Politische Kunstaktion gegen Björn Höcke: Wohnen mit Aussicht
In Bornhagen, wo der AfD-Politiker nun auf ein Miniatur-Holocaustmahnmal blickt, ist den Künstlern der Mietvertrag gekündigt worden.
Hier zu wohnen heißt leben an der Deutschen Märchenstraße und auch gleich noch an der Wurststraße. Einen kleinen Fleischerladen leistet sich der Ort im hackepeterfreundlichen Eichsfeld und ein Dorfgemeinschaftshaus. Die nahe gelegene Burg Hanstein ist ein touristischer Anziehungspunkt.
Am vergangenen Mittwochmorgen nun soll Höcke „perplex, nachdenklich und grübelnd“ aus seinem Fenster geschaut haben. So berichten es drei Vertreter des Zentrums für Politische Schönheit (ZPS), die sich im Januar unauffällig im unterhalb des Hauses liegenden Nachbarhaus eingemietet hatten. In knapp hundert Meter Entfernung erblickte Björn Höcke im Garten seines Nachbarhauses 24 Betonstelen, die an die Blöcke des Berliner Holocaustmahnmals erinnern. Dieses hatte Höcke im Januar 2017 im Dresdner Ballhaus Watzke als „Denkmal der Schande“ bezeichnet.
Der Garten mit den Stelen ist von der Straßenseite aus nicht einsehbar, nur von Höckes Haus. Die „Aufstellung von Skulpturen“ sei mit dem Vermieter abgesprochen gewesen, berichtet Morius Enden, der wie viele ZPS-Freunde die „Asche der verbrannten Hoffnung Deutschlands“ wie eine Kriegsbemalung auf den Wangen trägt. Sooft man in der nur provisorisch eingerichteten Wohnung anwesend war, habe man sich mit Nachbarn und anderen Mietern ganz gut verstanden. Bis auf einen notorischen „Böhse Onkelz“-Hörer. „Wir sind ja auch ganz sympathische Menschen“, sagt die ebenfalls schwarz bemalte Jenni Molé lächelnd.
Terroristendenkmal
Die Aufstellung der täuschend echt aussehenden Blöcke aus Theaterbeton begann erst am 18. November unter schützenden Bauzelten. Zugleich startete auf der ZPS-Seite eine Crowdfundingkampagne, die mit knapp 100.000 Euro bereits ein Mehrfaches der entstandenen Kosten eingebracht hat. Nach der Enthüllung der auf relativ engem Raum stehenden Pappmascheeblöcke sei noch am frühen Vormittag ein „Pöbeltrupp“ eingetroffen, berichten die drei ZPS-Mieter. Einige Einwohner waren darunter, aber vor allem herbeigerufene Autoinsassen mit AfD-Jacken und einem Schild, die sich zuerst auf Höckes Grundstück versammelten.
Bei dem dann folgenden Handgemenge hätten sie kurzzeitig Angst gehabt, dass diese Truppe auch Wohnung und Garten stürmen wollte, berichten die Angegriffenen. Offenbar hätten die AfDler zunächst gar nicht verstanden, worum es geht, sie hielten die Blöcke für so genannte Nizza-Sperren und damit für ein Terroristendenkmal.
Wie ist die Aktion zu verstehen? Das fragen sich auch Besucher, die in den Garten vorgelassen werden. Denn das Ganze hat zwei Seiten. Dass es um Höckes Attacken auf den „Schuldkult“ geht, ahnt ein älterer Herr noch. Was die seit Januar laufende heimliche Observation des Höcke-Grundstücks angeht, hat er starke Bedenken. Mit dem, was der Spähtrupp des „Zivilgesellschaftlichen Verfassungsschutzes Thüringen“ zusammengetragen hat, wird Höcke nämlich erpresst. Er solle am Mahnmal niederknien und so „die deutsche Geschichte anerkennen“. Oder – so die Drohung – es werde öffentlich gemacht, „was Höcke so am ‚Führergeburtstag‘, dem 20. April, gemacht hat“, bekräftigt Morius Enden.
Deshalb ermittelt die Polizei in Nordhausen nun in beide Richtungen. Wegen Stalking gegen das ZPS, aber auch gegen eine „AfD-Totenkopfstandarte“, die den Provokateuren mit Erschießung gedroht haben soll. Weil sie sich nicht mehr sicher fühlten, schlossen die ZPS-VertreterInnen am Freitagnachmittag das Haus. Eigentlich war noch eine Beschallungsaktion geplant, bei der Anrufe auf das Höcke-Grundstück übertragen werden sollten.
Den Diskurs befördern
„Schlimmer als Stasi-Methoden“, kommentiert ein Bornhagener und bezieht sich damit auf eine ähnlich lautende Äußerung des Thüringer Landtagspräsidenten Christian Carius (CDU). Das katholische Eichsfeld, aus dem auch Thüringens früherer Ministerpräsident Dieter Althaus stammt, erweist sich auf der Straße als stockkonservativ. Von „Schwachsinn“ und „Kinderei“ ist die Rede. „Schade ums Geld – das sollten sie lieber den Armen geben, die liegen doch auch in Berlin nur zehn Meter von diesen Sauklötzen entfernt“, erregt sich ein mit der Verschönerung seines Hauses beschäftigter Mann. „Die sollen den Höcke in Ruhe lassen, er hat doch nichts getan!“, fügt ein Nachbar hinzu.
Das sehen die drei ZPS-Leute ganz anders, die sich als Künstler betrachten und keinesfalls als „Aktivisten“ bezeichnet werden wollen. Ihnen geht es vor allem darum, der AfD die Tarnung wegzureißen, zu zeigen, wer Höcke wirklich ist. Gerade jetzt, wo die Partei salonfähig zu werden scheint. Sogar die Landtagsfraktion hatte im Zusammenhang mit dem Parteiausschlussverfahren gegen Höcke per Gutachten feststellen lassen, dass er unter dem Pseudonym Landolf Ladig für eine NPD-Zeitung geschrieben hatte.
Eigentlich wollen die Künstler gar nicht weiter spalten, sondern den Diskurs befördern und „mit Menschen in Kontakt treten“. „Was uns alle eint, ist das Grundgesetz, das wir als das Heiligste ansehen“, wird Morius Ender geradezu pathetisch. Das können viele angesichts der Methoden nicht nachvollziehen, auch der Vermieter nicht, der nun zum Jahresende Wohnung und Garten gekündigt hat.
Die arabischen Bewohner zweier Häuser, die seit zwei Jahren im Dorf leben und friedlich akzeptiert werden, sind die einzigen Bornhagener, die nichts mitbekommen haben. „Wir sind immer zu Hause“, sagt der einzige Deutsch sprechende Junge, bevor eine Frau die Haustür zuschlägt.
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