Petition der Woche: Windeln wiegen schwer
In einer Gemeinde nahe Bergisch-Gladbach werden die Mülltonnen gewogen. Für junge Eltern und Pflegende ist das problematisch.
Wenige Kilometer von Bergisch-Gladbach entfernt stinkt es dieser Tage gewaltig. Eine jahrelang vor sich hin gärende Diskussion schwappt über den Landkreis hinaus. Der Grund: In der Gemeinde Kürten werden Mülltonnen gewogen. Je leichter der Müll ist, desto weniger muss der Haushalt bezahlen, so die nachhaltige Idee.
Derzeit zahlen alle eine Personengebühr von 13,30 Euro pro Jahr. Für jedes Kilo Restmüll werden 50 Cent addiert, pro Kilogramm Bioabfall 24 Cent. Dieser Preis nach Verbrauch soll dazu führen, dass die Bürger weniger Müll verursachen. Immerhin ist Deutschland Müll-Europameister: mit einem jährlichen Verpackungsmüll von durchschnittlich 212,5 Kilogramm pro Kopf.
Vor Ort in Kürten lässt sich der Spareffekt beobachten. „Man achtet schon sehr darauf, weniger Müll zu hinterlassen“, sagt Bianca Brochhaus-Engels, die in Kürten lebt. Doch so unterstützenswert die Idee ist, so sehr ärgert sie sich über die Umsetzung. „Das ist einfach nicht gerecht. Es besteht ein Ungleichgewicht. Familien mit Kindern oder Pflegebedürftigen werden viel stärker belastet.“
Denn was viele nicht bedenken: Volle Windeln wiegen viel, fallen jeden Tag aufs Neue an und belasten das Müllkonto. Für Brochaus-Engels, die ein kleines Baby hat, ist das ein Ärgernis. Um den in der Nachbarschaft lange diskutierten Müll-Aufstand zu kanalisieren, hat die Kürtenerin deshalb eine Petition gestartet. Sie soll der finanziellen Belastung etwa von Eltern ein Ende bereiten und den absurden Auswirkungen der Regelung entgegenwirken.
Um dem Mülldiktat zu entgehen, sind die Kürtener kreativ. „Viele fahren ihren Abfall ganz rebellisch zu Bekannten in Nachbargemeinschaften. Dort wird die Tonne nicht gewogen“, sagt Brochaus-Engels. Ein Nachbarort von Kürten ist gar zu einer Müll-Enklave geworden. Dort hat die Stadtverwaltung Windelcontainer aufgestellt. Die Folge: Nun pilgern auch die Kürtener mit ihrem Abfall an die Sammelstelle. „Jetzt gibt es dort tatsächlich Polizeikontrollen“, sagt Brochhaus-Engels. Auch sie fährt gelegentlich zu ihrer Mutter, um die schweren Windeln in der Nachbargemeinde zu entsorgen. Damit ist auch sie ein Teil des Mülltourismus.
Selbst die ansässigen Tagespflegeeinrichtungen haben reagiert. Am Ende eines Tages bekommen die Patienten einen Sack mit ihrem Müll ausgehändigt. Entsorgt werden muss dieser zu Hause. „Auch den Trägern steigen die Kosten über Kopf“, sagt Brochhaus-Engels. Ein Ausweg, den immer mehr Kürtener erwägen, ist die illegale Müllentsorgung. Viele werfen ihren Müll in den nahegelegenen Wald. Auch die Wiese von Brochhaus-Engels ist betroffen. „Immer wieder sammelt sich der Abfall auf unserem Grundstück. Darunter oft Speisereste, die Ratten anziehen. Das kann doch keine Lösung sein.“
Der Vertrag mit dem Entsorger läuft noch drei Jahre. „Das Wiegen ist das gerechteste Prinzip“ zitiert der Kölner Stadtanzeiger Bürgermeister Willi Heider. Allerdings gebe es Härtefälle, die viel Last tragen müssten. Um die Last loszuwerden und Alternativen zu suchen, hat Brochhaus-Engels ihren Aufruf gestartet. 705 Menschen haben ihn bisher unterzeichnet – darunter 650 Bürger aus Kürten. Der Windel-Widerstand nimmt konkrete Formen an.
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