Plädoyer im Prozess zu Polizeigewalt: Tödliche Schüsse, geringe Strafforderung
Im Prozess um den von der Polizei erschossenen Geflüchteten Mouhamed Dramé in Dortmund fordert die Staatsanwaltschaft Freisprüche. Mit einer Ausnahme.

Bei den weiteren vier Angeklagten, darunter auch der Todesschütze Fabian S., plädierten Oberstaatsanwalt Carsten Dombert und Staatsanwältin Gülkiz Yazir vor dem Landgericht Dortmund dagegen für Freisprüche. Zwar sei unstrittig, dass Fabian S. Dramé getötet und seine drei Kolleg:innen gefährliche Körperverletzung begangen hätten. Dabei seien sie aber einem sogenannten Erlaubnistatbestandsirrtum erlegen.
Alle vier Beamt:innen hätten auf dem Höhepunkt des katastrophal ausgegangenen Polizeieinsatzes fälschlicherweise vermutet, von dem erst 16 Jahre alten Geflüchteten angegriffen zu werden – und hätten deshalb angenommen, sich in Notwehr verteidigen zu dürften, so die Argumentation der Ankläger:innen.
Verantwortlich dafür sei aber allein die Einsatzplanung ihres Vorgesetzten Thorsten H., der Mouhamed Dramé am 8. August 2022 zusammen mit elf weiteren Beamt:innen eigentlich zur Hilfe kommen sollte. An diesem Montag hockte der Geflüchtete aus dem Senegal im Hof einer Jugendhilfeeinrichtung in der Dortmunder Nordstadt, hielt sich ein Messer gegen den Bauch. Bei Dramé bestand Verdacht auf Suizidgefahr – erst am Tag zuvor war er deshalb in einer Klinik in Behandlung. Betreuer:innen sprachen ihn an, doch der Jugendliche reagierte nicht. Um 16.22 Uhr wählten sie deshalb den Notruf der Polizei.
Fataler Pfeffersprayeinsatz
Was danach passiert – gut dokumentiert durch den bis zu den Todesschüssen weiterlaufenden und aufgezeichneten Notruf und die Funksprüche der Polizist:innen untereinander –, schilderte Oberstaatsanwalt Dombert noch einmal in aller Ausführlichkeit. Einsatzleiter H. beschloss, Mouhamed Dramé ausgerechnet durch den massiven Einsatz von Pfefferspray am befürchteten Suizid zu hindern. Der sollte dazu gebracht werden, sich an die Augen zu fassen und dafür das Messer fallen zu lassen, so die Idee dahinter.
Doch die scheitert katastrophal. Mit dem Messer in der Hand versuchte Dramé, dem Reizgas auszuweichen – und lief auf die nur wenige Meter entfernten Polizist:innen zu. Die fühlten sich tödlich bedroht, beschossen ihn zunächst mit Elektroschockern – und nur 0,771 Sekunden später dann auch mit einer Maschinenpistole vom Typ MP5. Sechs Schüsse trafen seinen Oberkörper. Sein Tod wurde um 18.02 Uhr festgestellt.
Alternativen wie etwa den Einsatz von Psycholog:innen habe Einsatzleiter Thorsten H. nie erwogen, erklärte Oberstaatsanwalt Dombert. Zumindest er als Vorgesetzter sei deshalb zu bestrafen. Der Prozess, der seit Dezember 2023 läuft, wird am Mittwoch fortgesetzt. Ein Urteil soll am 12. Dezember verkündet werden.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Trump macht Selenskyj für Andauern des Kriegs verantwortlich
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?
Emotionen und politische Realität
Raus aus dem postfaktischen Regieren!