Politik und Krisen: Auf Konfuzius hören

Politik handelt oft kurzsichtig. Denn: Wir nehmen Alltagssorgen ernster als Menschheitsbedrohungen. Das ist in China nicht anders als in Deutschland.

Ein offener Güterzug mit Kohle fährt auf einem Gleis

Jetzt werden wieder Kohlekraftwerke reaktiviert (Archivbild) Foto: Peter Endig / dpa

„Stellt einer keine weitreichenden Überlegungen an, wird er Sorgen direkt unter seiner Nase bekommen“, schrieb vor rund 2.600 Jahren Konfuzius. Recht hatte der Alte, denke ich in diesen Tagen, wenn ich tagein, tagaus Menschen in Deutschland über den Ukrainekrieg reden höre, über den Mangel an russischem Gas, über die Hitze, die so viele Menschen in Mitteleuropa zwar gar nicht so sehr überrascht, aber doch auf dem falschen Fuß zu erwischen scheint: Haben sie nicht schon lange über die Erderwärmung gesprochen, darüber, was diese Erwärmung heißen könnte? Ja, und sie tun es immer noch. Der Punkt aber ist: Allein reden und sich Gedanken machen tut es nicht, noch lange nicht.

Tatsächlich: Hätten – insbesondere deutsche – Politiker seit 2014, als Russland die Krim annektiert hat, Schluss gemacht mit dem frommen Wunsch, über Gasgeschäfte Putin zu einer geopolitischen Zurückhaltung bewegen zu können, hätten sie viel früher erkannt, was es bedeutet, osteuropäische Sorgen viel ernster zu nehmen, hätten sie allein daran gedacht, ihre Landesverteidigung substanziell zu verstärken, damit wenigstens genügend Waffen brauchbar bleiben und genügend Munition lieferbar ist – was für eine Situation hätten wir heute?

Würden wir uns in einem so hitzigen Sommer Sorgen machen müssen, ob uns in einigen Monaten, also im kommenden Winter, noch bezahlbares Heizen zur Verfügung steht? Und so weiter. Da nützen saloppe Sprüche wie „Hätte, hätte, Fahrradkette“ nicht mehr, denn so einfach abzutun sind die Sorgen nicht mehr, die uns als Bürgern einer Demokratie täglich unter den Nägeln brennen.

Mir ist bewusst, dass „weitreichende Überlegungen anzustellen“, um Probleme „direkt unter der Nase“ zu vermeiden, eine komplexe Sache ist, selbst in einer Demokratie, wo freie Diskussionen, selbst sehr unangenehme Gedanken erlaubt sind, wenn nicht sogar gefördert werden: Kohlebergbau wiederzubeleben, die Laufzeit von Atommeilern zu verlängern, um den kalten Winter in einigen Monaten besser zu überbrücken, das sind bezeichnende Beispiele dafür.

Wir nehmen unsere alltäglichen Sorgen ernster als diejenigen, die erst in einigen Jahren die Menschheit so sehr bedrohen werden, dass die Gefahr nicht nur unter den Nägeln, sondern auf unserer Haut brennt. Die Rekordhitzewellen in Mitteleuropa zeigen, was uns in der Zukunft noch blühen wird.

Lieber Lockdown als westlicher Impfstoff

Ein anderes Beispiel aus einer nicht freien Gesellschaft: Seit drei Jahren ist in China eine Diskussion über eine mögliche Unwirksamkeit der eigenen Impfstoffe tabu, die Diskussion über den Import wirksamer Impfstoffe aus dem Westen ein Affront wider den Patriotismus, bis der Lockdown der Megacity Shanghai in diesem Jahr allen vor Augen führte, was es heißt, für den Mangel an wirksamem Schutz durch Impfung den Preis zu bezahlen, jederzeit unter Hausarrest gestellt zu werden, vom Arbeitsloswerden und dem Verlust der Lebensgrundlage für Familien ganz zu schweigen.

Freilich: „Weitreichende Überlegungen“ bedeuten auch geografische. Als ich vor einigen Tagen mit einem aus meiner deutschen Familie darüber sprach, dass Japan angesichts steigenden geopolitischen Drucks von China und Russland kurz davor steht, seine Friedensverfassung zu ändern, winkte er zuerst ab, mit dem schlagfertigen Argument: „Ach, das ist weit weg. Haben wir nicht genügend Probleme im Haus?“ Ja. „Aber“, sagte ich, „was kommt auf uns zu, wenn China und Russland aufgrund eines kriegsbereiten Hightech-Lands wie Japan ihrerseits das Wettrüsten massiv beschleunigen, ihre Nukleararsenale ausweiten, noch mehr Raketen modernisieren?“ „Oh, du lieber Himmel!“

Dann schwieg er.

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