PolitikerInnen-Karrieren: Parteiloyale Konformität
Die Biografien jüngerer PolitikerInnen werden immer gleichförmiger. Das ist schädlich für die Demokratie und den Parlamentarismus.
D er Wirbel um Annalena Baerbocks aufgehübschten Lebenslauf hat sich verzogen. Sollten keine neuen Überraschungen auftauchen, wird sich die Öffentlichkeit nicht mehr dafür interessieren, ob und wo sie als Büroleiterin gearbeitet hat und ob sie Vordiplom, ein Jodeldiplom oder einen Bachelor hat.
Dafür wurde mit Baerbocks Vita ein Typ Lebenslauf ausgeleuchtet, der in der breiten Öffentlichkeit eher unbekannt ist, jedoch mittlerweile zu einer Standardversion von Biografien jüngerer PolitikerInnen geworden ist. Man muss inzwischen sorgfältig nach denen suchen, die je einen anderen Beruf außerhalb der Politik ausgeübt haben. Die Landeslisten der Parteien für die Bundestagswahl, die größtenteils beschlossen sind, bestätigen den Trend.
Die typische NachwuchspolitikerInnen-Vita vom Typ Baerbock geht so: Man studiert Politikwissenschaft oder seltener, weil aufreibender und risikoreicher, Jura. Nach einem frühen Eintritt in die Partei engagiert sich der ambitionierte Nachwuchs im Ortsverband, lässt sich in lokale Parteiämter wählen.
Manche sitzen kurze Zeit später im Kommunalparlament. Es folgen, oft schon während des Studiums, einige Jahre als Mitarbeiter eines Abgeordneten. Dieser Job ist die entscheidende Karrierestation. Hier lernen sie, wie Politik in der Praxis funktioniert und können sich vom Chef oder der Chefin die Methoden und auch die Tricks abschauen, die man beherrschen muss, um in der eigenen Partei voranzukommen.
Genauso wichtig ist eine entscheidende Ressource für den politischen Nachwuchs, der in anderen Berufen fehlt: Zeit und Gelegenheit. Eine Kleinunternehmerin kann nicht einfach eine Stunde von der eigenen Arbeitszeit abzwacken, um die abendliche Ortsverbandsitzung vorzubereiten, ein Fließbandarbeiter kann den Schichtleiter nicht bitten, mal eben das Band anzuhalten, weil er am Telefon Stimmen für seinen Antrag im Ortsverein organisieren muss.
Der Abgeordnetenmitarbeiter kann das alles tun, und der eigene Chef drückt meist ein Auge zu: Man ist Mitglied in derselben Partei, oft sitzt man in denselben Parteigremien, wenn man aus der gleichen Region stammt.
Innerhalb des Politikbetriebs wird die Gleichförmigkeit von Nachwuchsbiografien eher achselzuckend hingenommen. Politik sei eben immer komplizierter geworden, heißt es, die oft kleinteiligen Fallstricke könnten nur diejenigen beherrschen, die schon vorher in eine Art Lehre bei einem Berufspolitiker gegangen sind. Dabei ist die Tendenz, dass die Politik ihren Nachwuchs zunehmend aus sich selbst heraus rekrutiert, kein Naturgesetz, sondern wurde kräftig gefördert durch immer günstigere Rahmenbedingungen.
Die Mitarbeiterpauschale für einen Bundestagsabgeordneten hat sich in den vergangenen 15 Jahren verdoppelt. In den meisten Bundesländern ist die Tendenz ähnlich. Ein Parlamentarier kann daher mehr Personal einstellen als früher. Inzwischen dienen die Fraktionen de facto als Trainee-Stelle für den Parteiennachwuchs, obwohl sie finanziell und rechtlich doch getrennt von den Parteien sind.
Für das reibungslose Funktionieren der Politikmaschinerie mag es dienlich sein, wenn NachwuchspolitikerInnen das Handwerk bereits gelernt haben, für die Demokratie ist es aber schädlich, aus drei Gründen. Politik lebt erstens existentiell davon, dass verschiedene Lebenserfahrungen bei ihr einfließen.
Eine ehemalige Krankenpflegerin hätte im Bundestag schon vor Jahren auf die dramatische Lage in der Pflege aufmerksam machen können. Der Typus des Intellektuellen wiederum – eine ebenfalls rare Spezies in den Parlamenten – könnte auf die Widersprüche von gut gemeinten Gesetzesvorhaben hinweisen, die oftmals unbeabsichtigte Nebenwirkungen oder neue Ungerechtigkeiten nach sich ziehen.
Zweitens eint den Standardkarriere-Nachwuchs eine hohe Neigung zur Konformität. Als Abgeordnetenmitarbeiter geht es darum, still und effizient zuzuarbeiten; feurige Ideen werden von ihnen nicht erwartet. Sie haben gelernt, die Erwartungen der Partei zu antizipieren, in der Partei heikle Themen meiden sie vorbeugend.
Die parteiloyale Konformität, mit der sie sozialisiert wurden, erstickt Originalität und Gedankenfreiheit. Und weil ihnen das Sicherheitsnetz einer Berufsausbildung fehlt, steigert sich die Konformität mit den Jahren. Je älter sie werden, desto schwieriger ist ein Neustart in einem anderen Beruf, wenn sie in der Politik scheitern sollten.
Also geht es ihnen darum, eine Legislaturperiode ohne größere Blessuren zu überstehen, um für die nächste Wahl einen aussichtsreichen Listenplatz zu bekommen. Schließlich eint den Politiknachwuchs neuen Typs ein technokratisches Verständnis von Politik. Politik wird verstanden als Aneinanderreihung von Spiegelstrich-Forderungen, die in Gesetze gegossen werden sollen. Je mehr Gesetze oder „Projekte“ die eigene Fraktion umgesetzt hat, desto höher wird der Erfolg bemessen. Was oft fehlt, sind übergeordnete Leitideen von gesellschaftlichen Zielen jenseits der gerade angesagten Parteifloskeln.
Was tun? So leicht werden sich die Rekrutierungsmechanismen nicht ändern lassen. Beispiel SPD und Linkspartei: Gerade weil die beiden Parteien wegen schrumpfender Wahlergebnisse immer weniger Mandate zu verteilen haben, hat sich bei ihnen das Prinzip closed shop durchgesetzt. Die weniger werdenden Mandate werden unter denen verteilt, die bereits Teil des Apparats sind.
Die optimistische Wendung ist: Irgendwann wird der Handlungsdruck so stark sein, dass die Parteien ihre Personalpolitik überdenken. Denn die Beispiele Linkspartei und SPD zeigen eindrücklich: Entkoppelt sich eine Partei personell zu stark von den sozialen Milieus, die sie einst stark machten, bekommen sie an der Wahlurne die Rechnung dafür präsentiert.
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