gehandelten Kaffee und nachhaltige Kleidung. Neu dazugekommen ist nun im Onlinehandel: das Fairphone 3. Pikanterweise kurz bevor die Fairphone-Produzent:innen das Fairphone 3+ vorgestellt haben, das ein paar der viel kritisierten Probleme des Fairphone 3 durch bessere Hardware lösen soll, aber das ist ein Nebenaspekt.
Zentral ist die Frage: Wenn das nicht nur ein Testballon ist und das Gerät in ein paar Monaten wieder aus dem Sortiment verschwindet, sondern der Anfang davon ist, dass so fair wie möglich produzierte Elektronik langsam den Weg von fairem Kaffee und Ökokleidung geht, aus der Nische raus, in den Mainstream rein – was heißt das?
Tchibo ist nicht der erste Mainstream-Vertriebskanal. Auch die Telekom verkauft aktuell das Fairphone 3. Aber wer sich dort umschaut, ist immerhin schon auf der Suche nach einem Telefon und stöbert nicht gerade im Onlineshop nach Bettwäsche oder Trachtenmode. Diese breitere Verfügbarkeit ist erst einmal gut. Denn sie steigert die Sichtbarkeit. Im besten Fall löst das einen Denkanstoß aus: Aha, da gibt es ein Fairphone. Moment, heißt das, mein Telefon ist nicht fair? Und was ist daran eigentlich nicht fair?
Das passiert nicht, wenn das Fairphone nur über die eigene Webseite vertrieben wird, denn die klickt nur an, wer sich bereits mit dem Thema auseinandergesetzt hat. Wenn sich jetzt ein:e Nutzer:in, derart angestupst, in das Thema einliest, ohnehin ein neues Smartphone benötigt und sich dann für das Fairphone entscheidet – super.
Elektronik ist kein Kaffee
Das Problem liegt woanders. Dafür ist es wichtig, sich bewusst zu machen, dass Elektronik deutlich komplexer ist als Kaffee oder Kleidung. Das liegt an mehreren Faktoren: Erstens an der reinen Zahl der Komponenten und benötigten Materialien, die die Lieferketten deutlich unübersichtlicher machen. So besteht ein Smartphone aus deutlich mehr als 1.000 Teilen. Zweitens an Patenten, die für einzelne Komponenten von Elektronik bestehen. Und die beispielsweise beim Fairphone 1 verhinderten, dass die Hersteller ihr Versprechen, das Betriebssystem aktuell zu halten, umsetzen konnten.
Und drittens an der Art der Materialien. In Elektronik befinden sich Rohstoffe, die nur in wenigen Teilen der Welt und unter teilweise katastrophalen Bedingungen abgebaut werden. Wenn es einige Textilunternehmen schon als zu kompliziert darstellen, Näherinnen in Bangladesch besser zu bezahlen, dann ist es ein ungleich größeres Unterfangen, in einer Konfliktregion wie dem Kongo dafür zu sorgen, Gold oder Koltan unter einigermaßen fairen Bedingungen zu gewinnen.
Technik auf das Fairness-Niveau eines fairen T-Shirts zu heben ist also kompliziert und aktuell noch nicht erreicht. Selbst das Unternehmen hinter Fairphone bezeichnet das aktuelle Modell als „Unser bisher fairstes Smartphone“ und signalisiert damit: Da ist noch Luft nach oben.
Für informierte Kund:innen ist das eine Dissonanz, mit der sie leben müssen (oder ihnen sind andere Aspekte wichtiger, etwa die Reparierbarkeit – hier ist das Fairphone weit vorne). Für Uninformierte, die ihr Fairphone en passant bei Tchibo kaufen, könnte es, wenn sie den Hintergrund herausfinden, einer Produktenttäuschung gleichkommen.
Denn Tchibo nennt das Fairphone „ein fair hergestelltes Smartphone“. Klar, vermutlich ist in der Kürze eines durchschnittlichen Online-Einkaufs nicht mehr Zeit für die Hintergründe der Koltan-Gewinnung im Kongo. Aber andererseits: Wann, wenn nicht hier, wäre die Gelegenheit für ein bisschen grundlegende Wissensvermittlung? Schließlich geht es den Fairphone-Macher:innen laut eigener Aussage nicht darum, sofort ein perfekt faires Gerät vorzulegen, sondern darum, die Welt Schritt für Schritt zu verändern. Und dazu gehören auch die Konsument:innen.
Schwieriger zu lösen ist das Preis-Leistungs-Dilemma. Das Fairphone 3 kostet so viel wie ein Mittelklassegerät, ist aber technisch weniger gut aufgestellt. Nutzer:innen berichten von diversen Software-Problemen, einem schwächelnden Akku und einer Kamera, die schlechter ist als die von anderen Geräten dieser Preisklasse.
Auch hier gilt: Wer sich bewusst für das Fairphone entscheidet, weiß vermutlich um dessen Schwächen. Wer es als Gelegenheitskauf erwirbt, bei dem wird sich womöglich der Eindruck festsetzen: Faire Hardware ist Mist. Ähnlich unklug wäre es, ein fair produziertes T-Shirt zu verkaufen, das miserabel verarbeitete Nähte hat.
Natürlich befindet sich das Unternehmen hinter Fairphone in einem Dilemma. Durch die kleinere Stückzahl werden sie immer teurer fertigen als Apple, Samsung oder Huawei und damit ein schlechteres Preis-Leistungs-Verhältnis bieten können. Doch die Beschreibung bei Tchibo, das Gerät biete „die Ausstattung und Eigenschaften eines vollwertigen Smartphones“, suggeriert etwas anderes.
Für die Sache wäre es das Beste, die großen Hersteller würden mit geballter Marktmacht auf Nachhaltigkeit setzen, ihre Telefone reparierbar machen und mit Nachdruck an der Fairness in den Lieferketten arbeiten. Solange das nicht in Sicht ist, hilft vielleicht eine offene Kommunikation von Anbietern fairer Technik, die erklärt, warum neueste Hardware auch bei einem Smartphone nicht immer alles ist.
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