Ost-West Paar über ihre Beziehung: „Ostmänner sind spannender“
Der Mauerfall ermöglichte auch Ost-West-Beziehungen. Zum Beispiel: Renate Heusch-Lahl und Christian Lahl aus Rostock.
taz: Frau Heusch-Lahl, Sie kommen aus dem Westen. Herr Lahl, Sie aus dem Osten. Wann haben Sie das letzte Mal über den Osten gesprochen?
Renate Heusch-Lahl: Wir reden selten über Ost-West.
Christian Lahl: Vor ein paar Tagen hast du eine Bemerkung über Westdeutsche gemacht, so was wie „die blöden Wessis“.
Renate: Ich meinte damit Leute, für die der gute soziale Status so wichtig ist, dass sie den dauernd präsentieren müssen.
Christian: Hätten ja auch Ossis sein können.
Renate: Es waren aber typische Wessis.
Gibt es 30 Jahre nach der Wende überhaupt noch typische „Wessis“ und „Ossis“?
Christian: Wichtigtuer und aufgetakelte Frauen gibt es hier wie da. Ich behaupte aber, im Osten seltener als im Westen.
Renate: Vor vielen Jahren hatten wir eine kuriose Begegnung auf einem Gutshof irgendwo in Westdeutschland. Wir sprachen mit den Inhabern über Ost/West und ich sagte: Wir sind auch ein gemischtes Paar. Darauf der Gutsherr: Sieht man sofort, Mann West, Frau Ost.
Froh, den Klischees nicht entsprochen zu haben?
Renate: Wir hätten die „vertauschten Rollen“ den ganzen Abend spielen sollen, das wäre sicher lustig gewesen. Wir haben das aber rasch aufgeklärt.
Christian: Der Irrtum des Gutsherren lag sicher in meinem selbstbewusstem Auftreten begründet.
Sie: 51, Politologin, Coach, Mediatorin, wuchs in einem Dorf bei Bonn, Nordrhein-Westfalen, auf.
Er: 61, IT-Spezialist, ist in Rostock geboren und dort nie weggezogen.
Das Paar ist seit 30 Jahren zusammen, 25 davon verheiratet. Sie haben zwei Söhne, 17 und 22 Jahre alt, und Christian hat zwei Kinder aus erster Ehe.
Renate: Wenn ich heute auf Unbekannte treffe, sage ich immer, ich komme aus Rostock. Und zack, lande ich in der Ostschublade.
Spielt Ost-West für Ihre gemeinsamen Söhne eine Rolle?
Christian: Früher sagten sie oft: „Wie gut, dass die Mauer gefallen ist und ihr euch kennengelernt habt. Sonst gäbe es uns nicht.“
Renate: Einmal machte ich mit den Kindern Urlaub im Schwarzwald. Eine Westdeutsche fragte: Kommt dein Mann echt aus dem Osten? Mein ältester Sohn, damals 4, hörte das und krähte: Papa und ich kommen aus Rostock, aber Mama kommt vom Dorf.
Dem sozio-ökonomischen Panel zufolge gibt es etwa 11 Prozent Ost-West-Paare, in der Regel bestehend aus Westmann und Ostfrau. Laut einer Studie sind diese Beziehungen „signifikant instabil“. Sie sind seit 30 Jahren zusammen. Was ist Ihr Geheimnis?
Christian: Meine erste These: Ich komme zwar aus dem Osten, habe aber keine typische Ostbiografie. Mein Vater war selbstständiger Kaufmann und betrieb einen Großhandel für Gewürze und Fleischereibedarf. Das war unüblich in der DDR.
Renate: Ich würde mich nicht als typische Westfrau bezeichnen. Ich habe zum Beispiel kein Problem mit FKK. Die Freundinnen, die aus dem Westen kommen, allerdings schon. Christian und ich haben kaum kulturelle Unterschiede.
Und die zweite These?
Christian: Wir hatten immer unsere Jobs. Renate hat nie von mir erwartet, dass ich die Familie ernähre, so wie das im Westen noch immer häufig der Fall ist. Wir waren immer gleichberechtigt, das ist für eine stabile Beziehung nicht unwichtig.
Renate: Mir war von Anfang an klar, dass Christian von mir nicht verlangen würde, wegen der Kinder zu Hause zu bleiben. Vor Christian hatte ich Kinder konsequent ausgeschlossen, ich konnte mir nicht vorstellen, nicht zu arbeiten. Meine Mutter hat ihren Beruf für die Familie aufgegeben, das habe ich schon als Kind nicht verstanden.
Christian: Für Renate ist die gegenseitige finanzielle Unabhängigkeit noch wichtiger als für mich, sie will nicht in die Abhängigkeitsfalle geraten.
Renate: Von meiner Westfamilie wurde ich früher dafür angegriffen, dass ich wieder arbeiten gegangen bin, als unser erster Sohn gerade mal ein halbes Jahr alt war. Sie sagten: Das arme Kind muss in die Kita. Wer macht mit ihm später Hausaufgaben?
Jetzt sind die Kinder groß.
Renate: Solche Vorbehalte spüre ich heute immer noch.
Wie sieht es bei Ihren politischen Einstellungen aus?
Christian: Wir sind uns zu 95 Prozent einig.
Renate: Das empfinde ich zunehmend wichtiger. Ich beobachte bei anderen Paaren, wie politische Differenzen die Beziehungen belasten und sogar zerstören.
Religion?
Renate: Ich bin im Rheinland katholisch aufgewachsen, aber mit 18 aus der Kirche ausgetreten. Als ich nach Rostock kam, spielte Kirche keine Rolle – bis unsere gemeinsamen Kinder geboren wurden. Ich wollte sie taufen lassen, Christian fand das nicht wichtig, stimmte aber zu.
Christian: Ich bin evangelisch groß geworden, obwohl Kirche nie eine große Rolle spielte. Renate und ich sind nicht religiös, aber christlich eingestellt.
Renate: Im vergangenen Jahr haben wir uns nach fast 24 Jahren Ehe kirchlich trauen lassen. Hier im Garten unter diesem Baum. Für mich war das als nochmaliges Bekenntnis zueinander wichtig.
Wie haben Sie sich kennengelernt?
Renate: Beim Rauchen.
Christian: Kurz nach dem Mauerfall. Ich war gerade von meiner ersten Frau geschieden worden und wohnte wieder im Haus meiner Eltern. Und da saß Renate in der Küche, zusammen mit meiner Schwester. Renate war Studentin, und wirkte auf mich nicht wie eine Westfrau.
Renate: Ich habe damals nichts an Christian festgestellt, was ihn als typischen Ostmann gekennzeichnet hätte. Aber ich habe ihn oft gefragt, wie Ostmänner ticken.
Warum wollten Sie das wissen?
Renate: Ich war 23, arbeitete als Pressesprecherin im Sozialministerium in Schwerin und musste mich durch eine aufreibende politische und personelle Gemengelage wühlen. Ich hatte fast nur mit Männern zu tun – aus dem Osten wie aus dem Westen. Ich hatte aber das Gefühl, Ostmänner können keine Konflikte aushalten, die sagen nicht, wenn ihnen etwas nicht passt.
Hält Christian keine Konflikte aus?
Christian: Ich glaube, heute hält Renate schlechter Konflikte aus.
Man sagt Westdeutschen gern nach, dass sie stärker ihre Karriere im Blick haben, Ostdeutsche suchten im Beruf eher Erfüllung.
Christian: Mir ist Aufstieg egal, ich will einen Job machen, der mir Spaß macht und mich ausfüllt. Der Begriff Karriere ist für mich negativ besetzt.
Renate: Ich sehe das anders. Ich möchte Karriere machen im Sinne von: Ich brauche berufliche Ziele, Erfolg, Resonanz. Ich hatte – im Gegensatz zu Christian – berufliche Brüche.
Christian: Ich habe mal ein Vierteljahr in Frankfurt am Main bei der Deutschen Bank in der IT-Abteilung gearbeitet und dort all diese gelackten Schlipsträger gesehen. Diejenigen, die es wirklich drauf hatten, schlurften im T-Shirt und Schlappen über den Flur. Das waren die unangreifbaren Götter. Hätte ich Karriere machen wollen, wäre ich dem Ruf der Headhunter nach Hamburg, Köln oder München gefolgt.
Hätte Christian mehr Karriere machen sollen?
Renate: Das war mir nie wichtig. Aber dieser lineare Aufstieg im Job ist tatsächlich eher westdeutsch. So bin ich geprägt und ich setze mich selbst unter Druck, immer weiter zu kommen, aufzusteigen.
Hatten Sie mal Sehnsucht, wieder im Westen zu leben?
Renate: Nie. Selbst, wenn wir uns getrennt hätten, wäre ich hier geblieben.
Sind Sie mittlerweile eine Ostfrau?
Renate: Ich bin Renate.
Christian: Inzwischen bist du länger im Osten als im Westen.
Renate: Tendenziell sind mir Ossis sympathischer als Wessis. Und Christian ist spannender als die meisten Westmänner. Schon allein deshalb, weil er sich durch die Wende neu erfinden musste. Während sich Westmänner, unter anderem meine Klassenkameraden, immer nur in der gleichen Soße bewegen.
Erhält der Osten genug politische Anerkennung?
Renate: Die Transformationsleistung der Ostdeutschen wurde vom Westen nie richtig anerkannt, Da muss man sich über den Zuspruch vieler Ostdeutscher zur AfD nicht wundern.
Christian: Uns erschreckt das. Und wir verstehen es nicht. Obwohl wir hier nahezu täglich erleben, wie unzufrieden manche Menschen sind, die nicht von der Wende profitiert haben. Sie fühlen sich vom bundesdeutschen System nicht angenommen.
Renate: Im Westen fallen schon mal Klischeebegriffe wie Dunkeldeutschland und Jammerossis. Dann fühle ich mich angegriffen.
Christian: Hoffentlich ist das bald vorbei. Sowohl der Zuspruch zur AfD als auch diese unsäglichen Ost-West-Debatten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Aufregung um Star des FC Liverpool
Ene, mene, Ökumene
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel