Pro und Contra Israel-Boykott: Antisemitisch oder kritisch?
Ist die Bewegung BDS antisemitisch? Ist sie legitimer Protest? Oder fehlt jede Empathie für die Juden? Zwei Standpunkte.
D ie transnationale Bewegung Boycott, Divestment and Sanctions, kurz BDS, setzt sich für den Boykott israelischer Waren, aber auch den israelischer Künstler und Intellektueller ein – aus Protest gegen Israels Politik. Das erinnert an den Boykott von Juden zur NS-Zeit. Aber ist BDS tatsächlich antisemitisch?
Ja, BDS ist antisemitisch
Der Boykott von Juden hat eine lange Tradition. Schon seit der Wende vom 19. auf das 20. Jahrhundert wurden sie in Deutschland populär. Judenboykotte waren einerseits Reaktionen auf die zunehmende Gleichstellung in Mitteleuropa, die es Juden ermöglichte, auch in Geschäftsfeldern tätig zu werden, die zuvor Christen vorbehalten waren.
Andererseits war der Judenboykott nur eine von vielen antisemitisch motivierten Aktionen, mit denen man Juden wieder an den Rand der Gesellschaft drängen und sie als vermeintliche Feinde eines imaginären Volkswillens stigmatisieren wollte. Dazu zählten etwa Bemühungen, nur eine begrenzte Zahl Juden an Hochschulen zuzulassen oder sie weiterhin von bestimmten Berufen auszuschließen.
Wenn heute Judenboykott zur Sprache kommt, ist damit meist eine Aktion des NS-Regimes vom 1. April 1933 gemeint. An diesem Tag riefen die nationalsozialistischen Machthaber zum Boykott jüdischer Geschäfte und Unternehmen auf. Er kann als eine der ersten Maßnahmen verstanden werden, mit der die Nazis die deutschen Juden aus dem Wirtschaftsleben zu eliminieren trachteten. Es war ein Vorbote für den Massenmord als finale Folge der Verdrängung.
Wir müssen diese historische Perspektive berücksichtigen, wenn wir über den internationalen Boykott gegen den Staat Israel diskutieren, der sich „Boycott, Divestment, Sanctions“, BDS, nennt. Die Befürworter argumentieren, ihre Aktion habe nichts mit Antisemitismus zu tun und richte sich allein gegen die Politik der israelischen Regierung.
Ihr Ziel ist dabei eine Bestrafung Israels als ein Staat, der die Palästinenser unterdrücke und insbesondere palästinensisches Land besetzt halte. Im Idealfall, so die BDS-Wortführer, führe ihre Aktion zu einer Revision dieser israelischen Politik. Oder, so der unmissverständliche Subtext: zur Auflösung des jüdischen zugunsten eines binationalen Staates, in dem Juden dann eine Minderheit wären.
Der Boykott richtet sich nicht allein gegen israelische Unternehmen, die im Westjordanland tätig sind, sondern betrifft alle Produkte „Made in Israel“, alle akademischen Kooperationen und selbst den Schüleraustausch. Damit verhängen die BDS-Befürworter eine Kollektivstrafe gegen alle Israelis, gleich welcher politischer Gesinnung. Ihr Boykott richtet sich damit gegen die israelische Gesellschaft als Ganzes und hat zum Ziel, diese Gesellschaft und ihre staatliche Ordnung zu delegitimieren. Sprich: Israels Existenzberechtigung infrage zu stellen.
Der Staat Israel aber ist jüdisch geprägt. Die große Mehrheit der Israelis – von rechtskonservativ und religiös geprägt bis hin zu säkular denkend oder politisch links eingestellt – besteht auf dem jüdischen Charakter ihres Landes. Es ist dieser Versuch der Delegimitierung Israels, der gewollt oder ungewollt an die antisemitischen Aktionen gegen Juden vor und während der NS-Zeit anknüpft.
Die Boykott-Befürworter behaupten, ihre Aktion sei nicht antisemitisch, sondern antizionistisch orientiert. Die Delegitimierung beträfe keineswegs die Juden im Allgemeinen, sondern alleine ein jüdisch dominiertes Staatswesen. Häufig berufen sie sich dabei auf einige wenige Vorzeigejuden, die sich ihrer Bewegung angeschlossen haben.
ist Co-Leiter des Ressorts taz1.
Doch diese Unterscheidung ist historisch von keinerlei Sachkenntnis getrübt. Der Gründung des Staates Israel hat die internationale Gemeinschaft 1948 nicht zuletzt auch unter dem Eindruck des Vernichtung der Juden in Europa zugestimmt. Seine Existenz ist daher untrennbar mit dieser historischen Realität verwoben. Greift man dieses Land nun mit Methoden an, die der Verfolgungsgeschichte entlehnt sind, so sollte es niemanden verwundern, wenn diese Methode als schäbig und antisemitisch empfunden wird.
Ob der Boykott Israels nun antisemitisch oder „nur“ antizionistisch ist, ist nicht die entscheidende Frage, zumal sich Antizionismus und Antisemitismus häufig überlappen. Entscheidend ist vielmehr, dass Holocaust-Überlebende ebenso wie deren Nachfahren ihn fast schon zwangsläufig als antisemitisch empfinden müssen.
Wer in Europa der Schoah entronnen ist, wird aus nachvollziehbaren Gründen nicht bereit sein, zwischen Juden- und Israel-Boykott zu unterscheiden, besonders dann nicht, wenn man als Bürger des Staates Israel angriffen wird. An den Rand gedrängt zu werden – diese Erfahrung haben diese Menschen schon einmal gemacht. Weil die Schoah ein untrennbarer Teil der Vorgeschichte Israels ist, begreift eine überwältigende Mehrheit der jüdischen Israelis diesen Boykott eben nicht nur als politisch unangemessen, sondern als Angriff auf die eigene Existenz.
Die Boykott-Befürworter nehmen dies bei ihrer Aktion wissentlich in Kauf. Sie scheren sich nicht um die Verletzungen, die sie den Überlebenden zufügen. Ihnen scheint die öffentliche Meinung in Israel, das sie zu einem besseren Staatswesen umzuerziehen oder aufzulösen gedenken, vernachlässigenswert zu sein.
Soll das etwa ehrliches Bemühen sein, den komplizierten Nahostkonflikt einer Lösung näher zu bringen? Es zeugt eher von einseitiger Parteinahme. Dabei werden Methoden angewandt, mit deren historischer Dimension man sich entweder nicht auseinandergesetzt hat oder diese Dimension gar bewusst nutzt.
Es ist diese Haltung der Unversöhnlichkeit und der fehlenden Empathie, die die Boykottbewegung gegen Israel so unerträglich macht. Und es ist umso unbegreiflicher, dass sich auch Deutsche dieser Aktion anschließen, obwohl gerade sie eine besondere Verantwortung für jüdisches Leben in und außerhalb Israels tragen sollten.
Wer aber unbedingt auf der Fährte der eigenen Vorfahren wandeln möchte, dem sei dies unbenommen. Zumindest den deutschen Boykott-Freunden empfiehlt sich allerdings, vor ihrer nächsten Aktion einmal einem Blick in die beim Bundesarchiv gelagerten Akten des Document Centers zu werfen, um zu überprüfen, was der eigene Groß- oder Urgroßvater vor 75 Jahren so getrieben hat. Möglicherweise ergeben sich erstaunliche Kontinuitäten. (Klaus Hillenbrand)
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Nein, BDS ist nicht antisemitisch
Die israelische Regierung rückt immer weiter nach rechts. Gegner ihrer Siedlungspolitik betrachtet sie inzwischen als Staatsfeinde und fährt schwere Geschütze gegen sie auf. Ausländer, die zum Boykott von Israel oder den Siedlungen im Westjordanland aufgerufen haben, sollen künftig nicht mehr nach Israel einreisen dürfen oder ausgewiesen werden, das hat die Knesset kürzlich beschlossen. Und Israelis, die mit der Boykottbewegung sympathisieren, drohen schon länger drakonische Strafen von bis zu 10.000 Euro.
Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu machte die Bewegung „Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen“, kurz BDS, bereits 2015 als „größte aktuelle Bedrohung“ seines Landes aus und stellte rund 23 Millionen Euro für eine groß angelegte, weltweite Anti-BDS-Kampagne und Propagandaoffensive bereit.
Einige konservative Parteien in Europa hat er auf seine Seite gebracht. In Großbritannien, Frankreich und einigen US-Bundesstaaten wurden Gesetze erlassen oder andere Maßnahmen ergriffen, um die Boykottbewegung zu behindern. Die britische Regierung etwa hat es staatlichen Stellen, Kommunen oder Gewerkschaften verboten, zum Boykott gegen Israel oder dessen illegalen Siedlungen im Westjordanland aufzurufen.
Auch die deutsche CDU hat auf ihrem letzten Parteitag im Dezember einem Antrag zugestimmt, in dem die Israel-Boykott-Bewegung pauschal als „antisemitisch“ bezeichnet und mit dem Judenboykott der Nazis im Dritten Reich verglichen wurde. „Wer heute zum Boykott israelischer Waren und Dienstleistungen aufruft, der spricht in der gleichen Sprache, in der man einst die Menschen dazu aufgerufen hat, nicht bei Juden zu kaufen“, hieß es dazu aus der Frankfurter CDU, die den Antrag einbrachte.
Dieser Vergleich ist geschichtsvergessen und verhöhnt die NS-Opfer, denn damit wird der Völkermord der Nationalsozialisten verharmlost. Israel ist auch keine drangsalierte Minderheit wie die Juden im Dritten Reich, sondern der militärisch und wirtschaftlich stärkste Staat der Region. Gerade in Deutschland sollten sich solche Vergleiche verbieten, mit denen Menschenrechtler, die sich für einen fairen Frieden im Nahen Osten einsetzen, auf eine Stufe mit Naziverbrechern gestellt werden.
Die Bewegung Boycott, Divestment and Sanctions ist 2005 aus dem Weltsozialforum in Porto Alegre hervorgegangen. Nach dem Vorbild der Boykottbewegung, die zum Fall des Apartheidregimes in Südafrika beigetragen hat, will sie Druck auf Israel ausüben, die Besatzung palästinensischer Gebiete zu beenden, den Palästinensern in Israel gleiche Rechte zu gewähren und eine Lösung für die Millionen palästinensischen Flüchtlinge weltweit zu finden.
Die BDS-Bewegung wird von einem Teil der israelischen Linken, der palästinensischen Zivilgesellschaft und prominenten Intellektuellen wie Judith Butler, Alice Walker, Erzbischof Desmond Tutu, Ken Loach, Naomi Klein und Laurie Penny unterstützt. Vor allem in den USA, Großbritannien, in Frankreich und Südafrika genießt sie Sympathien; einige Fürsprecher sind selbst jüdischer Herkunft. Manche befürworten nur den Boykott von Produkten aus israelischen Siedlungen. Andere treten für einen kompletten Boykott ein, der auch den wissenschaftlichen und künstlerischen Austausch einschließt.
Sicher lässt sich nicht ausschließen, dass sich im Fahrwasser der BDS-Bewegung auch manche bewegen, die von antijüdischen Ressentiments angetrieben sind. Genauso wenig lässt sich ausschließen, dass manche, die jetzt so lautstark die türkische Regierung kritisieren, von pauschalem Hass auf Türken getrieben werden. Trotzdem ist die Kritik in beiden Fällen in der Sache richtig. Denn die BDS-Bewegung richtet sich nicht gegen Juden, sondern gegen einen Staat, der eine Volksgruppe seit mindestens 50 Jahren systematisch unterdrückt.
Weil dieser Staat seit Jahren von Europa und den USA unterstützt und mit Waffen beliefert wird, ist der individuelle Boykott für viele Bürger der einzige Weg, den eigenen Regierungen etwas entgegenzusetzen. Dass die Boykottbewegung offenbar eine Wirkung hat, zeigt sich an dem massiven Aufwand, den die israelische Regierung betreibt, um sie zu bekämpfen.
Schon jetzt werden jüdischen Verbänden und Einzelpersonen die Bankkonten gekündigt, wenn sie sich auf diese Weise gegen Israel engagieren, oder diese werden als „Antisemiten“ denunziert. Veranstaltungen von kritischen Künstlern und Intellektuellen wie dem südafrikanischen Theologen Farid Esack wurden auf politischen Druck hin verhindert.
Leider stimmen auch viele Linke und Grüne wie Volker Beck solcher Zensur zu. Die CDU will jetzt durchsetzen, dass Institutionen und Gruppen, die sich zur BDS-Bewegung bekennen, keine staatliche Förderung mehr erhalten. Doch egal, wie man zur BDS-Bewegung oder zu Israel steht: Das ist eine Einschränkung der Meinungsfreiheit, die in einer Demokratie nicht akzeptabel ist.
Man kann die BDS-Bewegung kritisch sehen und insbesondere einen kompletten Israel-Boykott aus guten Gründen ablehnen, weil er auch die Falschen träfe. Aber die Meinungsfreiheit sollte schwerer wiegen und auch solche Positionen aushalten.
Die Haltung der CDU hat aber Tradition. Schon in den 1980er Jahren unterstützte sie das Apartheidregime in Südafrika, und Helmut Kohl betrachtete, wie Ronald Reagan in den USA und die britische Premierministerin Margaret Thatcher, die Widerstandsbewegung des ANC unter Nelson Mandela als „Terrorgruppe“. Die Forderung nach Sanktionen gegen Südafrika wies man zurück: Dies schade letztlich nur den Schwarzen, außerdem müsse das „Existenzrecht der Weißen“ gewahrt bleiben. Die Argumente von heute klingen ähnlich, während sich Israel immer mehr in einen Apartheidsstaat verwandelt, je mehr es mit den besetzten Gebieten zusammenwächst.
ist Redakteur für Migration und Interkulturelles im Inlandsressort der taz. Seit jahren beschäftigt er sich auch schon mit Politik und Kultur in der Türkei.
Würde sich daran etwas ändern, dann wäre der Boykott-Bewegung der Boden entzogen. (Daniel Bax)
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