Organspende-Gesetzentwurf vorgestellt: Zwang zur Entscheidung
Wer zu Lebzeiten nicht explizit widerspricht, soll automatisch zur potenziellen OrganspenderIn werden. Der Gesetzentwurf sorgt für Diskussion.
Nüßlein wusste, warum: Eine Abgeordnetengruppe mit Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), dem SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach, Nüßlein und Petra Sitte (Linke) stellte am Montag einen ersten Gesetzentwurf zur sogenannten doppelten „Widerspruchslösung“ für die Organspende vor.
Der Entwurf sei „die einzige Möglichkeit“, die Lücke zwischen den Schwerkranken auf den Wartelisten für Spenderorgane und der geringen Zahl der SpenderInnen zu schließen, erklärte Lauterbach. Derzeit stehen rund 9.400 PatientInnen auf den Wartelisten für ein Spenderorgan. Im vergangenen Jahr spendeten aber nur 955 Menschen nach ihrem Tod Organe.
Laut dem Entwurf soll künftig prinzipiell jeder Erwachsene in Deutschland ein Organspender sein, der zu Lebzeiten nicht einen gegenteiligen Wunsch dokumentiert oder seinen Angehörigen gegenüber geäußert hat. Das „Nein“ muss explizit in einem Register oder auf einem mitgeführten Spenderausweis vermerkt sein. Liegt keine Ablehnung vor, können die Angehörigen im Ernstfall noch gegen eine Organspende des Hirntoten entscheiden – aber nur, wenn das dem Willen des Toten entspricht, den er oder sie irgendwann vorher mal den Angehörigen gegenüber geäußert hat. Der Entwurf gilt daher als „doppelte Widerspruchslösung“.
Eintragen in einem Register beim Arzt
Er sieht die Einführung eines Registers vor, in dem jeder Bürger eintragen lassen kann, ob er der Organentnahme widerspricht oder spenden will. Eine solche Eintragung könne man voraussichtlich dann beim Arzt vornehmen lassen, sagte Spahn am Montag.
Der entscheidende Punkt: Wer sich nicht äußert und wessen Widerspruch dann auch nicht in einem Register gespeichert ist, von dem können die Ärzte etwa nach einem Unfalltod bedenkenlos Organe entnehmen. Gab es gegenüber den Angehörigen keine eindeutigen Äußerungen, können diese auch nicht der Organentnahme widersprechen, nur weil sie selbst eine Entnahme bei dem Hirntoten ablehnen. Verifizieren können die Ärzte allerdings nicht, ob die Angaben der Angehörigen tatsächlich dem Willen des Toten folgen, räumten die Abgeordneten ein.
Die unmittelbare Verknüpfung der Selbstbestimmung über den eigenen Körper mit dem Leid von Schwerkranken stößt auf Kritik. Denn wer sich unsicher ist in Fragen der Organspende, müsste sich künftig explizit als „Neinsager“ in einem Register eintragen lassen, was möglicherweise auch moralische Konflikte bei den Unentschlossenen aufwirft.
Zumal in der Diskussion um die „automatische“ Organspende als Hauptargument immer das Leid der PatientInnen auf den Wartelisten ins Feld geführt wird. Ziel der Einführung der doppelten Widerspruchslösung sei es, „mehr Menschen, die auf eine Organ- oder Gewebespende angewiesen sind, die Möglichkeit zu geben, ein oft lebensrettendes Organ zu erhalten“, heißt es in dem Gesetzentwurf.
Verpflichtung sich damit zu beschäftigen
Spahn betonte, die Widerspruchslösung sei keine „Organabgabepflicht“, aber eine „Verpflichtung“, sich mit der Organspende zu beschäftigen. Er wies am Montag daraufhin, dass in 20 von 28 EU-Staaten bereits die Widerspruchslösung gelte.
Der Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Peter Dabrock, lehnte die Widerspruchslösung ab. „Damit wird für mich der Körper nach dem Hirntod zu einem Objekt der Sozialpflichtigkeit“, sagte der Theologieprofessor am Montag im Deutschlandfunk. Der Vorstoß der Widerspruchslösung sei unnötig und schädlich, da er Vertrauen beschädige und zu kaum mehr Effizienz bei der Organspende führe. Grundsätzlich hält Dabrock aber Organspenden für wichtig und gut, da sie ein „Akt der Solidarität mit schwerstkranken Menschen seien“.
Eine Gruppe um Grünen-Chefin Annalena Baerbrock schlägt einen alternativen Gesetzentwurf der Zustimmungslösung vor, der derzeit noch ausgearbeitet wird. Laut diesem Entwurf soll es ein zentrales Register geben, in das BürgerInnen mit ihrer Entscheidung für oder gegen eine Organspende eingetragen werden. Wer sich nicht äußert und nicht eingetragen ist, gilt aber nicht automatisch als OrganspenderIn. BürgerInnen sollen beim Antrag auf einen Personalausweis gefragt werden, ob sie sich als Spender in das Register eintragen lassen wollen oder nicht.
Dies erinnert an die USA, in der die Spenderzahlen deutlich höher sind als in Deutschland. Dort wird beim Antrag oder der Verlängerung des Führerscheins gefragt, ob man SpenderIn sein will. Bei einem Ja wird ein „organ donor“ mit Herzchen in den Führerschein eingetragen. Fast die Hälfte der US-AmerikanerInnen sind auf diese Weise potenzielle Organspender. In Deutschland hingegen haben nur 36 Prozent der BürgerInnen einen Organspendeausweis.
Organspendeausweis oft nicht verfügbar
Dieser Ausweis wird keineswegs immer mitgeführt im Portemonnaie. Er sei oft gar nicht verfügbar, wenn er gebraucht werde, bedauerte Lauterbach. Hat beispielsweise ein hirntotes Unfallopfer das beige-orange Kärtchen nicht bei sich, haben die Ärzte keine Berechtigung, ihm Organe zu entnehmen, es sei denn, Angehörige stimmen zu.
Zu Organentnahmen kommt es auch oft deswegen nicht, weil Krankenhäuser dabei ein Minusgeschäft machen, wenn etwa für die Entnahme Intensivbetten freigeräumt werden müssen. Ein Gesetz zur Verbesserung der Zusammenarbeit und der Strukturen der Organspende (GZSO) ist just am Montag in Kraft getreten. Danach erhalten Krankenhäuser für die Entnahme von Organen mehr Geld, sie sollen Transplantationsbeauftragte freistellen, müssen aber auch ihre Verfahren verbessern, um zu mehr Organspenden zu kommen.
Am Montag kam daher der Vorwurf, man hätte doch erst die praktischen Verbesserungen durch dieses Gesetz abwarten können, bevor man einen weiteren umstrittenen Gesetzentwurf mit einer doppelten Widerspruchslösung präsentiere. Spahn widersprach, für die betroffenen PatientInnen könne jede Wartezeit „zu viel sein“.
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