Personalnotstand in Krankenhäusern: Sie dringen nicht durch
Schon wieder beklagen Krankenhäuser Personalnotstand, die Lage ist kritisch. Es ist nicht das erste Mal, dass ihre Mahnungen verhallen.
Abgesagte Operationen und ein eingeschränkter Betrieb auf den Intensivstationen. Die Nachricht haben Sie sicher schon mal gehört. Vor ein paar Monaten oder im Winter 2020. Der Personalstand in den Krankenhäusern hat sich seitdem aber nicht verbessert. Im Gegenteil: Dieses Jahr stehen 2.000 weniger Intensivbetten zur Verfügung, reihenweise Personal fällt wegen Corona aus. Die Situation in den deutschen Krankenhäusern ist derzeit kritisch. Schon wieder.
Und das alles vor dem „schwierigen Herbst“, den Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) seit Wochen auf jeder nur möglichen Plattform vorhersagt. „Die Pandemie wird leider nicht in die Sommerpause gehen“, sagte Lauterbach noch vergangenen Donnerstag im Bundestag.
Auf seinem Twitter-Account kündigte er an, dass er während der parlamentarischen Sommerpause auf seinen Urlaub verzichten werde, um unter anderem am neuen Infektionsschutzgesetz zu arbeiten. Der Gesundheitsminister muss sich momentan gegen den Vorwurf verteidigen, dass dieser Tage eine „Durchseuchung durch die Hintertür“ stattfindet.
Weil die Coronatests seit Anfang Juli nicht mehr für alle kostenlos sind, würden viele Infizierte ihrer Erkrankung gar nicht auf den Grund gehen, so die Kritik. Auch eine strengere Maskenpflicht steht nicht auf der kurzfristigen Agenda – obwohl der Bericht der Sachverständigenkommission zu den bisherigen Maßnahmen in der Pandemie feststellt, dass sie effektiv schützen.
Wir hinken hinterher
Lauterbach bleibt bei seiner Kommunikationsstrategie, oft und gerne zu wiederholen, dass Deutschland schon auf den Herbst vorbereitet sein werde. Anschließend listet er die sieben Punkte seines Schutzmaßnahmenplans auf. Twitter-Nutzer*innen, die den SPD-Gesundheitsexperten einst begeistert anhimmelten, reagieren inzwischen vermehrt mit Häme und Kritik. „Zu spät“ liest man immer wieder. „Alles viel zu spät.“ Lauterbach mag heldenhaft auf seinen Urlaub verzichten. Einige Mitarbeiter*innen von Krankenhäusern sind nun aber in ihrem verdienten Sommerurlaub. Viele andere müssen sich aufgrund einer Coronainfektion isolieren.
Der Präsident des Intensivmediziner-Verbands DIVI, Gernot Marx, spricht von 736 Intensivstationen in Deutschland, die derzeit wegen Personalmangels im eingeschränkten Betrieb arbeiten. Diese müssten gerade etwa doppelt so viele Covid-Patient*innen wie zur gleichen Zeit im vergangenen Jahr intensivmedizinisch behandeln – mit sehr viel weniger Betten. Die Situation sei, so Marx, gerade ähnlich wie sonst im Herbst oder Winter.
Das mag man kurz zur Kenntnis nehmen, aber Nachrichten zur Pandemie rangieren bei vielen Menschen gerade weit unter den Aufregerschlagzeilen zur Traumhochzeit Christian Lindners. Täglich grüßt das Murmeltier, Pandemie ist zum Alltag geworden. Überlastungen in den Krankenhäusern? Ja, andauernd, schlimm.
Linken-Chef Martin Schirdewan fordert Luftfilter für Schulen? Immer noch? Im Juli 2022? Wie absurd. Es verfängt das Gefühl, dass es wieder so ist wie immer: Wir hinken hinterher. Währenddessen ist die Pandemie im Supermarkt, bei Konzerten und teilweise selbst in ärztlichen Praxen augenscheinlich vorbei. Oder zumindest aufgrund fehlender Masken und keinerlei Abstandsregeln nicht mehr sichtbar. Voll okay, die Regeln sind Geschichte. Schön auch, dass man sich beim Anstoßen wieder anlächeln kann. Du willst einen Schluck von meinem Bier? Klar doch.
Die Pandemie ist nicht vorbei
Dass die Pandemie noch lange nicht zu Ende ist – beispielsweise für all die Menschen, die an Long Covid erkrankt sind oder solche, die sich wegen Vorerkrankungen weiterhin isolieren müssen – wollen viele Menschen schlichtweg nicht mehr wissen.
Gesundheitsminister Karl Lauterbach dringt mit den immer gleichen Warnungen schon längst nicht mehr durch. Doch hinter den Zahlen aus den Kliniken, die nicht mehr im Normalbetrieb arbeiten können, stecken vor Ort erschreckende Zustände, die nicht nur eine Mehrbelastung für das ohnehin schon überarbeitete Personal bedeuten.
Noch schlechtere Arbeitsbedingungen werden langfristig zu einem noch größeren Fachkräftemangel führen. Schon jetzt fehlen nach Einschätzung von Expert*innen etwa 80.000 Pfleger*innen. Das bedeutet eine schlechtere Gesundheitsversorgung insgesamt. All das steht hinter dieser erneuten Mahnung aus den Kliniken. Die Politik sollte sie nicht ein weiteres Mal verhallen lassen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Amnesty-Bericht zum Gazakrieg
Die deutsche Mitschuld
Wirbel um Schwangerschaftsabbruch
Abtreiben ist Menschenrecht
Hilfslieferungen für den Gazastreifen
Kriminelle Geschäfte mit dem Hunger
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Batteriefabrik in Schleswig-Holstein
„Der Standort ist und bleibt gut“
Nach Recherchen zum Klaasohm-Fest
Ab jetzt Party ohne Prügel