Pro-Palästina-Demonstrationen: Hamburger Härte
Seit einem Monat sind „pro-palästinensische“ Versammlungen in Hamburg per Allgemeinverfügung verboten. Kritik daran gibt es kaum.
Am 16. Oktober gab die Hamburger Polizei spätabends bekannt, dass ab Mitternacht im gesamten Stadtgebiet alle Versammlungen verboten sind, die „inhaltlich einen Bezug zur Unterstützung der Hamas oder deren Angriffe auf das Staatsgebiet Israels aufweisen“. In Klammern setzte sie dahinter, was darunter zu verstehen sei: „sog. pro-palästinensische Versammlungen“. Drei Tage sollte das Verbot gelten – bereits neun Mal gab die Polizei seither eine Verlängerung der Allgemeinverfügung für jeweils drei bis vier Tage bekannt.
Wie in der ganzen Bundesrepublik war auch in Hamburg die Furcht nach der Terrorattacke der Hamas auf Israel groß, dass es im Zuge der militärischen israelischen Reaktion zu antisemitischen Ausschreitungen und volksverhetzenden Demonstrationen kommen würde. In Berlin waren, kurz bevor die Hamburger Polizei ihr Generalverbot aussprach, die Hamas-Attacken gefeiert und dutzende Straftaten im Zuge von Kundgebungen erfasst worden. Am Rande einer Solidaritätskundgebung für Israel in der Hamburger Innenstadt gab es vereinzelte antisemitisch motivierte Übergriffe auf Demo-Teilnehmer:innen – Szenen, von denen es in ähnlicher Form bundesweit Berichte gab.
Doch nirgendwo sonst wurde das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit so sehr eingeschränkt. Eine solche Allgemeinverfügung gibt es sonst in keinem anderen Bundesland, auch in Berlin waren bislang immer nur einzelne Demonstrationen untersagt worden. Seit dem 7. Oktober habe es dort 116 pro-palästinensische Demonstrationen gegeben, 22 seien verboten worden, berichtete Anfang der Woche die SPD-Innensenatorin Iris Spranger (SPD). In Frankfurt am Main waren mehrere Demos in einem Zeitraum von wenigen Tage untersagt worden.
Selbstbild Hamburgs als liberale Großstadt
Für Deniz Celik entspricht das anhaltende Verbot „nicht dem Selbstbild Hamburgs als liberale Großstadt“. Celik sitzt für die Linkspartei im Hamburger Parlament, der Bürgerschaft, und ist innenpolitischer Sprecher der Fraktion.
„Ein Demonstrationsverbot muss immer die Ultima Ratio sein“, sagt Celik. „Viele, die sich auf einer Demonstration solidarisch mit der palästinensischen Bevölkerung zeigen und zur Einhaltung von Menschenrechten mahnen wollen, fühlen sich nun ausgegrenzt“, sagt er. „Das Verbot untergräbt ihr Vertrauen in Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.“
Bei Fatih Yildiz klang das etwas anders. „Wir begrüßen es sehr, dass es endlich möglich war, eine Kundgebung durchzuführen“, sagte der Vorsitzende der Schura, des Rats der islamischen Gemeinschaften in Hamburg, dem Hamburger Abendblatt. Zuvor hatte die Polizei, als Ausnahme und mit vielen Vorgaben, eine Demo der Schura genehmigt – weil die Schura ausdrücklich ihr Mitgefühl für die israelischen Opfer geäußert und ihre Mitglieder davor gewarnt hatte, an Kundgebungen von extremistischen Gruppen teilzunehmen. Yildiz selbst beendete die Kundgebung mit rund 800 Teilnehmer:innen vorzeitig: Eine kleine Gruppe habe unbeirrt nicht zugelassene Parolen skandiert.
Wenig Unterstützung aus dem linken Lager
Anders als in Berlin gab es aus dem linken Lager wenig Unterstützung für Kundgebungen, die den Eindruck erweckten, Palästina näher als Israel zu stehen. Am meisten Aufmerksamkeit erregte noch der innerlinke Plakat-Streit an der Fassade des autonomen Zentrums Rote Flora im Schanzenviertel: „Killing Jews is not fighting for freedom“ stand da zunächst, ehe Unbekannte den Schriftzug in „Killing humans is not fighting for freedom“ änderten.
Dass am vergangenen Samstag auf einer Demonstration gegen die Allgemeinverfügung rund 750 Menschen friedlich – und ausnahmsweise genehmigt – durch die Stadt zogen, änderte an der polizeilichen Gefahrenprognose bislang nichts. Schließlich kam es in den vergangenen Wochen auch immer mal wieder zu unangemeldeten Versammlungen, bei deren Auflösung es zu Auseinandersetzungen kam.
Zweimal befasste sich das Hamburger Verwaltungsgericht in den vergangenen Wochen mit den Demo-Verboten, beide Male stellte es sich hinter die Versammlungsbehörde. Erst versuchte es der Anmelder einer Demonstration unter dem Titel „Stoppt den Krieg auf Gaza und Menschenrechte unterstützen!“. Doch der Titel deute aus Sicht des Gerichts auf eine „einseitig pro-palästinensische Ausrichtung“ hin, weshalb das Verbot zu billigen sei. Und weil der Anmelder im Aufruf zur Demo auch noch den Slogan „Freiheit für Palästina“ benutzte, sei die Gefahrenlage belegt: „Diese Parole wird typischerweise in Kreisen verwandt, die das Existenzrecht Israels im Ganzen in Frage stellen“, stellte das Gericht recht forsch fest – somit sei mit Gewalt zu rechnen.
Auch eine zweite Klage, diesmal direkt gegen die behördliche Allgemeinverfügung, wies das Gericht ab – „angesichts der auch weiterhin in Hamburg in besonderer Weise aufgeladenen Stimmung“.
Michael Wrase, Professor für Öffentliches Recht an der Uni Hildesheim, hält das Verbot für verfassungsrechtlich bedenklich. „Da bräuchte es schon eine besondere Gefährdungslage, dass also die öffentliche Sicherheit nicht anders gewährleistet werden kann“, sagte Wrase zur taz. Bei „Gefährdung der öffentlichen Sicherheit“ denke man an tagelange Straßenkämpfe – Bilder, wie man sie aus der Weimarer Republik kennt. Er sieht „gute Chancen“, das Verbot zu kippen, sollten Betroffene gegen die Allgemeinverfügung den Rechtsweg durch die Instanzen zu Ende gehen.
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Schließlich seien derzeit jegliche Versammlungen verboten, die als „pro-palästinensisch“ betrachtet würden: Den juristischen Bestimmtheitsgrundsatz sieht er damit nicht erfüllt. Darunter können schließlich auch Demonstrationen fallen, die eine einfache Solidarität mit den Menschen in Gaza fordern oder sich für eine Zwei-Staaten-Lösung einsetzen, genauso wie Demonstrationen, die die Terrorakte der Hamas feiern. „Nur Letztere rechtfertigen ein Verbot.“
Allein: Bei der nächsthöheren Instanz, dem Hamburger Oberverwaltungsgericht, hätte bis Mittwoch Beschwerde gegen die Entscheidung zur Allgemeinverfügung eingelegt werden müssen. Eingegangen ist nichts, sagt ein Gerichtssprecher. Und gegen die Verfügung kann nur klagen, wer auch dem Gericht plausibel darlegt, von dem Versammlungsverbot betroffen zu sein. Die Motivation dazu ist in Hamburg augenscheinlich gering.
Außer der Linken zeigen weder SPD und Grüne als Regierungsfraktionen noch die CDU in der Opposition sichtbares Unbehagen an der wochenlangen Einschränkung eines Grundrechts. Und so bleibt wohl nur darauf zu warten, bis die Hamburger Polizei ihre Einschätzung zur Gefährdungslage eigenständig ändert.
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