piwik no script img

PolitikerInnen-KarrierenParteiloyale Konformität

Kommentar von Gunnar Hinck

Die Biografien jüngerer PolitikerInnen werden immer gleichförmiger. Das ist schädlich für die Demokratie und den Parlamentarismus.

SPD-Vize Kevin Kühnert mit ParteichefInnen Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken Foto: Jens Jeske

D er Wirbel um Annalena Baerbocks aufgehübschten Lebenslauf hat sich verzogen. Sollten keine neuen Überraschungen auftauchen, wird sich die Öffentlichkeit nicht mehr dafür interessieren, ob und wo sie als Büroleiterin gearbeitet hat und ob sie Vordiplom, ein Jodeldiplom oder einen Bachelor hat.

Dafür wurde mit Baerbocks Vita ein Typ Lebenslauf ausgeleuchtet, der in der breiten Öffentlichkeit eher unbekannt ist, jedoch mittlerweile zu einer Standardversion von Biografien jüngerer PolitikerInnen geworden ist. Man muss inzwischen sorgfältig nach denen suchen, die je einen anderen Beruf außerhalb der Politik ausgeübt haben. Die Landeslisten der Parteien für die Bundestagswahl, die größtenteils beschlossen sind, bestätigen den Trend.

Die typische NachwuchspolitikerInnen-Vita vom Typ Baerbock geht so: Man studiert Politikwissenschaft oder seltener, weil aufreibender und risikoreicher, Jura. Nach einem frühen Eintritt in die Partei engagiert sich der ambitionierte Nachwuchs im Ortsverband, lässt sich in lokale Parteiämter wählen.

Manche sitzen kurze Zeit später im Kommunalparlament. Es folgen, oft schon während des Studiums, einige Jahre als Mitarbeiter eines Abgeordneten. Dieser Job ist die entscheidende Karrierestation. Hier lernen sie, wie Politik in der Praxis funktioniert und können sich vom Chef oder der Chefin die Methoden und auch die Tricks abschauen, die man beherrschen muss, um in der eigenen Partei voranzukommen.

Politik wird verstanden als Aneinanderreihung von Spiegelstrich-Forderungen, die in Gesetze gegossen werden

Genauso wichtig ist eine entscheidende Ressource für den politischen Nachwuchs, der in anderen Berufen fehlt: Zeit und Gelegenheit. Eine Kleinunternehmerin kann nicht einfach eine Stunde von der eigenen Arbeitszeit abzwacken, um die abendliche Ortsverbandsitzung vorzubereiten, ein Fließbandarbeiter kann den Schichtleiter nicht bitten, mal eben das Band anzuhalten, weil er am Telefon Stimmen für seinen Antrag im Ortsverein organisieren muss.

Der Abgeordnetenmitarbeiter kann das alles tun, und der eigene Chef drückt meist ein Auge zu: Man ist Mitglied in derselben Partei, oft sitzt man in denselben Parteigremien, wenn man aus der gleichen Region stammt.

Innerhalb des Politikbetriebs wird die Gleichförmigkeit von Nachwuchsbiografien eher achselzuckend hingenommen. Politik sei eben immer komplizierter geworden, heißt es, die oft kleinteiligen Fallstricke könnten nur diejenigen beherrschen, die schon vorher in eine Art Lehre bei einem Berufspolitiker gegangen sind. Dabei ist die Tendenz, dass die Politik ihren Nachwuchs zunehmend aus sich selbst heraus rekrutiert, kein Naturgesetz, sondern wurde kräftig gefördert durch immer günstigere Rahmenbedingungen.

Die Mitarbeiterpauschale für einen Bundestagsabgeordneten hat sich in den vergangenen 15 Jahren verdoppelt. In den meisten Bundesländern ist die Tendenz ähnlich. Ein Parlamentarier kann daher mehr Personal einstellen als früher. Inzwischen dienen die Fraktionen de facto als Trainee-Stelle für den Parteiennachwuchs, obwohl sie finanziell und rechtlich doch getrennt von den Parteien sind.

Für das reibungslose Funktionieren der Politikmaschinerie mag es dienlich sein, wenn NachwuchspolitikerInnen das Handwerk bereits gelernt haben, für die Demokratie ist es aber schädlich, aus drei Gründen. Politik lebt erstens existentiell davon, dass verschiedene Lebenserfahrungen bei ihr einfließen.

Eine ehemalige Krankenpflegerin hätte im Bundestag schon vor Jahren auf die dramatische Lage in der Pflege aufmerksam machen können. Der Typus des Intel­lektuellen wiederum – eine ebenfalls rare Spezies in den Parlamenten – könnte auf die Widersprüche von gut gemeinten Gesetzesvorhaben hinweisen, die oftmals unbeabsichtigte Nebenwirkungen oder neue Ungerechtigkeiten nach sich ziehen.

Zweitens eint den Standardkarriere-Nachwuchs eine hohe Neigung zur Konformität. Als Abgeordnetenmitarbeiter geht es darum, still und effizient zuzuarbeiten; feurige Ideen werden von ihnen nicht erwartet. Sie haben gelernt, die Erwartungen der Partei zu antizipieren, in der Partei heikle Themen meiden sie vorbeugend.

Die parteiloyale Konformität, mit der sie sozialisiert wurden, erstickt Originalität und Gedankenfreiheit. Und weil ihnen das Sicherheitsnetz einer Berufsausbildung fehlt, steigert sich die Konformität mit den Jahren. Je älter sie werden, desto schwieriger ist ein Neustart in einem anderen Beruf, wenn sie in der Politik scheitern sollten.

Also geht es ihnen darum, eine Legislaturperiode ohne größere Blessuren zu überstehen, um für die nächste Wahl einen aussichtsreichen Listenplatz zu bekommen. Schließlich eint den Politiknachwuchs neuen Typs ein technokratisches Verständnis von Politik. Politik wird verstanden als Aneinanderreihung von Spiegelstrich-Forderungen, die in Gesetze gegossen werden sollen. Je mehr Gesetze oder „Projekte“ die eigene Fraktion umgesetzt hat, desto höher wird der Erfolg bemessen. Was oft fehlt, sind übergeordnete Leitideen von gesellschaftlichen Zielen jenseits der gerade angesagten Parteifloskeln.

Was tun? So leicht werden sich die Rekrutierungsmechanismen nicht ändern lassen. Beispiel SPD und Linkspartei: Gerade weil die beiden Parteien wegen schrumpfender Wahlergebnisse immer weniger Mandate zu verteilen haben, hat sich bei ihnen das Prinzip closed shop durchgesetzt. Die weniger werdenden Mandate werden unter denen verteilt, die bereits Teil des Apparats sind.

Die optimistische Wendung ist: Irgendwann wird der Handlungsdruck so stark sein, dass die Parteien ihre Personalpolitik überdenken. Denn die Beispiele Linkspartei und SPD zeigen eindrücklich: Entkoppelt sich eine Partei personell zu stark von den sozialen Milieus, die sie einst stark machten, bekommen sie an der Wahlurne die Rechnung dafür präsentiert.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

ist Redakteur im taz-Ressort Meinung.
Mehr zum Thema

7 Kommentare

 / 
  • Das ist eine Seite der Medaille. Die andere geht so: Kommunalpolitiker*innen - übrigens alles Ehrenamt - kriegen keine Jobs in bestimmten Bereichen, weil sie (partei-)politisch gebunden und so auch mehr oder weniger in der Öffentlichkeit wahrnehmbar sind. Dann bleibt oft nur der Parteijob bei einer/einem Abgeordneten. Immerhin bringen sie dann jede Menge Berufserfahrung aus der Zeit von vor der Kommunalpolitik mit.

  • Leider wahr, der Artikel. Früher war es die Stärke der Bündnis-Grünen, Quereinsteigende zu haben. Heute geht es von der Grünen Jugend direkt zur Karriere, wie schon immer bei der Union.



    Mitmachen bei den Parteien und die Stromlinienmenschen respektvoll herauskegeln: wie wär's?

  • Wir bräuchten auch bei Bundestagswahlen ein Wahlsystem, bei dem einzelne Kandidaten gewählt werden, kumuliert und panaschiert werden kann und nicht feste Listen nach Loyalität, Proporz und Quote aufgestellt werden. Ich glaube, dass wir dann viel mehr Abgeordnete und Minister hätten, die auch das Leben außerhalb des Politikbetriebs kennen und dass sie unabhängiger wären, weil ihre Karriere mehr vom Wähler als von Parteifunktionären abhängig wäre. Aber darüber entscheiden genau diejenigen, die daran kein Interesse haben, weil ihre Karriere wie bei Frau Baerbock nicht auf Erfahrung, Ideen und Können fußt, sondern auf Loyalität, Proporz und Quote. Nur wird man halt so auch nicht gewählt. Laschet und Scholz haben immerhin schon Wählen gewonnen.

  • Was ich besonders vermisse sind echte, langfristige Überzeugungen. Bis auf wenige Originale (Ströbele war so einer) hat man den Eindruck, dass die eigene Überzeugung nur zu leicht über den Haufen geworfen wird, sobald der nächste Trend durchs Land rollt.

    Ein Hans-Jochen Vogel oder ein Johannes Rau hätten sich als überzeugte Christen und als moralische Instanz nie selbst verbogen nur um vielleicht ein paar Wählerstimmen mehr zu bekommen.

    Die jungen deutschen Berufspolitiker haben ihr ständige Angepasstheit (leider) aus Amerika abgeschaut, wo ja ebenfalls Kandidaten je nach Stimmung in der Bevölkerung Positionen ständig neu justieren. Ich wünsche mir das Gegenteil: nämlich Menschen, die wissen, wofür sie stehen und die auch aus Überzeugung in die Opposition (und auch in die APO) gehen, wenn es sein muss.

  • Was manche kurz mit



    Kreißsaal, Hörsaal, Plenarsaal



    zusammenfassen, wird hier noch einmal ausführlich erklärt.

    Der Werdegang von Leuten wie der Annalena und dem Jens.



    Und was Herr Spahn so als Gesundheitsminister leistet, durften / mussten wir uns ja jetzt knapp ein Jahr ansehen.



    Was dann eine Kanzlerin Bärbock so alles wuppt, da kann man gespannt drauf sein.



    Die beiden anderen Kanzlerinnennachfolgekandidaten, waren vorher als Anwalt tätig (Olaf Scholz) bzw. Journalist und Lehrer an Hochschule. (Armin Laschet)



    Und ob die beiden nun wirklich den Job des Regierungschefs besser hinbekommen würden, kann bezweifelt werden.



    Vielleicht sollte man ein Arbeiter- und Bauernparlament...



    Hier breche ich lieber ab.

  • Diese Beobachtung lässt sich auch als Argument für mehr direkte Demokratie verwenden.

  • Schöne und sehr treffende Analyse.



    Man könnte noch ergänzen, daß alle geplanten Initiativen zur Änderung des Wahlrechts den verhängnisvollen Trend zum "closed shop" noch verstärken würden.



    Ursprünglich sollen genausoviele direkt gewählte Abgeordnete wie Listenabgeordnete im Bundestag sein. Durch die vielen Ausgleichsmandate für Überhangmandate hat sich dieses Verhältnis zugunsten der Listenkandidaten verschoben. Das Problem wollen ja manche dadurch lösen, daß sie die Zahl der Wahlkreise verringern.



    Direkt gewählte Abgeordnete agieren unabhängiger. Prominente Beispiele wie Ströbele wurden von Listenparteitage regelmäßig abgestraft, konnten aber die Wähler - oft mit Wahlkämpfen gegen die eigene Partei - überzeugen.



    Und die Wähler im Wahlkreis können oft mit den strippenziehenden Parteisoldaten auf den Listen nichts anfangen, die bevorzugen Menschen, die auch außerhalb der Politik etwas erreicht haben.