Patente auf Corona-Impfstoffe: Beraten durch Biontech
Impfstoff-Patente aufheben? Im Wahlkampf war Robert Habeck dafür, als Vizekanzler ist er dagegen. Überzeugt hat ihn Patentinhaber Biontech.
Genaugenommen ließ sich Habeck allerdings nur von einem Unternehmen beraten: Der Positionsänderung gingen mehrere Gespräche mit Vertreter*innen von Biontech voraus – der Mainzer Aktiengesellschaft also, die einen der wichtigsten Corona-Impfstoffe entwickelt hat und deren Profit ohne Patentschutz schrumpfen könnte. Das geht aus der Antwort des Wirtschaftsministeriums auf eine Anfrage der Linken-Abgeordneten Kathrin Vogler hervor.
Ein weiteres Gespräch führte Habeck demnach mit Katherine Tai, der Handelsbeauftragten der US-Regierung. Die USA und über 100 weitere Staaten werben für die Patentfreigabe; bei Habeck hatte Tai aber keinen Erfolg. Von unabhängigen Expert*innen oder Vertreter*innen von UNO und Entwicklungsländern ließ sich der Wirtschaftsminister nicht beraten.
„Für seine Meinungsbildung hat das Gespräch mit den Profiteuren der Pandemie ausgereicht, die Opfer interessieren ihn offenbar nicht“, sagt die Linken-Abgeordnete Vogler. Habecks „Engagement für die Interessen der Biontech-Aktionäre“ sei auch wirtschaftspolitisch kurzsichtig: „Wir können das Virus nur besiegen und künftige Lockdowns verhindern, wenn nicht nur die Reichen, sondern alle Menschen Zugang zu Impfstoff, Tests und Medikamenten erhalten“, so Vogler.
Enttäuscht hatte Habeck mit seiner Meinungsänderung auch Entwicklungs- und Menschenrechtsorganisationen, die sich eigentlich an der Seite der Grünen wähnten. 20 deutsche NGOs hatten Habeck Anfang Februar in einem offenen Brief gebeten, auch mit ihnen ins Gespräch zu gehen. Aus seinem Ministerium habe es darauf „gar keine Reaktion gegeben“, sagt Mareike Haase, Referentin für Gesundheitspolitik bei Brot für die Welt. Auch bei einer Kundgebung vor der Grünen-Zentrale habe sich niemand aus der Partei einer Diskussion gestellt.
Vizekanzler „nicht zuständig“
Ein Gespräch mit Habeck wird es wohl auch nicht mehr geben: Ein Sprecher des Vizekanzlers sagte der taz auf Anfrage, dass der Wirtschaftsminister nicht zuständig sei. Patente fielen in den Bereich von Justizminister Marco Buschmann (FDP).
Inhaltlich hatte Habeck seine Meinungsänderung im Januar damit begründet, dass die Produktion moderner mRNA-Impfstoffe zu komplex sei, um sie in Entwicklungsländern schnell umzusetzen. Zielführender seien Vereinbarungen mit den Konzernen: Diese sollten Impfstoffe zum Selbstkostenpreis an arme Länder abgeben. Biontech selbst hatte vergangene Woche angekündigt, eigens konstruierte Produktionscontainer in afrikanische Staaten zu liefern und dort in eigener Regie Impfstoffe herzustellen. Das ist ganz im Sinne des Koalitionsvertrags, der „freiwillige Produktionspartnerschaften“ statt Patentfreigaben vorsieht.
Der Nutzen ist aber zweifelhaft. „Die Produktion in den Containern wird wohl erst irgendwann in zwei Jahren starten und auch dann nur in sehr kleinen Mengen“, sagt Haase von Brot für die Welt. Faktisch werde die Impflücke zwischen armen und reichen Ländern so kaum geschlossen. Sie verweist auf eine Studie von Ärzte ohne Grenzen, derzufolge mehr als 120 Impfstoffproduzenten in Lateinamerika, Afrika und Asien dazu in der Lage wären, bei einer Patentfreigabe mRNA-Impfstoffe herzustellen – und das schneller als Biontech in seinen Containern.
Immerhin: In der Bundestagsfraktion der Grünen ist die Offenheit für solche Argumente größer als im Wirtschaftsministerium. Bei einer Anhörung im Gesundheitsausschuss war Haase letzte Woche als Sachverständige zum Thema zu Gast. Eingeladen hatte sie der Grünen-Abgeordnete Johannes Wagner.
Debbie Düring, entwicklungspolitische Sprecherin der Fraktionen, twitterte am Tag nach der Anhörung, dass die Bundesregierung freiwillige Technologietransfers unterstütze, weil die Patentfreigabe „für unsere Koalitionspartner ein no go war“. Diese freiwilligen Vereinbarungen seien auch wichtig, so Düring weiter. „Reicht aber nicht.“
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