Privatisierung der Autobahnen: Versteckspiel auf dem Highway

Der Bund will die Voraussetzungen für eine Autobahn-Privatisierung schaffen. Demokratische Kontrolle wird umgangen, besonders dreist täuscht Gabriel.

Eine Autobahn in Deutschland inmitten von herbstlich gefärbten Laubbäumen

Noch Gemeingut, bald womöglich attraktives Anlageprodukt für Konzerne Foto: dpa

„Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes“ steht über dem „streng vertraulich“ gekennzeichneten Dokument aus dem Bundesinnenministerium, das der taz vorliegt. Es geht um die Privatisierung eines Kernbereichs der Infrastruktur: die Bundesautobahnen. Dazu muss die Zuständigkeit von den Ländern an den Bund übergehen, der eine Infrastrukturgesellschaft gründet. Grundgesetzänderung erforderlich.

Seit die taz Ende 2014 erstmals über Sigmar Gabriels (SPD) Pläne berichtete, die Infrastruktur als Anlageprodukte für Versicherungskonzerne aufzustellen, verschleiern die beteiligten Ministerien dieses größte Privatisierungsvorhaben seit der Wiedervereinigung. Im Oktober hatten sich Bund und Länder bei einem Deal darauf geeinigt: Milliarden vom Bund gegen – die Infrastrukturgesellschaft.

Das aktuelle Dokument zur Grundgesetzänderung ist auf den 19. Oktober datiert. Nur zwei Tage zuvor hatte das Verkehrsministerium, das wie das Wirtschaftsministerium beteiligt ist, einen Antrag der taz auf Einsicht in das Gutachten abgelehnt, das für diese Grundgesetzänderung in Auftrag gegeben wurde. Würde die Öffentlichkeit informiert, heißt es in der Ablehnung, gefährde dies den „Schutz des behördlichen Entscheidungsprozesses“ wie auch die „Effektivität des Verwaltungshandelns“. Die taz klagt nun.

Die Scheu der Ministerialen vor der Öffentlichkeit ist verständlich, denn Kritiker wie der Ingenieur Carl Waßmuth von der Organisation Gemeingut in BürgerInnenhand veranschlagen den Wert dieser Privatisierung auf rund 300 Milliarden Euro. Werte und Eigentum des Gemeinwohls, die künftig jenseits demokratischer Kontrolle und vorbei am öffentlichen Haushalt bewirtschaftet werden. Zur Freude von Konzernen. Selbst die Opposition musste sich entsprechende Vorlagen von Whistleblowern beschaffen und die komplexe Materie von Rechtsexperten begutachten lassen. Tenor: intransparent, Privatisierung.

Die beteiligten Ministerien verschleiern das größte Privatisierungsvorhaben seit der Wiedervereinigung

Wie sehr das Versteckspiel des Bundes weitergeht, belegt ein Treffen zwischen den Chefs der Staatskanzleien (CdS) der Länder am 3. November im Kanzleramt mit Chef Peter Altmaier. Den Ländern ist das Vorgehen und das Taktieren des Bundes nicht geheuer. So heißt es in einem internen Gesprächsvermerk, der der taz vorliegt: „In der Vorbesprechung der CdS haben Verfahrensfragen im Vordergrund gestanden. Inhaltlich wurde kaum diskutiert.“ Denn „man war sich einig, dass der Bund seine Vorschläge nicht nur hinsichtlich der Grundgesetzänderung konkretisieren muss“. Erst dann können die Länder Stellung nehmen.

„Kein Kommentar, Geschäftsgeheimnis!“

Der Frankfurter Rechtsprofessor Georg Hermes fordert eine offene Diskussion. Eine „Gesellschaft des Bundes ist ein Novum im Grundgesetz“, sagt er. Für ihn ist das „ein Schritt in Richtung Privatisierung“. Je stärker es in diese Richtung gehe, desto leichter sei es, insbesondere die Schuldenbremse durch Schattenhaushalte zu umgehen. Die Frage sei, ob der Bundestag sich seiner eigenen Rechte beraube wie bei der Deutschen Bahn, „die sich der Kontrolle der Politik entzogen hat“.

Besonders dreist täuscht Sigmar Gabriel (SPD). Er wehre sich gegen eine Privatisierung und beharre darauf, dass Autobahnen „in unveräußerlichem Besitz des Bundes verbleiben“, ließ er mitteilen. Tatsächlich war es Gabriel, der das Monsterprojekt im Sommer 2014 erst initiierte. Lauthals versprach er, „Lebensversicherungskonzernen attraktive Angebote (zu) machen, sich an der Finanzierung der öffentlichen Infrastruktur zu beteiligen“. Er ließ wenig später die Infrastrukturgesellschaft von Marcel Fratzscher aus dem Hut zaubern, der – gemeinsam mit Vertretern von Versicherungskonzernen und Banken – eine Expertenkommission gegründet hatte.

Einem Spiegel-Bericht zufolge hatte Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) vergangene Woche im Haushaltsausschuss verlautbart, dass bis zu 49,9 Prozent der Gesellschaft an private Investoren verkauft werden könnten. Wenn Gabriel behauptet, dass die Infrastrukturgesellschaft nicht privatisiert wird, übernimmt er nur die Argumentation der Konzerne von 2015. Da hieß es in einer Mitteilung der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) und des Hauptverbands der Deutschen Bauindustrie (HDB): „Eine Beteiligung privater Partner an der Gesellschaft lehnen GDV und HDB ab. Eine solche Gesellschaft böte jedoch auf Projektebene viele Möglichkeiten, privates Kapital zu beteiligen.“

Darum dürfte es gehen: Der Erhalt, der Betrieb und der Bau der Autobahnen kann bald standardisiert als Öffentlich-Private Partnerschaft (ÖPP) erbracht werden. Bei der künftigen Infrastrukturgesellschaft, die eine privatrechtliche Gesellschaftsform bekommen soll, kann es dann immer heißen: Kein Kommentar, Geschäftsgeheimnis! „Selbst wenn sich Mitglieder des Bundestages später gegen Privatisierung aussprechen, kann die Infrastrukturgesellschaft künftig jedes einzelne Autobahnprojekt privatisieren – als ÖPP und unter Ausschluss der Öffentlichkeit“, warnt Waßmuth.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.