Polizei nennt häufiger die Nationalität: Es kippt
Redaktionen weichen in Sachen Herkunftsnennung bei Straftätern kontinuierlich die Standards auf. Und die Polizeipressestellen machen mit.
Eine Nachricht über eine Straftat kommt typischerweise wie folgt zustande. Erstens: Jemand begeht die Straftat. Körperverletzung, Diebstahl, Raub, Einbruch, vielleicht Tötung. Schritt zwei: Die Polizei ermittelt und gibt eine Pressemitteilung heraus. Darin macht sie in der Regel Angaben zu den Tatverdächtigen. Schritt drei: Ein journalistisches Medium nimmt die Pressemitteilung auf, prüft sie (hoffentlich) und macht daraus eine Nachricht.
Die Informationspolitik ist also beim Berichten über Straftaten stets ein Zusammenspiel von Polizeipressestellen und Redaktionen. Die zeigen gern aufeinander bei der Frage, wer denn nun verantwortlich ist für den sensiblen Umgang mit den personenbezogenen Daten mutmaßlicher Straftäter*innen.
Schulterzucken bei den Redaktionen: Stand halt schwarz auf weiß in der Polizeimeldung, kann man also getrost nach Haus tragen. Sofern man die Meldung nicht sowieso unbesehen von einer Software veröffentlichen lässt, wie focus.de.
Augenrollen derweil bei der Polizei: Diese Journis rufen ständig an und wollen den Stammbaum irgendwelcher Einbrecher bis hin zur Uroma. So etwa berichtet es jedenfalls der Münchner Polizeisprecher Marcus da Gloria Martins – ja, genau, das war Mister Besonnenes Vorgehen beim Anschlag in München 2016.
Problem-Crowd „2015-Geflüchtete“
Da Gloria Martins sagt der FAZ im Interview am Montag, seine Pressestelle erhalte fast täglich Nachfragen zur Herkunft von mutmaßlichen Tätern. „Und selbst wenn man immer die Nationalität nennt: Dann ist die Diskussion noch lange nicht befriedet, denn auch das reicht manchen nicht, wenn es um Deutsche mit Migrationshintergrund geht.“ Ähnliche Anekdoten erzählte kürzlich bei einem Pressetermin auch der Berliner Polizeisprecher.
Bis vor nicht all zu langer Zeit gab es eine einfache Wenn-dann-Regel für die Herkunftsnennung. Wenn es einen Sachbezug gibt, also die Nationalität bei der Tat ins Gewicht fällt, dann erwähnt man sie. Sonst nicht. Das stand so im Pressekodex. Und daran hielt sich auch meist die Polizei. Das heißt natürlich nicht, dass die Polizei davon absah, entsprechende Daten zu erheben und gegebenenfalls damit Racial Profiling zu betreiben. Aber immerhin konnte die lesende Bevölkerung sicher sein, dass sie in der Zeitung nur Infos von Relevanz lesen und nicht Kategorien, die einzig die allgemeine Neugier befriedigen.
Das ist inzwischen anders. Die Kölner Silvesternacht 2015 kam und damit die bürgerlichen Vertuschungstheorien. Die Sächsische Zeitung begann, die Täterherkunft immer zu nennen. Der Presserat änderte den Kodex.
Und nun ziehen die Polizeipressestellen nach. München nennt die Nationalität von Tatverdächtigen zwar nicht grundsätzlich, aber bei Verdächtigen, die „seit 2015 im Zuge der großen Flüchtlingsbewegung nach München gekommen sind“, schon, wie Sprecher da Gloria Martins in der FAZ preisgibt. Die Polizeibehörden in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen wollen künftig die Herkunft immer nennen, wie sie letzte Woche bekannt gaben. In Hamburg war das sogar schon vor Silvester 2015 der Fall.
Die Polizei gibt nach
Bisher war es so, dass zumindest die Polizei übereifrige Redaktionen davor bewahrt hat, mit unnötigen und stigmatisierenden Herkunftsbezeichnungen um sich zu werfen. Das kippt nun. Obwohl Studien zeigen, dass die Herkunftsnennung nichts mit Transparenz zu tun hat, sondern dass verzerrend wirkt.
Plötzlich sind Redaktionen und Pressestellen nicht mehr die, die relevante Informationen von den irrelevanten trennen, sondern die, die beweisen möchten, dass sie „nichts unterschlagen“. Denn über allem schwebt dräuend der „interessierte Bürger“, der nun mal wissen will, wo alle Leute herkommen, die mutmaßlich straffällig geworden sind.
Dieses „öffentliche Interesse“ hat mittlerweile im Pressekodex den „Sachbezug“ ersetzt. Es wird von Redaktionen wie der Sächsischen Zeitung begründend beschworen – und von Polizeisprecher da Gloria Martins. „Das Interesse kommt aus der Mitte der Gesellschaft, das können wir nicht ignorieren“, sagt der. Die FAZ-Interviewerin setzt noch einen drauf und fragt, ob sich denn „der Bürger, der etwas über die Straffälligkeit von allen nichtdeutschen Personen in München erfahren will“, auch in der Polizeistatistik informieren kann.
Wenn dieser Bürger maßgeblich den Diskurs in der Einwanderungsgesellschaft bestimmt, dann hat das Konsequenzen. Ganz sicher jedenfalls für alle, die seit 2015 nach Deutschland geflohen sind und hier gerne mehr wären als Teil einer Problemcrowd. Und möglicherweise auch für den „interessierten Bürger“, der irgendwann selber nicht mehr wissen wird, ob sein „begründetes Interesse“ nicht einfach nur das niedere Bedürfnis ist, seine Vorurteile bestätigt zu sehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Kommen jetzt die stahlharten Zeiten?
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“