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Populismus statt ArgumentationDie wichtigste Frage wurde nicht gestellt

Ulrich Gutmair
Kommentar von Ulrich Gutmair

Das TV-Duell zwischen den Kanzlerkandidaten Olaf Scholz und Friedrich Merz war keine Debatte. Sondern ein Überbietungs­wettbewerb.

Wahlkampf ohne Antworten auf wichtige Fragen: Merz und Scholz beim TV-Duell Foto: imago

D as war also nun das große Duell zwischen Bundeskanzler Olaf Scholz und Kanzlerkandidat Friedrich Merz. Das bringt uns zur Frage: Welchen Sinn hat das?

Für die von Politik und Medien gerade im Wahlkampf noch häufiger beschworenen „Menschen“ da draußen im Lande, die wissen wollen, was die beiden Herren vorhaben, hat es keinen. Das Ganze fand auf zwei Kanälen gleichzeitig statt, damit sowohl ARD und ZDF in ihrer Wichtigkeit bestätigt werden.

Die Presse hat den Ausgang des Duells unterschiedlich bewertet. Die einen fanden, Scholz habe gewonnen, die anderen fanden die Merz’sche Performance besser. Der Focus fand Merz erwartungsgemäß super, Scholz aber arrogant und „durchwegs erschreckend blass“. Letzteres gelte auch für eine der beiden Moderatorinnen: „Frau Maischberger von der ARD leider auch.“

Dass sowohl Sandra Maischberger als auch Maybrit Illner in einer entscheidenden Frage ihren journalistischen Auftrag nicht erfüllten, war dagegen fast nirgends Thema. Das Stück, das Friedrich Merz vor zwei Wochen im Bundestag inszenierte, beruht auf der Prämisse, dass wir uns in einer Situation befinden, die einem Notstand nahekommt. Anlass waren die schrecklichen Mordanschläge von Magdeburg und Aschaffenburg.

Selbstredend muss darüber gesprochen und gestritten werden, wie man sich vor solchen Taten schützen kann. Im Duell machten es sich Scholz und Merz aber wieder einfach.

Der eine gab den Abschiebekanzler von heute, der andere den Abschottungskanzler von morgen. Es wäre die Aufgabe von Maischberger und Illner gewesen, die beiden Herren zu fragen, ob irgendeine der Maßnahmen in ihrem Überbietungswettbewerb Taten wie in Magdeburg oder Aschaffenburg in Zukunft verhindern wird. Sie stellten diese Frage nicht. Die Verliererin des Duells ist die aufgeklärte, an Vernunft und Argument orientierte Debattenkultur dieses Landes.

Der Populismus regiert auf allen Kanälen.

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Ulrich Gutmair
Kulturredakteur
Kulturredakteur der taz. Hat Geschichte und Publizistik studiert. Aktuelles Buch: "'Wir sind die Türken von morgen'. Neue Welle, neues Deutschland". (Tropen/Klett-Cotta 2023).
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15 Kommentare

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  • Ich rotz TV. Einfach, aber nicht billig. Die Gebühren schmerzen, mir ist nicht zum Scherzen. Bla Bla - Einschlaf-TV, mit etwas Entrüstung und Brüstung. Was solls, Leben geht weiter.

  • Allein der Fakt, dass dieses "Duell" überhaupt stattfand ist Zeichen genug, dass es da nur um Zuschauerquoten ging. Ein angeblich unabhängiges Medium wie der öffentliche Rundfunk sollte entweder keine Politiker innen während des Wahlkampfs einladen, oder alle--sprich, auch Mitglieder der kleinen Parteien--um eine möglichst gerechte Berichterstattung zu gewährleisten.

  • Sehr richtig, genau das find ich auch die letzen zwei Wochen kaum zum Aushalten: keine einzige der wütend vorgeschlagenen, diskutierten Maßnahmen zielt darauf, solche schreckliche Taten wie in A- und M-burg unwahrscheinlicher zu machen. Ganz im Gegenteil: die (weitere!) Unterbindung von Familiennachzug zb wird noch mehr junge Männer in hoffnungs- und perspektivloser Erstaufnahmen-Unterbringung in den Wahnsinn treiben. Natürlich gibt es üble Gestalten, die wir, wenn wir sie identifizieren könnten, gar nicht erst ins Land lassen sollten, aber die meisten Gewalttäter und Amokläufer produzieren wir selber.

  • Danke für diesen Kommentar kurz und knapp auf den Punkt.

    Meiner war an diesem Abend nämlich auch: Weshalb akzeptieren gleich zwei Moderatorinnen die normalisierte schwarze, rassistische Emotionspoesie - besonders theatralisch von Herrn Merz vorgetragen -



    wonach ein Mensch, der nicht anderes verbrochen hat als an einer Grenze von Obrigkeit als "illegal", von Bürokratie als "ohne legale Papiere" markiert ist,



    gleichzusetzen ist mit psychopathischen Mörder, Massenmörder, Amokfahrer, Vergewaltiger , Messerstecher.

    Denn das ist ja nun die vollends normalisierte Erzählung, für die man nicht einmal der Volksverhetzung im Diskurs geziehen wird. Geschweige denn in einem Strafverfahren.

  • die öffentlich-rechtlichen sender machen diesen zirkus voll mit. gehen sogar noch weiter, + unterstützen in 1 kommentar (tagesschau) das verhalten von merz neulich im bundestag, wo er sich von der afd unterstützen ließ.



    was hätten solche tv duelle außer show je gebracht?



    leider zahlen wir für diese der union sehr zugeneigten sender unsere gez-gebühren. wir zahlen also für die verbreitung von weiteren verdummungen. + können uns nicht dagegen wehren.

  • Bei aller Tragik der Ereignisse in Magdeburg und Aschaffenburg, wird man ähnliche Anschläge auch in Zukunft nicht verhindern können, dafür gibt es dann auch rein statistisch zu viel Menschen die auch psychische Probleme haben, die nicht erkannt und behandelt werden.



    Aber sind dass unsere Hauptprobleme in naher und ferner Zukunft?



    Haben wir sonst nichts, was uns Sorgen bereiten sollte.

  • Das frage ich mich von Anfang an.

    Komplexe Probleme (psychische Erkrankungen, Migration, Traumatisierung durch Nato-Kriege) mit einer einzigen Maßnahme (Grenze schließen) zu "lösen", funktioniert meist nicht.

    Und dringende Strukturprobleme des Landes und soziale Verwerfungen wie einen Wildwest-Wohnungsmarkt schon mal gar nicht.

  • Die TAZ beauftragt den 'Kulturredakteur Ulrich Gutmair' mit der Kommentierung eines Wahlkampfes. Versteht das Blatt das als kulturellen Beitrag? Sollen die Leser das etwa als 'kulturell' auffassen? Er zeugt von keinem politischen Verständnis.

    • @Renger Götz Wilhelm:

      Die Kommentierung des TV-Duells ist Herrn Gutmair dennoch sehr gelungen. Obwohl (oder vermutlich sogar weil) er Kulturredakteur ist.

    • @Renger Götz Wilhelm:

      So weit daneben liegt Herr Gutmair doch gar nicht.

  • "Sie stellten diese Frage nicht."



    Die Antwort wäre doch vorhersehbar: Nein, aber die Wahrscheinlichkeit würde reduziert.



    Daher ist das nicht die entscheidene Frage. Weil weder das Konstrukt, noch die Daten dahinter angegangen werden müssten.

    • @fly:

      Ganz genau. Mit dieser Argumentation könnte man nämlich z.B. auch schärfere Waffengesetze nach Massenschießereien verweigern - denn auch diese "verhindern ja Taten wie diese in Zukunft nicht".

      Ich glaube nicht, das ein solches Format geeignet ist, diese Grundsatzdebatte zu führen. Die Bevölkerung ist mit großer Mehrheit der Ansicht, dass die derzeitige Flüchtlingspolitik zu liberal ist. Diese Ansicht scheinen beide Kandidaten zu teilen, denn beide wollen Verschärfungen. Unter diesen Bedingungen scheint mir die grundsätzliche Frage: "Wollen wir nicht vielleicht doch lieber die Politik so beibehalten, wie sie ist, oder sie gar weiter liberalisieren" nicht sinnvoll, weil sie doch bloß dazu führen würde, dass sich beide Kandidaten gegenseitig zustimmen und viele Leute wieder stinkig auf den ÖRR sind.

      • @Agarack:

        Ihre "these" zeigt warum das politische – sprich: die sich wechselseitig bedingende praxis der artikulation und aushandlung gesellschaftlicher konflikte und interessenlagen – aus der sozialen wirklichkeit verschwindet, sobald prozesse der demokratischen willensbildung zugunsten einer unvermittelten übersetzung des jeweils situativ gegeben, diskursiv konditionierten und im übrigen sehr volatilen mehrheitswillens des volkes in unmittelbares ordnungspolitisches handeln aufgegeben werden. das recht des stärkeren würde alle anderen schwächen und nahezu jedes feld des gesellschaftlichen daseins wäre einer langfristig orientierten und tatsächlich nachhaltigen politischen bearbeitung entzogen. gruselige vorstellung.

  • "Der eine gab den Abschiebekanzler von heute, der andere den Abschottungskanzler von morgen"



    Hervorragende Zusammenfassung in einem Satz.



    Der Kurs von Scholz ist dennoch fragwürdig - der Umschwung in den letzten Monaten sein Profil als Abschiebekanzler, sozusagen 'Merz light' geht bisher überhaupt nicht auf, null Zugewinn für die SPD🤷‍♂️



    Da bewahrheitet sich einmal mehr, im Zweifel wählen die Menschen das Original.



    Scholz führt keinen SPD Wahlkampf, ob mangels Programm oder Fähigkeit muss jeder selbst entscheiden. Die Idee als moderater Abschieber in Kombination mit Amtsbonus Punkte zu sammeln ist jedenfalls gründlich gescheitert - bin gespannt wer die GroKo Verhandlungen auf Seiten der SPD führt - Scholz wohl kaum

  • Eigentlich war die ganze Veranstaltung einlullender Populismus. Eigentlich brauchen wir nur ein paar Stellschrauben drehen und alles kann weitergehen wie bisher. Wird weder bei Migration, Sozialsystemen, Wirtschaft usw. funktionieren, was alle wissen. Mut und Zuversicht. des 3. im Bunde reichen ohne Konzept eben auch nicht aus. Wer notwendige Veränderung will kann sein Kreuz eigentlich nur bei FDP oder der Linken machen.