Pläne zur Krankenhausreform: Die versprochene Revolution

Der Bundesgesundheitsminister will die Finanzierung der Krankenhäuser reformieren. Was soll sich ändern?

Ein Krankenhausbett

Wieder mehr Platz für gute Behandlung? Ein leeres Krankenhausbett Foto: Berthold Steinhilber/laif

BERLIN taz | Bei der Vorstellung der Krankenhausreform spart niemand mit starken Worten. „Es brennt lichterloh“, sagt Tom Bschor, Leiter der Expert:innenkommission, die den Vorschlag erarbeitet hat. Kommissionsmitglied Christian Karagiannidis spricht vom letztmöglichen Zeitpunkt, den Tanker Krankenhausversorgung vorm Kentern rumzureißen. „Ich wünsche mir sehr, dass dieser Tag zur Zäsur wird“, so der Intensivmediziner. Und Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), der die Reform durchsetzen will, spricht von nicht weniger als einer Revolution.

Nach sieben Monaten Entwurfsarbeit hat die 17-köpfige Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung am Dienstag den Vorschlag für ein neues Vergütungssystem vorgelegt, das das bisherige System der Fallpauschalen in den Krankenhäusern ersetzen soll. Dessen Reform wird schon seit Jahren gefordert.

Das System der Fallpauschalen gibt es in vielen Ländern, Deutschland hatte es sich vor 20 Jahren von Australien abgeguckt. Aber niemand hat es so gründlich durchgezogen wie die Deutschen. Dabei hatten schon bei der Einführung Ex­per­t:in­nen gemahnt, wie gefährlich eine rein leistungsbezogene Vergütung von Krankenhausleistungen sei. Aber die Hoffnung, dass dadurch unnütz lange Liegedauern und steigende Kosten (es wurde bis dahin vor allem nach Behandlungstagen vergütet) eingedämmt werden, überwog wohl.

In Deutschland werden seit 2004 nahezu alle Krankenhausleistungen über Fallgruppen abgerechnet. Das heißt, die Vergütung richtet sich fast ausschließlich nach der Diagnose; die tatsächliche Behandlungsdauer und der Personalaufwand spielen nahezu keine Rolle. Spätestens vor 10 Jahren wurde deutlich, welche fatalen Fehlanreize dieses System setzt: Krankenhäuser verdienten vor allem mit gut vergüteten Spezialbehandlungen wie Hüft- oder Knieprothesen und wenn sie es schafften, die Menschen nach der OP so schnell wie möglich wieder aus dem Krankenhaus rauszubekommen. Weniger spezialisierte Behandlungen mit langen Liegedauern (etwa ein akuter Atemwegsinfekt, bei dem der Patient vor allem überwacht werden muss) wurden zum Minusgeschäft.

Kliniken kämpfen ums Überleben

In der Folge kämpften vor allem kleine Kliniken der Grundversorgung ums Überleben und boten Spezialleistungen an, für die sie niemals die gleiche Expertise aufweisen konnten wie erfahrene Behandlungszentren – Beispiel Krebsbehandlung. Private In­ves­to­r:in­nen verdienten viel Geld damit, Kliniken auf viele Pa­ti­en­t:in­nen mit teuren Behandlungen und kurzen Liegedauern zu trimmen. Ärz­t:in­nen bekamen Bonuszahlungen für mehr Fälle. Älteren Pa­ti­en­t:in­nen wurden kurz vor Lebensende noch teure Eingriffe zugemutet. Und nach dem Leistungsprinzip der Fallpauschalen unrentable Bereiche wie die Begleitung vaginaler Geburten oder fast die gesamte Kinder- und Jugendmedizin rauschten auf den Abgrund zu.

Daran konnten auch die hilflos wirkenden Versuche nichts ändern, durch immer mehr Fallgruppen das System irgendwie gerechter zu machen. Die Fallpauschalen wurden zum Synonym für eine Krankenhausversorgung, die sich vor allem an den Kosten orientierte und nicht am Wohl der Patient:innen.

Eine Reform stand für 2020 schon einmal auf der politischen Agenda. Doch dann kam die Pandemie, in der das Krankenhaussystem nur noch mit rasch zusammengeschnürten Ausgleichsfinanzierungen am Leben gehalten werden konnte. Hätte man nicht schon die Kosten der Pflege aus den Fallpauschalen herausgelöst, wäre die Situation noch fataler, als sie ohnehin schon ist. Für die Geburtshilfe sowie Kinder- und Jugendmedizin verabschiedete der Bundestag in der vergangenen Woche ein Notprogramm zur zeitweisen Entlastung.

Aber jetzt, so verspricht es Lauterbach, kommt die große Reform. Eine „Überwindung der Fallpauschalen“.

Tatsächlich bleiben uns diese aber erhalten – sie sollen nach Vorstellungen der Ex­per­t:in­nen­kom­mis­si­on allerdings nur noch einen Teil der Vergütung bestimmen. „Ganz ohne Ökonomie ist es nicht zu machen“, sagt Karagiannidis. Er spricht lieber von einer „Weiterentwicklung der Fallpauschalen“.

Im Groben sieht der Entwurf vor, dass die Kliniken je nach Leistungsangebot mindestens 40 Prozent ihrer Kosten unabhängig davon finanziert bekommen, wie viele Pa­ti­en­t:in­nen sie behandeln. So soll es vor allem Kliniken auf dem Land und Bereichen wie der Geburtshilfe, Neonatologie und Kinder- und Jugendmedizin ermöglicht werden, eine Versorgung kosten­deckend bereitzustellen. Die hochspezialisierten Bereiche wie etwa Orthopädie oder Urologie würden zwar weiterhin überwiegend über Fallpauschalen finanziert, so Lauterbach.

Aber mit reiner Masse ließen sich keine zusätzlichen Gewinne mehr einfahren, verspricht er. Nicht mehr jede Klinik solle einen Gemischtwarenladen von Herz-OP bis Krebsbehandlung anbieten können. Spezialeingriffe sollten nur noch ausgewählte Kliniken anbieten, die bestimmte Mindestanforderungen erfüllen. Außerdem soll die strikte Trennung zwischen stationärer und ambulanter Behandlung aufgehoben werden, indem niedergelassene Ärz­t:in­nen zum Beispiel Betten in Behandlungszentren buchen können.

Für die Patient:innen, so versprechen es Lauterbach und die Expert:innenkommission, würde das bedeuten: den Erhalt der wohnortnahen Grundversorgung und mehr Qualität bei Spezialbehandlungen. Für die Beschäftigten würden sich die Arbeitsbedingungen verbessern, weil in einem weniger ökonomisierten Umfeld die Arbeit mehr Spaß mache und auch in bisher unrentablen Bereichen besser vergütet werde. Für private In­ves­to­r:in­nen könnte die Reform bedeuten, dass sich keine fetten Gewinne mehr im Krankenhaussystem machen ließen und sich manche von ihnen zurückziehen. Sie sei sich trotzdem sicher, dass „die Krankenhäuser darauf gewartet haben“, sagt Kommissionmitglied Irmtraud Gürkan, stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende der Berliner Charité.

Reform soll nicht mehr kosten

Bleibt noch die Frage nach dem Geld. 85 Milliarden Euro geben die Krankenkassen jährlich für die Krankenhausversorgung aus und kämpfen ihrerseits bereits mit einem Milliardendefizit. Mehr kosten darf die Reform nicht, sagt Kommissionsleiter Bschor, die Gesamtsumme bleibe gleich. Letztlich gehe es darum, eine Überversorgung in bestimmten Bereichen abzubauen und eine Unterversorgung in anderen Bereichen zu beseitigen. Wenn wir mehr Geld im Gesundheitswesen brauchen, ergänzt Lauterbach, dann, weil die Medizin besser und teuer werde und weil die geburtenstarken Jahrgänge die Pa­ti­en­t:in­nen von morgen seien.

Klar ist: Die Reform betrifft nur die Betriebskosten der Krankenhäuser. Das Problem, dass die Bundesländer viel zu wenig von den Investitionskosten der Krankenhäuser finanzieren, bleibe bestehen, so Lauterbach.

Und klar ist auch: Der Vorschlag muss erst noch in einen Gesetzentwurf gegossen werden, den Bundestag und Bundesrat passieren und soll dann in einem Übergangszeitraum von 5 Jahren schrittweise eingeführt werden. Die akute Krise, die jetzt vor allem die Krankenhausversorgung der Kinder gefährdet und in der 40 Prozent aller Krankenhäuser insolvenzgefährdet sind, bleibt davon unberührt.

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