Offener Brief zu EU-Richtlinie: Ja heißt Ja statt Nein heißt Nein
Mehr als 100 Frauen bitten Justizminister Buschmann, eine EU-Richtlinie gegen Gewalt an Frauen nicht mehr zu blockieren. Sie wäre ein großer Fortschritt.
M arco Buschmann hat Post. Über 100 Frauen aus Politik, Kultur und Wirtschaft bitten ihn in einem offenen Brief, seine Blockadehaltung in der EU aufzugeben. Momentan blockiert nämlich das Justizministerium unter dem FDP-Politiker eine EU-weite Richtlinie zum Gewaltschutz. Darin vereinheitlicht werden soll die Definition von digitaler Gewalt, also Cyberstalking und bildbasierter Gewalt, aber auch die Strafbarkeit von Vergewaltigung. Laut der Richtlinie muss jeder sexuellen Handlung zugestimmt werden: Nur Ja heißt Ja. Damit gäbe es erstmals EU-einheitliche Standards zur Verhinderung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt.
Das ist ein längst überfälliger Schritt. Momentan reicht es in einigen EU-Ländern wie Spanien aus, eine Vergewaltigung als solche zu verurteilen, wenn einer sexuellen Handlung nicht explizit zugestimmt wurde, also nach dem Prinzip: Nur Ja heißt Ja. In anderen Ländern, wie Deutschland, muss das Opfer klar Nein sagen – hier gilt die sogenannte „Nein heißt Nein“-Regelung. Und in anderen Ländern, wie in Polen, muss Gewalt nachgewiesen werden – dort ist es quasi egal, was das Opfer sagt. Auch schreien hilft nicht.
Die Unterzeichner_innen des offenen Briefs weisen darauf hin, dass in der EU schätzungsweise 1,5 Millionen Frauen jedes Jahr vergewaltigt werden. Wie die Vergewaltigungen abgeurteilt werden können, ist davon abhängig, wo sie geschehen. Wobei man sich schon fragen kann: Wie kann es sein, dass wir in einer Welt leben, in der die Füllmenge von Flaschen genormt ist, nicht aber die Strafbarkeit von Vergewaltigung?
Neben Ungarn und Frankreich blockiert ausgerechnet Deutschland, vertreten von Justizminister Marco Buschmann, das Vorhaben der Vereinheitlichung. Der begründet seine Blockade formaljuristischen: die EU habe nicht die Kompetenz. Die Erstunterzeichner_innen sehen das anders. Dazu gehören die Politikwissenschaftlerin Kristina Lunz, die Klimaaktivistin Luisa Neubauer und die Journalistin Düzen Tekkal.
Unverständliches Argument
Unterzeichnet haben den Brief aber auch die Juristinnen Asha Hedayati und Christina Clemm, die sich in ihrer Arbeit mit patriarchaler Gewalt auseinandersetzen, sowie die ehemalige Justizministerin Christine Lambrecht (SPD). Auch der Deutsche Juristinnenbund e. V. (djb) hat den offenen Brief als Organisation unterzeichnet mit der Begründung, dass die rechtlichen Bedenken nicht zutreffen. Die Unterzeichner_innen sehen mit der Blockade den „Schutz von Millionen von Frauen vor Gewalt“ gefährdet.
Unverständlich ist das Argument von Buschmann auch deshalb, weil das Ziel der EU-Richtlinie die Angleichung an internationale Normen ist. Das sind Normen wie die Istanbul-Konvention, die die EU erst im Oktober letzten Jahres unterzeichnet hat. Dieses Übereinkommen soll bei der Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen helfen – es gibt vor, welche Standards bei Gericht und der Polizei gelten sollen, aber auch, wie viele Frauenhausplätze benötigt werden.
Zwar hat auch Deutschland die Istanbul-Konvention unterschrieben, allerdings krankt das Vorhaben bislang daran, dass keine Bundesregierung, sie umfassend umsetzt. Es hat sich also einiges an Wut bei den Erstunterzeichner_innen angestaut. Dabei könnte die Umsetzung der EU-Richtlinie vor allem Vergewaltigungsopfern helfen, die in Ländern wie Italien und Polen leben und darauf angewiesen sind, dass sie Gewalt nachweisen müssen, damit die Vergewaltigung als Straftat anerkannt wird. Das ist komplett realitätsfremd, gerade auch, wenn man sich ansieht, wie hoch die Dunkelziffer ist und wie selten Vergewaltigungen überhaupt angezeigt werden.
In Deutschland, wo das Sexualstrafrecht zuletzt 2016 geändert wurde und wo seitdem „Nein heißt Nein“ gilt, geht der Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe (bff) davon aus, dass nur etwa 5 bis 15 Prozent der Vergewaltigungen anzeigt werden. Noch seltener kommt es zu einer Verurteilung – weil es schwer nachzuweisen ist, dass ein „Nein“ geäußert wurde, aber auch, weil Schweigen nicht immer Zustimmung ist.
In Schweden gilt deshalb seit 2018 das „samtyckeslag“, das Einwilligungsgesetz. Seither können Täter_innen auch wegen fahrlässiger Vergewaltigung und fahrlässiger sexueller Nötigung belangt werden. „Du musst dich bei der Person, mit der du Sex haben willst, erkundigen, ob sie Sex haben will“, sagte Schwedens damaliger Premier Stefan Löfven dazu.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour