Parteitag der Grünen: Ruhe oder Sturm

Vor ihrem Parteitag ab Donnerstag hadern viele Grüne mit der Politik der Ampelkoalition. Nach außen bleibt es ruhig, selbst beim linken Flügel.

Zwei Rednerpulte mit den Parteilogos der Grünen

Den Grünen macht ihr Bedeutungs­verlust zu schaffen Foto: Hans Christian Plambeck/laif

Als Luca Rosenheimer von der Idee eines offenen Briefes an die Parteispitze hört, ist ihm gleich klar: Da wird er mitmachen. Und dort den ganzen Unmut kundtun, der sich in den vergangenen Monaten angesammelt hat: Über die zahlreichen Zugeständnisse der Grünen in der Bundesregierung. Und die vielen Versuche, schwierige Kompromisse als Erfolg zu verkaufen. „Natürlich muss man in einer Koalition Kompromisse machen“, sagt Rosenheimer. „Aber hier werden immer wieder grüne Grundsatzbeschlüsse überschritten.“

Rosenheimer, 24, ist seit sechs Jahren bei den Grünen, bei der Landtagswahl in Bayern war er Direktkandidat im Landkreis Bamberg. „Offener Brief für wertegeleitete bündnisgrüne Politik und gelebte Basisdemokratie“ steht über dem zweieinhalbseitigen Schreiben an die Führungskräfte in der Partei, den Rosenheimer mitverfasst hat.

Am Donnerstag kommen die Grünen in Karlsruhe zu ihrem Parteitag zusammen. Der offene Brief ist kein Antrag auf dem dortigen Parteitag. Aber beeinflussen wollen die Ver­fas­se­r*in­nen die Debatte dort schon. Der Brief ist anderthalb Wochen alt, inzwischen haben bundesweit über tausend Mitglieder unterschrieben. Man kann sagen: Tausend von insgesamt 126.000 Mitgliedern, das ist nicht viel. Oder man sieht die Unterschriften als Indiz für Unruhe und Unmut an der Basis. Luca Rosenheimer sagt: „Viele in meinem Umfeld denken ähnlich wie ich.“

Jahrelang lief es für die Grünen gut. Die Umfragewerte stiegen, die gesellschaftliche Stimmung schien auf ihrer Seite zu sein, Klimapolitik in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Annalena Baerbock und Robert Habeck waren lange die beliebtesten Po­li­ti­ke­r*in­nen der Republik. Vor der Bundestagswahl plakatierten sie „Deutschland. Alles ist drin“, sogar eine grüne Kanzlerin schien möglich.

Ein schwieriges Jahr

Nun schauen die Grünen auf ein schwieriges Jahr zurück. Grüne werden im Wahlkampf angefeindet, Klimapolitik ist auf der Prioritätenliste der Deutschen nach hinten gerutscht und wieder scheinen die Grünen dafür verantwortlich zu sein. Ausgerechnet Habeck, der begnadete Kommunikator, hat mit einem schlecht gemachtem Heizungsgesetz die Steilvorlage für eine Gegenkampagne geliefert, die in großen Teilen der Bevölkerung verfing.

In Berlin und Hessen ist die Partei nach den Landtagswahlen – hier mit trotziger Grün-pur-Politik, dort mit viel Anpassungsfähigkeit an den konservativen Koalitionspartner – aus der Regierung geflogen.

Dazu: ständig Streit in der Ampel und viele Kröten, die die Grünen schlucken mussten. Vom Abbaggern des Dorfes Lützerath über die Abschaffung der Sektorziele beim Klimaschutz bis zur Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystem mit Lagern an den EU-Außengrenzen und einer Verschärfung der Abschiebegesetzgebung. Und jetzt kommt noch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts hinzu, das 60 Milliarden Euro aus dem Klima- und Transformationsfonds verschwinden lässt – und damit grüne Politik noch schwerer durchsetzbar macht.

Partei zeigt sich geschlossen

Und doch bleibt es bei den Grünen erstaunlich ruhig, selbst im linken Flügel. Die Grüne Jugend formuliert zwar ihre Kritik wie immer scharf. Aber darüber hinaus? Bleibt der offene Brief eine Ausnahme. Die Geschlossenheit der Partei sei eine „große politische Stärke, gerade wenn es Gegenwind gibt“, sagt Grünen-Chefin Ricarda Lang, selbst eine Parteilinke.

Aber warum ist das so, trotz all der Zumutungen?

Portrait von Luca Rosenheimer

Luca Rosenheimer Foto: Thomas Ochs

Wer versucht, dies zu ergründen, trifft auf Abgeordnete, die den Tränen nahe sind. Die darüber nachdenken, im Bundestag Gesetzentwürfen der Ampel nicht zuzustimmen oder kurzzeitig sogar erwägen, ihre Fraktion gleich ganz zu verlassen. Der stößt auf Politiker*innen, die von einer „Entfremdung mit ihrer Partei“ sprechen, von „Schmerzgrenze“ oder „Identitätskrise“. Viele dieser Gespräche sind nur im Hintergrund möglich, zitieren darf man aus ihnen nicht. In der Bundestagsfraktion wird intern heftig diskutiert, nach außen dringt davon wenig. In den Ländern ist es ähnlich.

Setzt man all das wie ein Puzzle zusammen, entsteht das Bild einer nervösen Partei. Die unruhig und auch ratlos auf die gesellschaftliche Stimmung blickt, die Anfeindungen, die Rhetorik der Union – und vor allem auf die hohen Umfrageergebnisse für die AfD. Eine Partei, die keine Antwort darauf findet. Und die große Sorge hat, die Lage weiter zu verschlimmern.

Jürgen Trittin, Urgestein des linken Flügels, ist keiner, der sich nicht zitieren lässt. Er hat in unterschiedlichen Funktionen schon viele Phasen der Grünen durchlebt, jetzt ist er außenpolitischer Sprecher der Fraktion. Trittin sagt es so: „Die entscheidende Frage ist doch: Wenn die Gesellschaft nach rechts rutscht, kann man dem dann in der Regierung oder in der Opposition besser entgegenwirken? Bis weit in den linken Flügel hinein sind wir der Ansicht, dass es dann klüger ist zu regieren – auch trotz schmerzlicher Kompromisse.“ Was wohl heißt: Die muss man dann eben aushalten.

Erik Marquardt ist Flüchtlingsexperte seiner Partei im Europäischen Parlament, davor beteiligte er sich an Seenotrettungsaktionen im Mittelmeer. „Die Grünen sind ja nicht die Bösen in der Debatte“, sagt er. „Wir können mehr durchsetzen, wenn wir geschlossen sind.“ Und mehr gegen den Rechtsruck tun.

Das heißt nicht, dass Marquardt keine Kritik am Kurs der Grünen hat, im Gegenteil. Und wenn er es für nötig hält, teilt er auch gegen Parteifreunde aus wie jüngst gegen Baden-Württembergs Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann. Als der sich gemeinsam mit den Ministerpräsidenten der unionsgeführten Bundesländer für eine Prüfung von Asylverfahren in Drittstaaten aussprach, attestierte Marquardt ihm im Tagesspiegel eine „gefährliche Desorientierung“.

Kein Konjunkturprogramm für die AfD
Wolfgang Schroeder, Politologe

„Die Grünen sind in der Defensive, das verunsichert sie stark“

Einer, der die Grünen seit langem von außen beobachtet, ist der Politikwissenschaftler Wolfgang Schroe­der. „Die Grünen sind in der Defensive, das verunsichert sie stark“, sagt Schroeder. „Sie sind zwar in den Umfragen noch stabil, aber die Poten­zial­werte sind stark eingebrochen. Das ist für sie die größte Gefahr.“ Soll heißen: Die Anzahl der Menschen, die es für möglich halten, einmal die Grünen zu wählen, ist stark zurückgegangen. Zustimmung erhalten sie von ihrer Stammklientel. Als entscheidend für die Geschlossenheit der Partei nach außen sieht auch Schroe­der den gesellschaftlichen Rechtsruck an: „Man will auf keinen Fall ein Konjunkturprogramm für die AfD sein.“

Ganz ähnlich blickt der Psychologe Stephan Grünewald vom Rheingold-Institut in Köln auf die Grünen, das Institut berät Habecks Wirtschaftsministerium. „Der eigene Bedeutungsverlust und die Stärke der AfD machen den Grünen zu schaffen, Optimismus und Euphorie sind weg. Das macht die Basis sprachlos und führt zu reserviertem Verhalten“, sagt Grünewald.

Die Sorge sei, mit dem Herausstellen alter Grundpositionen noch mehr ins Hintertreffen zu geraten. Grünewald geht davon aus, dass sich die Kritik auf dem Parteitag entladen wird. „Ein Parteitag ist ein halbwegs geschützter Rahmen, da gibt es andere Dynamiken“, sagt der Psychologe. „Und man kann auch nicht ewig in der Sprachlosigkeit verharren.“

Die Parteispitze versucht den Spagat

Nun verschiebt vermutlich das Urteil des Bundesverfassungsgerichts mit seinen tiefgreifenden Auswirkungen auf den Haushalt die Debatten auf dem Parteitag – großes Konfliktpotenzial aber steckt weiter in der Migrationspolitik. Weil die Diskussion darüber ohnehin nicht zu verhindern war, hat der Bundesvorstand einen Dringlichkeitsantrag eingebracht. Er versucht den Spagat: betont die Menschenrechte und das Streben nach einer humanitären Geflüchtetenpolitik – und bekennt sich gleichzeitig zu restriktiven Maßnahmen. Wenn die Kapazitäten erschöpft seien, müssten auch die Zahlen sinken, heißt es. Werte und Wirklichkeit verbinden, so nennt das der Bundesvorstand.

Einen ähnlichen Spagat hat die linke Parteichefin Lang in einem gemeinsamen Beitrag mit Ober-Realo Kretschmann versucht. Damit sollte auch ein Signal der Geschlossenheit in die Partei gesendet werden. Lange gehalten hat das nicht. Im taz-Interview forderte Kretsch­mann kurz darauf, die Grünen müssten „runter von der Bremse bei der Eindämmung der irregulären Migration“. Andere fragen sich: Bremsen die Grünen überhaupt noch?

Zum Antrag des Bundesvorstands gibt es zahlreiche Änderungsanträge, der weitgehendste kommt von der Grünen Jugend, traditionell links in der Partei. Er will Mi­nis­te­r*in­nen und Fraktionen in Bund und Ländern verbieten, weiteren Asylrechtsrechtsverschärfungen zuzustimmen. Es ist schwer vorstellbar, dass die Partei das eigene Führungspersonal derart knebelt.

Manche in der Partei meinen auch, die großen Herausforderungen durch das Bundesverfassungsgerichtsurteil könnten dafür sprechen, dass die Partei einen Schulterschluss sucht. Andererseits: Bei der letzten BDK ist ein Antrag der Grünen Jugend, der ein Moratorium für Lützerath forderte und sich gegen die gesamte Spitze stellte, nur sehr knapp gescheitert. Die Grüne Jugend hatte es geschafft, sich zur Stimme des Haderns an der Basis zu machen. Bleibt die Frage, wie groß das Hadern aktuell ist.

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