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Porträt über Chefankläger Karim KhanErst Wunschkandidat, dann Buhmann

Der Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag fordert Haftbefehle gegen Hamas-Führer, aber auch gegen Israels Premier Netanjahu.

Will gegen mutmaßliche Verbrecher im Gazakrieg vorgehen: Karim Khan Foto: Vaness Jimenez/AA/picture alliance

Vor drei Jahren galt er noch als „Wunschkandidat“ der USA, Großbritanniens und Israels. Das schrieb die israelische Zeitung Yediot Aharonot, als Karim Khan 2021 neuer Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag gewählt wurde. Aus israelischer Sicht gelte der Brite als pragmatisch und eher „unpolitisch“, schrieb das konservative Blatt damals.

Dieses Image hat der 54-Jährige mit einem Paukenschlag widerlegt. Am Montag forderte Khan den Strafgerichtshof dazu auf, Haftbefehle gegen Israels Premier Netanjahu, Verteidigungsminister Joav Galant, aber auch gegen die drei Hamas-Anführer Jahia Sinwar, Mohammed Diab Ibrahim al-Masri, genannt Deif, und Ismail Hanijeh zu erlassen.

Beiden Seiten wirft er Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor. Unterstützt wurde Khan von einer Expertengruppe, zu der auch die Menschenrechtsanwältin Amal Clooney gehört. Vier Monate lang trugen sie Beweismittel für seinen Antrag zusammen.

Khan gilt als gewissenhafter Anwalt mit viel Expertise auf dem Gebiet der Menschenrechte und des internationalen Strafrechts, in dem er seit 1997 arbeitet. Bei den UN-Tribunalen für Jugoslawien und Ruanda beriet er die Anklage. In anderen Verfahren verteidigte er den Sohn des libyschen Diktators Muammar al-Gaddafi, Saif al-Islam, oder Kenias Vizepräsidenten William Ruto.

Ermittlungen wegen Butscha

Bis 2021 leitete Khan beim Strafgerichtshof ein Team, das Kriegsverbrechen der Terrormiliz „Islamischer Staat“ im Irak untersuchte.

Khan wurde in Schottland geboren und hat in London studiert. Sein Vater, ein Hautarzt, stammte aus dem heutigen Pakistan, seine Mutter, eine Krankenschwester, war Engländerin. Khan ist gläubiger Muslim und gehört der Minderheit der Ahmadiyya an, deren Angehörige in Pakistan aufgrund ihres Glaubens verfolgt werden. Pakistans ersten Außenminister Chaudri Sir Muhammad Zafrullah Khan (1893–1985), ehemals Präsident der UN-Vollversammlung und später des Internationalen Gerichtshofs, bezeichnet er als wichtigsten Mentor.

Khan dürfte sich der Konsequenzen seines Schritts bewusst sein. Seine Vorgängerin, die Gambierin Fatou Bensouda, hatte sich bei den USA unbeliebt gemacht, weil sie mit ihrer Beharrlichkeit dafür gesorgt hatte, dass das Gericht Verbrechen in Afghanistan untersucht – auch solche, die von US-Soldaten und Angehörigen der CIA begangen wurden.

Donald Trump hatte sie dafür mit Sanktionen bestraft, Khan ruderte in dieser Sache später zurück. Auch dass er nach dem Massaker von Butscha wegen Kriegsverbrechen ermittelte und später einen Haftbefehl gegen Wladimir Putin verlangte, stieß im Westen auf Wohlwollen.

Der Westen murrt

Doch dass er nun dessen Verbündete ins Visier nimmt, macht Khan seit Montag selbst zum Buhmann. Er sei „einer der großen Antisemiten der Moderne“, beschimpft ihn Israels Premier Benjamin Netanjahu im Superlativ, und Verteidigungsminister Joav Galant nennt sein Vorgehen „verachtenswert“.

Auch Joe Biden zeigte sich empört: „Was auch immer dieser Ankläger andeuten mag, es gibt keine Gleichwertigkeit – keine – zwischen Israel und der Hamas“, erklärte der US-Präsident. Republikanische US-Abgeordnete hatten dem Gericht schon vorab mit Sanktionen gedroht, sollte es zu Haftbefehlen kommen.

Sein Gericht sei „für Afrika und Schurken wie Putin“ geschaffen worden, habe ihn ein hochrangiger westlicher Politiker gewarnt, erzählte Karim Khan in einem CNN-Interview. Doch auf diese Rolle möchte er sich aber offenbar nicht beschränken lassen.

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20 Kommentare

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  • Ist es nicht gerade ein Kennzeichen der unpolitischen Haltung auch politisch unerwünschte Anträge zu stellen? ich glaube kaum, dass der Chefankläger dies aufgrund eines Bauchgefühls oder persönlichen Laune veranlasst hat.

    Und der Satz 'Sein Gericht sei „für Afrika und Schurken wie Putin“ geschaffen worden, habe ihn ein hochrangiger westlicher Politiker gewarnt' würde leider den Strafgerichtshof komplett diskreditieren, wenn er denn so gehandhabt würde. Uns kann nichts passieren, denn wir sind ja die Guten? Also westliche Politiker stehen über dem Gericht?



    Dass die USA das Gericht nicht anerkennen, darüber mag man ja diskutieren. Aber von den über 100 Staaten, die diese Spielregeln unterschrieben haben, erwarte ich auch, dass sie sich daran halten.

  • Allein schon die Reaktion auf die Antragstellung wird zur Klärung beitragen.....

    Zwar nicht zur Klärung der Schuldfrage....

    ....wohl aber wird deutlich wie verlogen das ganze Konstrukt rund um die sogenannten "westlichen Werte" ist und die "westliche Wertegemeinschaft" ist.

    Die "Deutsche Schuld" darf nie vergessen werden!

    Das ist allerdings eher Verpflichtung... und darf uns nicht daran hindern Mord als Mord zu bezeichnen und die Täter klar zu benennen - egal um wen es sich dabei handelt.

    Sich hinter dem Begriff "Staatsräson" zu verstecken ist nur ein untauglicher Versuch, sich von alter Schuld nachträglich reinzuwaschen. Das wird nicht funktionieren.



    Klare Position trotz - oder gerade wegen - der alten Schuld ist gefragt. Mit allen daraus folgenden Konsequenzen.

  • Prozessual ist die Gleichzeitigkeit der Haftbefehle nicht wirklich zu erklären. Solche wären sofort zu beantragen, sobald der Ankläger aufgrund eines ermittelten Sachverhalts zu dem Schluss gekommen ist, dass ein dringender Tatverdacht auf eine entsprechend schwere Rechtsverletzung vorliegt (und EINE reicht). Was den Hamas-Anführern vorgeworfen wird, basiert aber auf einem anderen (Teil-)Sachverhalt des Konfliktes als die Vorwürfe gegen Netanyhu und Gallant, der auch vonseitn der Beschuldigten gar nicht abgestritten wird. Dass die Ermittlungen, die den verschiedenen Anträgen zugrundeliegen, gleichzeitig mit den Ergebnissen zu den Anschuldigungen gegen die Israelis vorlagen, ist daher schwer zu glauben.

    Ergo: Die gleichzeitige Beantragung war wohl ein politischer Akt. Den hätte Khan sich sparen können. Den Antrag zu den Hamas-Führern hätte er eigentlich stellen müssen, sobald deren Prahlerei mit den Taten des 7. Oktober sich als hinreichend glaubhaft herausstellte. Entsprechende Zweifel dürften seit Monaten entkräftet sein, falls sie je bestanden. Dass er bis jetzt gewartet hat, erscheinmt daher als eine Konzession an Jene, die keinen Vorwurf gegen die Hamas ertragen können, ohne den anklagenden Zeigefinger auf Israel zu richten. Deren Druck nachzugeben, stellt dem ICC keinen gutes Zeugnis in Sachen Überparteilichkeit aus.

    Freilich muss man zugestehen, dass auch auf der anderen Seite politische Akteure stehen, die wahrscheinlich jedes zeitlich differenzierende Verhalten AUCH verteufelt hätten. Mal von den genannten pro-palästinensischen Parteigängern abgesehen, hätte Netanyahu seine (so erwartbaren wie pauschalisierenden) Antisemitismusvorwürfe und die übrigen Israelunterstützer ihre Entrüstung über ungerechtfertigte Gleichbehandlung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch bei getrennter Stellung der Anträge abgesondert. Aber wenn man nur verlieren KANN, sollte man in Khans Situation wenigstens das juristisch Richtige tun.

    • @Normalo:

      Man kann davon ausgehen, dass die gesammelten Daten und Zeugenaussagen für beide Anklagen relevant waren. Daher, doch es gibt einen prozesstechnischen Grund.

    • @Normalo:

      Ihr Vorwurf: "Gleichzeitigkeit" sei nicht zu erklären, Haftbefehle gegen Hamas hätten "sofort" beantragt werden müssen...



      ...ist doch selbst nicht haltbar:



      Erstens sind die Tatvorwürfe zum Teil nahezu gleich alt, zweitens muss doch ausreichendes Beweismaterial gesammelt werden. Der Chefankläger stützt sich, drittens, ja nicht auf bloße Mutmaßung.

  • Es geht schon um die Hamas-Riege und um Netanyahu & Gallant. Nicht auf anderes ablenken lassen, so oft solche Spin-Tricks auch laufen.



    Es geht um jeweils eigene, völkerrechtliche Vorwürfe, die aufgeklärt gehören.

  • Die westlichen Einmischungen und Kommentare sind langsam unerträglich. Es kann nicht sein, dass Recht und Werte nur dann gelten, wenn es darum geht, Islamisten, Terroristen oder Langzeitautokraten zu verurteilen. Wenn Israel Menschenrechte verletzt, muss das genauso geahndet werden, wie wenn Hamas das tut. Dass diese Gleichzeitigkeit jetzt als Problem gesehen wird, ist mir unklar. Monate lang haben wir gelernt, dass es ein Fehler ist, Israel zu kritisieren, ohne gleichzeitig die Hamas Gräuel zu erwähnen. Seit dieser Woche wissen wir, dass es eine unsägliche Gleichsetzung ist, Israel zu kritisieren, wenn gleichzeitig die Hamas kritisiert wird. Stellt sich die Frage: Wann darf Israel kritisiert werden und wie? Unter welchen Umständen wäre es okay, dass Khan den Haftbefehl beantragt?

  • Khan hätte den Haftbefehl für Sinwar nach dem 7. Oktober beantragen können. Hat er aber nicht. Er hat gewartet, bis er genug für Netanyahu zu haben glaubte. Schon damit Khan hat den IStGH beschädigt und Netanyahu den Hals gerettet. Der wäre sonst nach dem Krieg weggewesen. Das könnte auch zu einer militärischen Eskalation führen. Im Unterschied zu den Palästinenser können die Israelis nämlich noch gewaltig eskalieren, egal, ob die Unterstützung aus den USA oder Deutschland wegbricht oder nicht.

  • "Vier Monate lang trugen sie Beweismittel für seinen Antrag zusammen."

    Er hätte die Haftbefehle gegen die Anführer der Kämpfer der Gaza-Hamas-palästinensischen Seite somit bereits spätestens im Februar ausstellen können. Weshalb die Gleichzeitigkeit und damit den Eindruck erwecken, die beteiligten Angreifer mit den beteiligten Verteidigern gleichzusetzen?

  • (1) Beantragt. Quasi Ausfluss der Gewaltenteilung am IStGH. a) Staatsanwaltschaft beantragt, b) Richter entschieden über Antrag. Das Ganze befindet sich derzeit in Phase a)

    (2) a) und dann positive oder negative Entscheidung in b) sind natürlich komplett unterschiedlich, was die Rechtsfolgen betrifft.

    Wobei a) ja nicht vom Himmel gefallen und Kahn nicht sozusagen 'auf der Brennsuppn dahergeschwommen' ist, sondern er ja (siehe Artikel) ein anerkannter Fachmann auf seinem Gebiet ist. Es ist also anzunehmen, dass a) schon auf gut begründeter Faktenlage erfolgt ist.

    Daher - und aufgrund der Tatsache, dass die Anträge zu den Hamas-Terrorchefs und Netanjahu und Gallant zeitgleich erfolgten - gründet sich auch das starke Medienecho (und die politischen Kommentare).

  • (1) Beantragt. Quasi Ausfluss der Gewaltenteilung am IStGH. a) Staatsanwaltschaft beantragt, b) Richter entschieden über Antrag. Das Ganze befindet sich derzeit in Phase a)

    (2) a) und dann positive oder negative Entscheidung in b) sind natürlich komplett unterschiedlich, was die Rechtsfolgen betrifft.

    Wobei a) ja nicht vom Himmel gefallen und Kahn nicht sozusagen 'auf der Brennsuppn dahergeschwommen' ist, sondern er ja (siehe Artikel) ein anerkannter Fachmann auf seinem Gebiet ist. Es ist also anzunehmen, dass a) schon auf gut begründeter Faktenlage erfolgt ist.

    Daher - und aufgrund der Tatsache, dass die Anträge zu den Hamas-Terrorchefs und Netanjahu und Gallant zeitgleich erfolgten - gründet sich auch das starke Medienecho (und die politischen Kommentare).

  • Unbestechlichkeit und Beharrlichkeit, das wird er eher verkörpern, keine smarte Diplomatie.



    Außerdem wird er seine Unabhängigkeit als Ermittler in der Amtsführung unter Beweis stellen wollen.

  • Dass es jetzt ad personam Khan gehen wird, ist klar.



    Netanyahu zieht ungute Register. Auch rhetorisch: statt sich israelintern wie nach außen einmal inhaltlich zu verantworten, baut er aus wohl allein persönlichen Motiven eine Wagenburg mit allen Vergleichen, die er zusammenkratzen kann. Über sein Verhalten nachdenken wünsche ich ihm eher - wie der Hamasführung im übrigen auch dringend.

  • Sagen wir mal so, er hat bewusst zwei ganz unterschiedliche Dimensionen und Vorwürfe in einen direkten zeitlichen und personalen Zusammenhang gebracht, ohne den Kontext zu klären. Da er wohl nicht naiv ist, wird er sich über die Wucht der klarstellenden Widerworte nicht können. Genau das hat er, aus was für Gründen auch immer gewollt.

  • Das Traurigste daran: all jene, die vollmundig von einer "regelbasierten Weltordnung" faseln setzen den Vorschlaghammer an, wenn sie ihnen nicht passt.

    Solidarität mit Israel ja, immer, unbedingt, aber man muss nicht jeden Mist mitmachen, den eine offensichtlich ausser kontrolle geratene Regierung macht.

    Ich weine um die vielen Israelis, die das Töten von 35000 Palästinenser*innen (die meisten von ihnen unschuldig) ablehnen.

    Khan tut das richtige.

  • "Am Montag forderte Khan den Strafgerichtshof dazu auf, Haftbefehle gegen... zu erlassen"

    Einmal zum Verständnis, wurde Haftbefehl erlassen oder wurde das nur beantragt? Ist das ein juristischer Unterschied oder ist es das selbe?



    Die Berichterstattung (in den gesamten Medien) dazu ist widersprüchlich.



    Kann die TAZ das einmal erklären?

    • @nutzer:

      Er wurde nur beantragt. Sollten Medien da Anderes behaupten, wäre das schlicht falsch Der Ankläger könnte keine Haftbefehle erlassen, selbst wenn er wollte.

      Ich habe schon Fachkommentare gehört, nach denen es Monate dauern kann, bis der Gerichtshof über den tatsächlichen Erlass der Haftbefehle entscheidet. WENN er es tut, folgt er aber wohl meist dem Antrag des Chefanklägers. Khan hat somit schon eine Menge - und Alles aus seiner Sicht überhaupt Machbare - getan, um internationale Haftbefehle zu erwirken. Vielleicht war das gemeint.

      • @Normalo:

        Danke!



        Ich würde nicht sagen, dass Medien aktiv etwas falsch behaupten, aber die Schlagzeilen sind eben stark verkürzt und erwecken den Eindruck, es gäbe bereits einen Haftbefehl.



        Das wird auch das sein, was im Allgemeinen bei den Menschen hängenbleibt....denke ich.

    • @nutzer:

      Klar; ein Staatsanwalt beantragt den Haftbefehl beim Gericht. Das Gericht erläßt ihn dann - oder auch nicht.

    • @nutzer:

      Ohne Jurist zu sein, scheint mir hier der Int. Strafgerichtshof, nicht bereits die Staatsanwaltschaft dazu befugt zu sein.